Bildungspsychologin Schober: "Alles daran setzen, dass Schulen geöffnet bleiben"
Der Artikel ist Teil einer KURIER-Serie zum Schulstart. Hier etwa finden Sie, was Lehrerinnen und Lehrer in der letzten Ferienwoche vor der Schule so unternehmen.
Die Maßnahmen während der Corona-Pandemie sind nicht spurlos an Österreichs Schulkindern vorübergegangen. Zusätzlich sind sie von Teuerungen betroffen und müssen sich mit dem Krieg auseinandersetzen. Bildungspsychologin Barbara Schober erklärt im Interview, worauf man jetzt besonders achten sollte.
KURIER: Bei allen Herausforderungen, die es derzeit gibt, wären Sie selber gerne wieder Schülerin?
BARBARA SCHOBER: Schüler und Schülerinnen haben es derzeit nicht immer leicht und es hängt natürlich davon ab, wie die Umstände sind, aber grundlegend ja. Trotz aller Herausforderungen ist Schulzeit eine Zeit, in der man vor allem lernen kann. Das weiß man im Nachhinein sehr zu schätzen.
Die Pandemie hat den Kindern viel abverlangt. Wie werden sich diese Erfahrungen langfristig auswirken?
Jeder, der behauptet, er weiß das, spekuliert. Aber es ist klar, dass es zum Beispiel Kinder gibt, die ins 4. Schuljahr kommen und kein „normales“ Schuljahr erlebt haben, sondern immer eine Ausnahmesituation. „Wird die Schule stattfinden? Ist es ein Ort, an dem ich mich sicher fühle oder nicht?“. Manche waren mehr belastet, andere weniger und daher werden auch Folgen unterschiedlich sein. Aber in jedem Fall spüren Kinder eine neue Art von Unsicherheit, die wir im Auge behalten müssen. Die Sache ist jetzt nicht vorbei. Psychische Folgen von Krisen werden oft erst mit etwas Verspätung sichtbar.
Barbara Schober ist seit 2016 Dekanin der Psychologie-Fakultät an der Uni Wien. 2020 wurde sie zudem zur Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft der Psychologie gewählt. Sie forscht unter anderem zum Thema Bildung und zu Reduktion von Genderdifferenzen
Schober war im Frühjahr im Rennen als neue Rektorin der Uni Wien – sie wäre die erste Frau in diesem Amt gewesen. Sie musste sich schlussendlich dem Kunsthistoriker Sebastian Schütze geschlagen gegeben
Wie soll man darauf reagieren?
Wir haben eine Zeit hinter uns, die uns allen psychologisch viel Kraft gekostet hat, auch den Kindern. Das darf man nicht vergessen. Für mich wäre ein wichtiger Auftrag, jetzt Bedingungen dafür zu schaffen, dass Unterricht vor Ort stattfinden kann und man alles daran setzt, dass Schulen „sicher“ geöffnet bleiben können. Das ist der Rahmen. Zudem braucht es ausreichend Unterstützungsangebote für jene, die nachhaltig Probleme aus den letzten Jahren mitgebracht haben und z.B. Ängste und Depressionen entwickelt haben. Hier zu investieren ist wichtig, denn die Resilienz von Kindern und Jugendlichen wird durch andere anstehende Herausforderungen jedenfalls auch weiterhin gefordert sein.
Heißt das auch, Sie würden sich für regelmäßige Testungen in der Schule aussprechen?
Ich glaube nicht, dass es in Anbetracht der aktuellen Lage das Plädoyer der Stunde ist, zu sagen, es müssen zwingend alle permanent PCR-Tests machen. Testen jetzt zu Schulbeginn schiene mir aber sehr sinnvoll und wir sollten in der Lage sein, die Tests schnell wieder für alle einführen zu können. Ich wäre auch für ein systematisches Herangehen, zumindest eine repräsentative Stichprobe regelmäßig testen. Sonst sind wir im Blindflug und nicht im Modus „Sicherheit schaffen“.
Sind den Kindern die Maßnahmen ausreichend erklärt worden?
Das war sicher variierend. Man könnte das aber schon noch systematischer angehen. Hilfreich sind hier sicher auch Materialien für die Schule und den Unterricht, die zentral bereitgestellt werden und bei denen auch klar ist, wie sie bei den Kindern ankommen können. Eine Studie von uns aus 2021 zeigt, dass Schülerinnen und Schüler, denen alles gut erklärt worden ist, im Mittel kaum Probleme damit hatten, die Maßnahmen zu befolgen.
Gibt es bei Kindern und Jugendlichen also weniger Maßnahmengegner als bei den Erwachsenen?
Zum direkten Vergleich hab ich keine Daten. Aber in unserer Studie – mit einer relativ großen Stichprobe von mehreren 1000 Schülerinnen und Schülern – war der Anteil an Maßnahmenverweigerung sehr gering. Für eine konkrete Aussage müsste sich das aber jetzt erneut anschauen, die Pandemiesituation ist ja jetzt auch eine andere als vor einem Jahr.
Die Sorge ist groß, dass die Bildung der Kinder sehr gelitten hat. Wie würden Sie das einschätzen?
In Österreich gibt es wie so oft hierzu kaum Daten. International gibt es Studien, die darauf hinweisen, dass das mittlere Kompetenzlevel gelitten hat. Das heißt nicht, dass jetzt der große Leistungsdruck kommen soll, aber man muss sich des Problems bewusst sein.
In fast allen Klassen werden beim Schulstart Flüchtlingskinder in der Klasse sitzen. Wie soll man als Lehrer oder Elternteil mit der Kriegsthematik umgehen?
Am besten ist es, offen darüber zu sprechen – ohne ein angstbesetztes Szenario aufzubauen. Man muss altersentsprechend erklären, warum diese Kinder jetzt da sind. Wichtig wäre, den Fokus darauf zu legen, was man selbst tun kann, wie man helfen kann. Man muss vermitteln: Egal, wie kompliziert oder bedrohlich etwas ist, wir sind nicht hilflos.
Stichwort Teuerungen. Wie groß ist die Gefahr, dass Mobbing ein noch größeres Thema wird, weil sich einige Kinder weniger leisten können als andere?
Wir haben jetzt eine Situation, die viele Schüler-Generationen in dieser Schärfe vermutlich noch nicht erlebt haben. Darum braucht es von Anfang an eine hohe Sensibilisierung dafür, wie der soziale Umgang unter den Kindern funktioniert, das Thema sollte Raum im Unterricht bekommen - so wie es generell nötig sein wird, das Thema „Umgang mit Unsicherheit“ in unseren Schulen zu verankern.
Was halten Sie davon, Schuluniformen einzuführen, damit der Status weniger klar ersichtlich wird?
Da wird viel diskutiert, aber auch Studien ergeben kein einheitliches Bild. Es ist auch eine Frage der Kultur. Schülerinnen und Schülern lehnen es oft ab, weil man sich dann weniger als Individuum ausdrücken kann. Ich bin auch skeptisch, denn den Umgang mit Unterschiedlichkeit lernen, finde ich vielversprechender als sie auszublenden. Nur dieses Lernen muss auch stattfinden.
Haben Mädchen und Buben die gleichen Chancen im Bildungssystem?
„Formal“ ja. In der Praxis ist die Präsenz von geschlechterstereotypem Verhalten in unserer Gesellschaft so hoch, dass sich das natürlich auswirkt. Wenn Sie Lehrkräfte fragen, ob sie Mädchen und Burschen unterschiedlich behandeln, sagen die meisten voller Überzeugung „Nein“. Aber dann sieht man z.B., dass in Mathematik, Burschen öfter für Fähigkeit gelobt werden, Mädchen für Anstrengung. Oft merkt man das gar nicht und das macht es so schwierig, das zu ändern.
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