„Verdammt wenig Wasser“: Trockenheit setzt Neusiedler See zu
Es ist ja nicht so, dass der Neusiedler See für seine besondere Tiefe bekannt wäre. Doch jetzt hat er noch weniger Wasser als sonst. An den Molen und Stränden bietet sich ein Bild wie in seltenen Fällen im August. Der Wasserstand des Neusiedler Sees befindet sich unter dem vieljährigen Mittelwert.
„Er sinkt und sinkt und sinkt. Es gibt verdammt wenig Wasser“, sagt Paul Laister, Obmann der Seglergemeinschaft Breitenbrunn. Er kennt den See seit vielen Jahren. Bei Nord-West-Wind würde in Breitenbrunn gut ein Meter Wasser fehlen. Segler mit großen Schiffen haben dann ein Problem, aus den Häfen auszulaufen. „Wir müssen nicht den See an die Schiffe anpassen, sondern die Schiffe an den See“, sagt Thomas Zechmeister von der Biologischen Station Illmitz. Das gilt genauso für den Tourismus. Niedrige Wasserstände seien der Gang der Dinge. Die aktuelle Entwicklung deute auf den Klimawandel hin.
„Wir führen schon Regentänze auf“, sagt Nationalpark-Direktor Johannes Ehrenfeldner. Denn ohne Wasser keine Natur und auch kein Tourismus. „Auch ohne Corona hätten wir heuer vermutlich einen Rückgang bei den Gästen verzeichnet. Der niedrige Wasserstand spricht sich auch in der Ornithologie herum, die Vogelfreunde bleiben aus.“
Mehr Wasser für den See?
Eine Forderung, die in Trockenperioden immer wieder laut wird: Eine Zuleitung zu bauen und den See etwa mit Wasser aus der Donau oder der ungarischen Raab zu füllen. Zuletzt wurde darüber im Jahr 2003 diskutiert. Damals war der Wasserstand ähnlich niedrig wie heute.
Was folgte, waren zahlreiche Studien, aus denen am Ende des Tages aber keine klaren Empfehlungen abgeleitet wurden, erinnert sich Alois Herzig, ehemaliger Leiter der Biologischen Station Illmitz, zurück: „Große Bedenken gab es vor allem aus ökologischer Sicht. Der Neusiedler See hat ja einen geringen Salzanteil, da wäre das Einleiten von Flusswasser extrem problematisch.“
... sich der Neusiedler See zu 90 Prozent aus Niederschlag speist. Die Hauptregenmenge kommt im Sommer. Jeder Gewitterregen hat einen positiven Effekt auf den See
... der Neusiedler See von 1865 bis 1871 zum letzten Mal ausgetrocknet war. In seiner zumindest 14.000-jährigen Geschichte ist das bereits Dutzende Male geschehen
... ein Liter Seewasser 1–2Gramm Salze enthält
Überlegungen in diese Richtung könnte es auf ungarischer Seite geben, wo das Thema vor Kurzem wieder aufgetaucht ist. Vielleicht auch deshalb, weil das am südlichen Seeufer geplante ungarische Megaprojekt bei Fertőrákos auf mehr Wasser angewiesen ist. Denn durch den Nordwind wird Schlamm in diesen Bereich verlagert, dieser muss schon jetzt laufend ausgebaggert werden. In der zuständigen Abteilung der Landesregierung wird auf „laufende Untersuchungen und verschiedene Überlegungen“ hinsichtlich einer möglichen Wasserzuleitung verwiesen. Für konkrete Details sei es aber noch zu früh.
Ähnliche Wortmeldungen gab es auch nach dem historisch niedrigen Wasserstand im Jahr 2003, aber dann kam ausreichend Niederschlag, der Wasserstand stieg und die Diskussionen waren beendet. „Wenn Krise ist, wird immer Dampf gemacht. Nur wenn alles vorbei ist, sollte man sich auch zu Lösungen durchringen“, appelliert der früher für die Biologische Station Illmitz zuständige Alois Herzig. Eine andere Möglichkeit als die Zuleitung von Wasser wären Grabensysteme, die „jeden Tropfen des kostbaren Nass speichern und in der Region halten“, sagt Nationalpark-Direktor Ehrenfeldner.
Hoffen auf Hilfe von oben
Aktuell bleibt also nicht mehr, als auf ausgiebige Niederschläge zu hoffen. Der Nieselregen von Freitag reiche nicht, sagt Karl Maracek vom hydrografischen Dienst: „Seit 1965 stand das Wasser nicht mehr so niedrig wie jetzt.“ Dabei kommen die warmen Sommermonate, in denen mehr Wasser verdunstet, als neu hinzukommt, erst. Vergleiche mit den Vorjahren zeigen, dass sich der Wasserstand von April bis August durchschnittlich um 17 Zentimeter verringert. Damit stünde man unter 115 müA (Meter über Adria), das wäre die geringste Wassertiefe seit 55 Jahren.
„Es gibt Fotos aus den 60er-Jahren“, sagt Laister, „wo die Schiffe im Dreck drinnenstecken.“ Das ist wohl nicht nur sein Schreckensszenario.
Wie wirkt sich die Trockenheit aus? Der KURIER hat im Landwirtschaftsministerium, das auch die Wasseragenden innehat, nachgefragt.
Welche Regionen sind besonders von der Trockenheit betroffen?
Die Grundwassergebiete von Salzburg ostwärts und im Süden sind bereits seit Frühjahr auf einem niederen Niveau. Gebiete in OÖ, im nördlichen Burgenland und im nö. Weinviertel haben einen sehr niedrigen Grundwasserstand, der an einigen Stellen unter den vieljährigen Minimal liegt.
Kann sich die Situation noch entspannen?
Kommt wieder ein heißer und trockener Sommer, ist eine ausgeglichene Wasserbilanz zumindest bis zum Herbst nicht zu erwarten. Bereits seit 2017 zeigt sich ein Defizit in der Jahresniederschlagssumme in OÖ, in NÖ, im Burgenland und in weiten Teilen der Südsteiermark. Aufgrund der niederschlagsreichen Winter 2017/’18 und 2018/’19 und des feuchten Mais 2019 war das im Vorjahr kein großflächiges Problem für die Landwirtschaft. Heuer ist die Trockenheit stärker – aufgrund fehlender Niederschläge im Süden und Osten Österreichs. Immer mehr landwirtschaftliche Kulturen müssen bewässert werden. Das trockene und warme Klima begünstigt die Ausbreitung von Schädlingen.
Was bedeuten niedrige Wasserstände in Seen und Flüssen für die Artenvielfalt?
Niedrige Wasserstände und hohe Temperaturen haben vielfältige Auswirkungen. Steigende Temperaturen beeinflussen die Entwicklungszyklen der Gewässerlebewesen und begünstigen etwa Parasiten und Infektionskrankheiten. Kälteliebende Arten wie Forellen oder Äschen werden zurückgedrängt, wärmeliebende wie Wels oder Hecht können sich stärker ausbreiten. Änderungen im Artenspektrum werden derzeit schon beobachtet. Auch die Wasserqualität wird durch Wassermenge und Temperatur beeinflusst. Kühle und tiefe Gebirgsseen sind von den Entwicklungen nur gering betroffen.
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