Wie das Wasser in den Neusiedler See gelangt - und verschwindet
Schon seit jeher war die Region rund um den Neusiedler See von Höchst- und Tiefwasserständen geprägt. So unterschiedlich wie der Wasserstand sind auch die Pläne, die die jeweiligen Machthaber zu ihrer Zeit mit dem Gebiet hatten. Die Zuleitung von Wasser war immer wieder Thema. Viel häufiger ging es jedoch darum, die Fläche für die Landwirtschaft trockenzulegen. Früher zumindest.
Hätte sich zum Beispiel das Burgenland 1921 nicht Österreich angeschlossen, wäre der Neusiedler See heute eine landwirtschaftlich genutzte Fläche. Für Fürst Nikolaus Esterházy hatte das Gewässer 1918 als solches „keine Bedeutung mehr“. Der Entwässerungsplan scheiterte aber mit dem Ende der k.u.k.-Monarchie. Die ersten Pläne zur Trockenlegung des Neusiedler Sees soll es schon im Jahr 1616 gegeben haben.
Tatsächlich kam es dazu dann erst 1740, allerdings auf natürlichem Wege. Seit damals war das noch drei Mal der Fall, zuletzt von 1864 bis 1870, wie in einem alten Text aus den Beständen des Fischereiverbandes zu lesen ist:
So war es ohne Wasser
„Von Mitte Juni an schwand alles Wasser, in der ganzen Seebreite wurde es trocken, nur an der tieferen Stelle zwischen Apetlon und Esterhaz schimmerte ein schmaler Wasserstreifen. Der Bodenschlamm trocknete bald auf und entwickelte mit dem herauskristallisierten Salze viel Staub, den der leiseste Wind emporwirbelte und große Staubwolken bildete, welche den Leuten wie Rauchwolken erschienen und oft die Meinung weckten, daß am drüberen Seeufer eine Feuersbrunst wüte.“
Aktuell ist wieder Feuer am Dach, denn so wie zuletzt 2003 sinkt der Wasserstand aufgrund zunehmender Trockenheit. Aber die Feuerwehr ist schon unterwegs, und zwar in Form einer Taskforce, die die technische Zuleitung von Wasser prüfen soll.
„Ich bin der Ansicht, dass ohne eine Wasserzufuhr in die Region die Systeme der Lacken, des Zicksees und des Neusiedler Sees nicht erhalten werden können“, sagt deren Leiter Christian Sailer, der KURIER hat berichtet.
Ausgangsposition
Im Mai gibt es den niedrigsten Wasserstand seit 1965, Grund dafür sind einige trockene Jahre in Folge.
Die Landesregierung denkt, so wie auch schon 2003, an eine Zuleitung
Zielsetzung
Gemeinsam mit dem Bund und mit Ungarn soll eine technisch machbare Lösung gefunden werden – mit Einbindung von Naturschutz und Tourismus und dem Ziel, den See als Landschaftselement zu erhalten
Umsetzung
Die Taskforce soll ein Konzept ausarbeiten, die Umsetzung dürfte Jahre dauern und Millionen kosten
Basis ist eine Strategiestudie der österreichisch-ungarischen Gewässerkommission aus dem Jahr 2014, die den „Erhalt des Sees als Landschaftselement unter Rücksichtnahme auf das Natur- und Kulturerbe der Region“ als zentrales Ziel definiert hat.
Vielfältige Interessenskonflikte
Womit wir wieder bei den Plänen der aktuellen Machthaber wären, die sich im Gegensatz zu ihren Vorgängern nicht mit Lebensmittelknappheit herumschlagen müssen, sondern mit einem im Vergleich zu früheren Jahren viel komplexeren System, vor allem wirtschaftlich. „Der See ist aber keine Badewanne, die man einfach so ein- und auslassen kann“, sagt zum Beispiel der frühere Umweltanwalt Hermann Frühstück.
Tatsächlich ist der Wasserhaushalt des Neusiedler Sees ein kompliziertes System, das vielen natürlichen und menschlichen Faktoren ausgeliefert ist. Deshalb warnen Naturschützer vor der Zuleitung von Fremdwasser, das den Chemismus im See verändern könnte.
Wassersportler wie Segler oder Surfer wiederum bangen um ihre geliebte Freizeitbeschäftigung, der Tourismus – und damit auch die regionale Wirtschaft – um die Gäste. Und über der Landwirtschaft hängt als Damoklesschwert ein Entnahmestopp aus den mehr als 5.100 Brunnen, wenn der Pegelstand des Grundwassers unter eine gewisse Marke fällt. Viel Spielraum gibt es nicht mehr.
Doch wie genau funktioniert der Wasserkreislauf beziehungsweise -haushalt des Neusiedler Sees eigentlich?
Negative Wasserbilanz
Gleich vorweg: Das Regenwetter der vergangenen Tage war nur der berühmte Tropfen auf den – noch – vollen See. Österreichs größtes stehendes Gewässer unterscheidet sich massiv von anderen Seen, denn es speist sich zum Großteil aus Niederschlägen. Zuflüsse wie die Wulka oder Ortskanäle machen nur einen geringen Teil aus. Seit der Einser-Kanal in Richtung ungarischer Rabnitz 2015 komplett geschlossen wurde, ist auch kein Wasser mehr abgeflossen. Dafür geht es beinahe zu 100 Prozent wieder dorthin, wo es hergekommen ist: nach oben. Diese Bilanz war in den vergangenen Jahren negativ, sinkende Wasserstände die Folge.
Nun macht das verdunstende Wasser nicht nur Probleme, sondern hat auch etwas Gutes. Denn der Weinbau profitiert massiv vom dadurch entstehenden Klima, das die Region noch fruchtbarer macht. Berichte aus Zeiten eines ausgetrockneten Sees legen nahe, dass eine Bewirtschaftung zu dieser Zeit so gut wie unmöglich war.
„In den sechs Jahren der Trockenheit des Sees hatten die Bewohner des östlichen Ufers sich sehr über schlechte Ernten zu beklagen. Als Ursache des Mißwuchses gaben sie die große Dürre und den vielen Flugsand an, mit welchem die Winde ihre Felder und Weingärten verwehten“, heißt es in der alten Chronik des Fischereiverbandes.
Neben dem Wetter hat vor allem auch der Wind große Folgen für den Wasserhaushalt des Neusiedler Sees. Weht dieser nämlich kräftig, verlagert er nicht nur gewaltige Wassermassen von einer Seite zur anderen, sondern spült das Wasser in den Schilfgürtel, der das kostbare Nass aufsaugt und speichert.
Und was ist mit dem Grundwasser?
Pläne, den See mit Grundwasser zu füllen, wurden rasch wieder verworfen. Zu kostbar ist das Nass in der von starkem Zuzug geprägten Region, zu groß die möglichen Folgen für die Umwelt. Außerdem ist es vor allem die Landwirtschaft, die auf das Grundwasser angewiesen ist. Die Entnahme von insgesamt rund 22 Millionen m³ Wasser jährlich hat zwar kaum Auswirkungen auf den Wasserstand im See, wohl aber auf die darunter liegenden, nicht mit dem See verbundenen Gewässer.
Kurzfristig gelöst werden kann die aktuelle Situation nur durch Regen. Viel Regen.
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