Salzburg-Bilanz in Superlativen: Die festesten Spiele
Was vom Musikprogramm in Erinnerung bleiben wird:
Das größte Verdienst Intendant Markus Hinterhäuser hat mit seinen Opernproduktionen eine große Bandbreite an szenischen Deutungen geboten. Von Romeo Castellucci bis Krzysztof Warlikowski, von Lydia Steier bis Hans Neuenfels und Jan Lauwers – diese Dichte an faszinierenden Regisseuren wird man nirgendwo anders finden, schon gar nicht 300 km östlich. Das Publikumsinteresse war enorm, unabhängig von der Prominenz der Sänger.
Die beste Produktion „Salome“ von Richard Strauss – dank des Dirigenten (Franz Welser-Möst), dank des Orchesters ( Wiener Philharmoniker), dank der rätselhaften Regie ( ) und dank einer phänomenalen Protagonistin (der Sopranistin Asmik Grigorian).
Die innovativste Produktion „L’incoronazione di Poppea“ von Claudio Monteverdi (siehe Hauptbild) in der Inszenierung und vor allem Choreografie von Jan Lauwers. Selten wurden unterschiedliche Genres so raffiniert vernetzt.
Die größte Verirrung Mozarts „Zauberflöte“ mit Constantinos Carydis als Dirigent und Lydia Steier als Regisseurin. Diese Produktion hat die Verlegung ins Große Haus (geplant war das Haus für Mozart) nicht ohne Schrammen überlebt. Auch die meisten Stimmen waren für diesen Anlass und Raum zu klein. Dass Bruno Ganz krankheitshalber absagen musste, erschwerte die „Zauberflöten“-Prüfung zusätzlich. Wobei die Streichung der Texte und die von KM Brandauer stattdessen erzählte Rahmenhandlung dramaturgisch gut funktionierte.
Die größte Entdeckung Das war neben Asmik Grigorian als Salome der Tenor Sean Panikkar als Dionysus in Henzes „The Bassarids“.
Die größte musikalische Avantgarde Die lag im Opernbereich einige Jahrzehnte zurück. Sowohl Gottfried von Einems „Der Prozess“ (aus dem Jahr 1953) als auch Hans Werner Henzes „Bassariden“ (1966) wurden wieder zum Erfolg und wirken kompositorisch immer noch innovativ. Ein bisschen „Wickie, Slime und Paiper“ auf Oper. Was aber auch zur Frage führt: Ist seither wirklich so wenig passiert?
Die harmloseste szenische Produktion Die stammte ausgerechnet vom einstigen Salzburg-Rebellen Hans Neuenfels. Seine „Pique Dame“-Inszenierung war eine wenig analytische, ästhetisierende Bebilderung. Auch die Besetzung hätte besser sein können. Umso mehr begeisterte das Dirigat (Mariss Jansons).
Das beste Orchester Ganz klar die Wiener Philharmoniker. Auch deren Bandbreite war heuer enorm.
Die größten Starnächte Die sind am Schluss angesetzt. Das Konzert von Anna Netrebko und Yusif Eyvazov sowie die konzertante Aufführung der „Perlenfischer“ von Bizet, bei der Plácido Domingo zumindest sang und nicht (wie in Bayreuth) dirigierte.
Der größte Hype Den gab es um das Beethoven-Projekt von Teodor Currentzis. Dieses gewinnt auch die Kategorien „radikalste Dekonstruktion“, „erhellendste Momente“ und – „größte Nervensäge“.
Schauspiel: Bisse, Küsse und viele Verzahnungen
Das überzeugendste Konzept Nur der für viele schwer verdauliche Brocken „Hunger“ fiel heraus: Bettina Hering, Leiterin des Schauspiels, ist es gelungen, ihr Programm (vier Produktionen plus „Jedermann“) mit der Oper und die Produktionen auch untereinander zu verzahnen. Dov Grinstein etwa, der krebskranke Comedian (in „Ein Pferd kommt in die Bar“), muss sich zwar nicht, wie der Lebemann am Domplatz, dem Jüngsten Gericht stellen, aber er stellt sich (s)einem Richter.
Die sinnvollsten Verzahnungen Salome begehrt Jochanaan, Penthesilea Achilleus: Die eine lässt den Mann köpfen, die andere zerfleischt ihn. „Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das eine für das andre greifen“, erkennt Penthesilea zum Schluss. Und Poppea erhält (bei Monteverdi) auf die Frage, wie die Küsse ihrer Lippen gewesen seien, von Nero die Antwort: „Je mehr sie Bisse waren, desto lieber.“ Zudem gab es einen Komplex griechischer Mythen: „Die Perser“ und „Penthesilea“ ergänzten Henzes „The Bassarids“ (nach Euripides).
Die nervigste Mutwilligkeit Keine gute Idee war es hingegen, „Penthesilea“ und „Kommt ein Pferd in die Bar“ auf jeweils zwei Figuren zu reduzieren. Denn in beiden Fällen braucht es den oder die – im Originaltext vorhandenen – Beobachter. Auch der unbedingte Wille zur Dramatisierung – auf Romanen basieren „Kommt ein Pferd in die Bar“ und „Hunger“ – geht auf die Nerven. Vor allem dann, wenn man, wie bei Frank Castorf, Quellenstudium betrieben haben muss, um die Assoziationen verstehen zu können.
Die gemeinsten Sitze Die Drop-out-Quote war beachtlich – nicht nur bei „Hunger“. Das sollte Hering ernst nehmen. Denn wenn sich herumspricht, dass die Theaterproduktionen mühsam, unverständlich und furchtbar lang sind, wird das Publikum wegbleiben. Zumal die Bänke auf der Pernerinsel bei sechsstündigen Inszenierungen und die knarrenden Sitze am Balkon des Landestheaters eine echte Frechheit sind.
Die brillanteste Inszenierung Dass man einen klassischen Stoff sehr wohl sehr zeitgenössisch interpretieren kann, ohne ihn umschreiben oder dekonstruieren zu müssen, bewies Ulrich Rasche mit „Die Perser“ von Aischylos. Überwältigend!
Der ödeste Klamauk Im Gegensatz dazu wirkte der „Jedermann“ auch in der Neubearbeitung läppisch. Natürlich gefällt sie – mit einem Teufel als Trottel und billigen Gags.
Der wunderbarste Einspringer Was möglich wäre, vermochte fünf Vorstellungen lang Philipp Hochmair zu demonstrieren – als Ersatz für den erkrankten Tobias Moretti. Denn er ließ Gefährlichkeit in der Figur des Jedermanns aufblitzen.
Das größte Theater Teodor Currentzis ist nicht nur ein Dirigent, sondern auch ein fulminanter Selbstdarsteller. Er macht die Show.