Hackler, Migranten, Junge: Sind die Österreicher Testmuffel?
Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung wollte die Bundesregierung zu den Corona-Massentests holen – nicht einmal 25 Prozent wurden es. Das Ziel wurde also klar verfehlt. Doch woran liegt das? Warum sind gar so wenig Österreicher dem Testaufruf gefolgt? Der KURIER hat die gängigsten Thesen einem Faktencheck unterzogen.
Migranten sind den Tests ferngeblieben
Losgetreten hat die Debatte die ÖVP: „Wir haben einen riesengroßen Migrationsanteil, und leider sind die Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund spärlich da, sich entsprechend testen zu lassen“, meint Klaus Schneeberger, Bürgermeister von Wiener Neustadt (ÖVP). Überprüfbar ist diese Aussage nicht: Der Migrationshintergrund wurde bei den Tests nicht erhoben.
Schneebergers Befund stehe „auf wackeligen Beinen“, sagt der Soziologe Kenan Güngör. Bei den Tests könne man höchstens optische Merkmale wie eine dunkle Hautfarbe oder ein Kopftuch als Indizien auf die Herkunft heranziehen. Ausschlaggebend dafür, ob jemand zu den Tests ging, seien vielmehr Bildungsgrad, Mediennutzung – und Sprachverständnis.
Zumindest Letzteres lässt darauf schließen, dass bei der Bewerbung der Tests die migrantische Zielgruppe nicht gar so gut erreicht wurde.
In Wien begründet man das Nicht-Erheben des Migrationshintergrund damit, dass dieser „epidemiologisch irrelevant“ sei, wie es aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) heißt.
Das bedeutet: Für die Ausbreitung des Virus sei die Herkunft der Menschen nicht von Bedeutung. Die Statistik ist uneindeutig. Die Teilnahmerzahlen aus Favoriten, wo es traditionell viele Migranten gibt, sind die niedrigsten der ganzen Stadt. Aus dem 15. Bezirk hingegen, also dem Bezirk mit dem höchsten Migrantenanteil in Wien, haben sich überdurchschnittlich viele Menschen testen lassen. (Dass eines der Testcenter, nämlich die Stadthalle, im 15. Bezirk liegt, könnte die Aussagekraft dieser Zahl schmälern.) Im 23. Bezirk, wo die zweitwenigsten Migranten wohnen, ließen sich wiederum weniger als im Schnitt testen ließen.
In der austrotürkischen Community glaubt man nicht, dass das Corona-Bewusstsein unter Migranten geringer ist als in der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegenteil: Da viele Teil einer Großfamilie seien, sei die Sensibilität in puncto Ansteckungsgefahr – insbesondere im Hinblick auf die Eltern- bzw. Großelterngeneration – besonders groß, heißt es. In den austrotürkischen Medien sowie auf Facebook und Instagram werde daher viel über Testmöglichkeiten berichtet. Dass die Tests gratis sind, erhöhe zudem die Teilnahmebereitschaft.
Die Hackler sind zu Hause geblieben
Die Wiener Zahlen zeigen, dass in Bezirken mit einem höheren Anteil an Arbeitern wie Favoriten oder Simmering weniger Menschen zu den Massentests gegangen sind als in sozioökonomisch bessergestellten wie Neubau oder der Josefstadt.
Viele Menschen hätten sich aufgrund der angespannten Situation am Arbeitsmarkt wohl überlegt, „ob es im Augenblick gut ist, dass sie riskieren, in Quarantäne zu kommen, wenn sie keine Symptome haben“, sagt SPÖ-Stadtrat Hacker.
Die Jungen haben die Tests verweigert
Das ist bedingt richtig. In Wien (siehe Grafik unten) zeigt sich, dass die Altersgruppe der Unter-39-Jährigen besonders stark bei den Massentests vertreten war. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in der Studentenstadt Innsbruck.
Was aber auch klar ersichtlich ist: Es gibt ein Stadt-Land-Gefälle. In Oberösterreich, in der Steiermark und in Kärnten war die Altersgruppe der Unter-40-Jährigen tatsächlich unterrepräsentiert.
In Kärnten etwa sind gerade die Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 29 Jahren kaum zu den Teststraßen gegangen. Eine Erklärung: Junge zählen nicht zur Risikogruppe. Die fehlende direkte Betroffenheit dürfte die Testbereitschaft gedämpft haben.
Die Teststraße ist zu weit vom Wohnort entfernt
Dieses Argument hört man vor allem in Wien, wo einen der Weg zum Massentest mitunter quer durch die Stadt führt. Am Land gab es hingegen in fast jeder Gemeinde eine Teststation. Die Angst vor Ansteckungen auf dem Weg zum Test (etwa in den Öffis) – aber auch direkt vor Ort – könnte gerade ältere Menschen abgehalten haben.
Die Anmeldungen waren für viele zu unflexibel
Diese These ist tatsächlich immer wieder ein Argument und das vor allem bei den jüngeren Österreicherinnen und Österreichern. „Ich hätte ein Zeitfenster am Samstag gehabt, doch ich musste arbeiten. Aus diesem Grund konnte ich mich nicht testen lassen“, erzählt die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Nina F. aus Niederösterreich.
Und wer denkt, dass F. durch ihren Job sowieso nicht zur Zielgruppe der Massentests gehört, der irrt. Die 25-jährige Niederösterreicherin wurde seit Beginn der Pandemie erst zwei Mal am Arbeitsplatz getestet.
Für viele waren die fixen Zeitfenster und Anmeldungen tatsächlich ein Hinderungsgrund für den Massentest. „Gerade die Jungen wollen es flexibel und wollen testen kommen, wann es für sie passt“, sagt ein freiwilliger Helfer einer Teststraße in Niederösterreich zum KURIER.
Besser funktioniert hat das in Bundesländern, wo es gar keine Anmeldung gab, wie zum Beispiel in Salzburg und Tirol. Oder wo man sich seinen Testzeitpunkt selbst aussuchen konnte, wie zum Beispiel in Vorarlberg.
Ich will mich bei den Tests nicht anstecken
Zu diesem Thema haben den KURIER zahlreiche Leserbriefe erreicht. Die Angst, mit potenziell infizierten Personen in einem geschlossenen Raum zu sitzen, war allgegenwärtig. „Ich bin deswegen nicht hingegangen“, erzählt die Pensionistin Herta S. aus Wien.
Durch die Organisation, die kurzen Wartezeiten an der frischen Luft und den ausgebliebenen Massen, ist die Chance sich vor Ort anzustecken aber sehr gering.
Die Anreize, sich testen zu lassen, fehlen
Vor Österreich haben sich bereits die Slowakei und Südtirol an Massentests versucht. Die Teilnahmequote war bei den Nachbarn weitaus höher – aber unter völlig anderen Voraussetzungen. In der Slowakei ließen sich innerhalb von zwei Tagen 3,6 Millionen der 5,5 Millionen Einwohner testen. Wer kein Testergebnis hatte, dem drohte die Quarantäne. In Südtirol nahmen 80 Prozent der Bevölkerung an der Aktion teil. Allerdings mit dem Anreiz von früheren Lockerungen des Lockdowns.
In Österreich gab es weder Zwang, noch eine Karotte vor der Nase. Vielmehr könnte Quarantäneangst abschreckend gewirkt haben. Für Freiberufler etwa kann Isolation Einkommensverlust bedeuten. In prekären Beschäftigungsverhältnissen mag es Angst vor Jobverlust geben.
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