Die türkis-grüne Achse für Fußgängerstraßen - und was sie plant
Die einen wollen die Straßen sperren (für Autos), die anderen wollen sie öffnen (für Fußgänger). Welchen der beiden – rhetorischen – Zugänge man auch wählt, das Ergebnis ist (fast) dasselbe.
Die grüne Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein bekommt für ihr Vorhaben, in der Corona-Krise Straßen für Fußgänger freizugeben, nun Schützenhilfe vom Bund. Morgen, Freitag, wird Türkis-Grün im Nationalrat eine Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) beschließen, die es erlaubt, Autos auf bestimmten Straßen zu verbieten und Fußgänger dort die Fahrbahn nutzen zu lassen.
„Gehsteige bieten oft zu wenig Platz, um den Sicherheitsabstand von einem Meter einzuhalten. Gerade in Städten ist das ein Problem“, sagt die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler. Wer dahinter grünes Vorpreschen oder gar Koalitionsbruch wittert, der irrt: Diese sogenannten Fußgängerstraßen sind „Regierungslinie“, wie es auf Anfrage heißt.
Der KURIER beantwortet die sechs wichtigsten Fragen zu den neuen Plänen.
1. Was sind „Fußgängerstraßen“?
Für die Dauer der Corona-Pandemie können Gemeinden und Städte Verordnungen erlassen, die Fußgängern auf „einzelnen Straßen oder Straßenabschnitten, entweder dauernd oder für bestimmte Zeiten, die Benützung der gesamten Fahrbahn“ erlaubt. So steht es im Gesetzestext. Fahrzeuge sind dort verboten.
Notwendig ist die Gesetzesänderung deshalb, weil Fußgänger laut StVO Straßen derzeit nicht betreten dürfen, selbst wenn sie gesperrt sind. Welche Straßen infrage kommen, entscheiden die Gemeinden und Städte selbst.
2. Wieso hilft das Hebein?
Der Plan der Vizebürgermeisterin war es, temporäre Begegnungszonen (auf denen auch Autos unterwegs sein dürfen) umzusetzen. Zu einer entsprechenden Verordnung kam es allerdings nicht, weil Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) die Maßnahme vorerst ablehnte.
Auch um Fußgängerstraßen verordnen zu können, braucht Hebein das Okay des Bürgermeisterns. Dieser lehne Fußgängerstraßen „nicht dezidiert ab“, teilt sein Büro auf KURER-Anfrage mit. Aber: „Es gibt derzeit andere Prioritäten.“
Die Novelle der StVO ist für Hebein eine argumentative Unterstützung von oberster Ebene: Ihr Büro wertet die Maßnahme als „Signal, dass die Idee gescheit ist“. Man werde weiter temporäre Begegnungszonen vorantreiben, mit Ludwig tausche man sich dazu regelmäßig aus.
Fußgängerstraßen
Fußgängerstraßen sind Straßen, die komplett oder in Abschnitten für Autos gesperrt werden. Fahrzeuge dürfen lediglich zu- und abfahren. Das Radfahren ist erlaubt, Fußgänger dürfen die gesamte Fahrbahn nutzen. Fußgängerstraßen sollen künftig per Verordnung – und nur für die Dauer der Corona-Krise – eingerichtet werden können.
Die entsprechende Novelle der Straßenverkehrsordnung, die das ermöglicht, wird am Freitag im Nationalrat und am Samstag im Bundesrat beschlossen. In Kraft treten könnte sie bereits am Montag.
Begegnungszonen
In einer Begegnungszone dürfen Autolenker und Radfahrer nach wie vor unterwegs sein – allerdings lediglich mit maximal 20 km/h. Und: Fußgänger dürfen die gesamte Fahrbahn nutzen.
Straßen, die dauerhaft zu Begegnungszonen werden, werden üblicherweise umgebaut: In der Regel wird die gesamte Straße auf ein Niveau gehoben.
Hintergrund
Ziel beider Maßnahmen ist, dass der corona-bedingte Sicherheitsabstand von einem Meter auf der Straße leichter eingehalten werden kann.
3. Welche Straßen in Wien kommen infrage?
Vorbereitungen für eine temporäre Begegnungszone gab es in der Florianigasse im 8. Bezirk – der KURIER berichtete. Auch die Alliiertenstraße im 2. Bezirk sowie die Schopenhauerstraße im 18. Bezirk – beides grün regierte Bezirke – könnten vorübergehend zu Begegnungszonen werden.
4. Sind also nur grün regierte Bezirke dafür?
Wie es aussieht, nicht. Auf KURIER-Anfrage sagt etwa Lea Halbwidl, SPÖ-Bezirksvorsteherin des 4. Bezirks: Sie sei „jedenfalls für die Öffnung“ der Bundesgärten, der Öffnung von Straßen stehe sie „offen gegenüber. Man muss sich das anschauen.“ Die Vizebürgermeisterin habe sich zwar noch nicht bei ihr gemeldet, sie würde sich aber freuen, wenn sie das täte.
Susanne Schaefer-Wiery, rote Bezirkschefin des 5. Bezirks, sagt: „Ich bin generell dafür, dass man den öffentlichen Straßenraum fairer verteilt“ – Krisen würden eben auch zeigen, wo es Schwächen gibt im System.
Kritik erntet Hebein vom roten Bezirksvorsteher von Mariahilf, Markus Rumelhart. Nicht unbedingt wegen ihres Vorschlags an sich („Man kann sich das anschauen, aber es fehlt ein Konzept. Die Details sind mir schleierhaft“), sondern wegen ihrer Art der Kommunikation. „Ich hätte mir schon erwartet, dass die Verkehrsstadträtin versucht, Konsens mit dem Bürgermeister zu finden.“
5. Warum kommt Gewesslers Vorstoß jetzt?
Der Gedanke an einen Kuhhandel kommt wohl nicht von ungefähr: Die Grünen in der Bundesregierung springen ihrer Kollegin in Wien zur Seite. Dafür soll sich Hebein wohl in der strittigen Frage um die geschlossenen Bundesgärten ruhig verhalten.
6. Und was sagt die Wiener ÖVP dazu?
Auf Nachfrage hieß schließlich am Donnerstagabend: Man unterstütze "alle Maßnahmen der Bundesregierung".
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