Greenpeace startet Kampf um den Neusiedler See
Die Front gegen das ungarische Tourismusprojekt am Ufer des Neusiedler Sees bei Fertőrákos wird breiter. Jetzt hat sich auch Greenpeace mit einem naturschutzrechtlichen Gutachten eingeschalten.
Und die im Bericht von Ökoteam, einem Grazer Institut für Tierökologie und Naturraumplanung, dargelegte Analyse bestätigt die bisherigen Befürchtungen von Projektgegnern und Umweltschützern.
Der Bau auf dem 60 Hektar großen Areal hat große Auswirkungen auf die Flora und Fauna – und die kennt bekanntlich keine Grenzen. Zwar gebe es auch Projekte auf österreichischer Seite, aber die seien „deutlich kleiner dimensioniert als das ungarische Mega-Projekt, das mehrere Schutzgebiete betrifft“, stellt Herwig Brunner (Ökoteam) dem Projekt ein „vernichtendes Zeugnis“ aus.
Das wird auch anhand von aktuellen Satellitenbildern deutlich - oben eine Aufnahme vom 2. Juli des Vorjahres, darunter eine vom 17. Juni 2021. Darauf ist zu erkennen, wie weit das Projekt bereits fortgeschritten ist (hier geht´s zur Visualisierung; Anm.).
Welche Schutzgebiete werden beeinträchtigt?
Die Anlage hätte laut Greenpeace „erhebliche rechtswidrige Folgen“ für die grenzüberschreitenden Schutzgebiete. Denn das Areal im Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel liegt sowohl in einem Natura-2000- als auch in einem Ramsar-Gebiet und würde zahlreiche geschützte Arten gefährden (mehr dazu siehe unten; Anm.).
Österreich-Ungarn
Das Projekt liegt 1,1 Kilometer von der Grenze entfernt und ist eine Kampfansage an den österreichischen Tourismus
60 Hektar
groß (das entspricht 80 Fußballfeldern) ist das Areal, auf dem ein Vier-Sterne-Hotel mit 100 Zimmern, 16 bis 24 Bungalows, ein Parkhaus mit 880 Stellplätzen, eine Sporthalle mit 12 Tennisplätzen, ein Kunstrasen-Fußballplatz, ein Besucherzentrum, ein Campingplatz sowie ein Motel und ein Jachthafen mit 850 Bootsliegeplätzen entstehen soll
20 Prozent
mehr Verkehr auf dem See sind laut dem Gutachten nach Fertigstellung des Projekts zu erwarten
45.000 Rastvögeln
bietet der Neusiedler See ein Zuhause. Die meisten von ihnen halten mindestens 500 Meter Abstand zu Menschen, werden von den Bauarbeiten also bereits massiv beeinträchtigt
Welche Umweltauswirkungen werden erwartet?
Das Gutachten geht angesichts der Errichtung einer Schnellstraße zwischen Sopron und Fertőrákos von täglich über 8.000 Fahrzeugen in der Hauptsaison aus. Auch am See würde der Verkehr massiv steigen. Derzeit sind 4.100 Bootsliegeplätze registriert, 850 neue sind in Ungarn geplant. Beides würde geschützte Vogelarten stören und gefährden, außerdem würden durch den Bau Feuchtgebiete unwiederbringlich zerstört werden.
Zudem sind Auswirkungen auf den Wasserhaushalt zu befürchten: Einerseits, weil weniger Regenwasser in den Boden und damit ins Grundwasser einsickern kann; andererseits durch den enormen Wasserverbrauch in einer ohnehin immer trockener werdenden Region und die zunehmende Belastung durch Abwässer.
Wie steht Greenpeace zur geplanten Zuleitung von Donauwasser?
Angesichts des sinkenden Wasserstandes – am Donnerstag lag dieser bei 115,22 Meter über Adria und damit so niedrig wie noch nie – plant das Land Burgenland die Zuleitung von Wasser aus dem Moson-Arm der ungarischen Donau.
Baubeginn für das Projekt soll bereits 2022 sein. Dieses Vorhaben lehnt Greenpeace kategorisch ab: „Das würde die Wasserzusammensetzung des Sees und somit die Biodiversität drastisch verändern“, so die Umweltschutzorganisation.
Wie steht es um den Status als Unesco-Welterbe?
Nach Protesten liegt es nun am Unesco-Welterbekomitee, weitere Schritte zu setzen. Diese können vielfältig sein: Die Entsendung einer Monitoring Mission vor Ort, die Einforderung konkreter Maßnahmen bis hin zur Einschreibung der Stätte auf die „Rote Liste“ des gefährdeten Welterbes sind möglich.
Nicht nur deshalb fordert Greenpeace den sofortigen Stopp des Projekts und die Wiederherstellung des Geländes.
Außerdem soll auch künftig kein Projekt am See den Unesco-Status gefährden. Der Bund solle zudem rechtliche Möglichkeiten gegen das Projekt prüfen oder die EU-Kommission einschalten.
„Das Bauprojekt am Neusiedler See würde die Lebensqualität der dort lebenden und brütenden Vogelarten deutlich verschlechtern. Zahlreiche Arten, die im Natura-2000-Gebiet besonderen Schutz genießen müssen, sind durch das Mega-Projekt bedroht“, sagt Gutachter Herwig Brunner (Ökoteam Graz).
Das Projekt stünde in Widerspruch zu den rechtlich verbindlichen Zielsetzungen des Schutzgebietes. „Dadurch wird das Verschlechterungsverbot für Natura-2000-Gebiete klar verletzt“, weist Brunner auf die zerstörende Beeinträchtigung EU-rechtlich besonders geschützter Lebensraumtypen durch das Bauprojekt hin. Denn die Pläne würden gegen mehrere Naturschutzbestimmungen der EU verstoßen.
Diese Arten sind gefährdet
Zwar befinde sich das Bauprojekt auf der ungarischen Seite des Sees, doch die Folgen auf seltene Vogelpopulationen könnten sich laut Gutachten auch auf die Bestände auf österreichischer Seite nachteilig auswirken.
Die Ufer am Neusiedler See dienen 45.000 dokumentierten Rastvögeln als Zuhause und sind durch die Ramsar-Konvention geschützt. Dieses internationale Abkommen stellt Feuchtgebiete und die dort lebende Artenvielfalt in den Fokus. Die Baustelle störe die Tiere bereits erheblich, mit Inbetriebnahme werde sich die Situation noch verschärfen.
Flora und Fauna in GefahrFür das Gutachten wurden nicht nur aktuelle Fotodokumentationen und Luftbilder rund um das Bauareal genutzt, sondern auch eine Bestandsaufnahme vor Ort durchgeführt. Ziel war es, naturschutzrechtlich relevante Arten zu dokumentieren.
Insgesamt konnten acht verschiedene besonders geschützte Vogelarten, darunter Stelzenläufer, Seeregenpfeifer, Purpurreiher und Zwergscharbe gesichtet werden. Weitere bedrohte Arten sind die Rohrweihe, der Säbelschnäbler, die Flussseeschwalbe, der Eisvogel, der Sakerfalke, die Großtrappe und der Wiesenotter.
Außerdem ist das Gebiet Lebensraum für die Neusiedlersee-Salzschwade, einer salzresistenten und gefährdeten Pflanzenart, die auf der Roten Liste des Umweltministeriums sowie der EU steht.
Kommentare