Salzburger Festspiele: "Kommt ein Pferd in die Bar"

Salzburger Festspiele: "Kommt ein Pferd in die Bar"
Kritik. „Kommt ein Pferd in die Bar“ wird fulminant, wenn sich die Dramatisierung zurücknimmt

„Kommt ein Pferd in die Bar“, 2014 vom israelischen Autor David Grossman veröffentlicht, ist ein virtuos gebauter Roman, der einen unglaublichen Sog entwickelt – und zu Tränen rührt.

Ein Ich-Erzähler berichtet – zunächst aus größtmöglicher Distanz – über den letzten Auftritt des Stand-up-Comedian Dov Grinstein just an dessen 57. Geburtstag. Für seine Abschiedsvorstellung hat sich der kleine, extrem magere Possenreißer mit der schief sitzenden Brille und den vielen Sommersprossen eine schäbige Halle im Industriegebiet bei Cesarea ausgesucht. Er trägt Cowboystiefel mit hohen Hacken, Hosenträger und ein verwaschenes T-Shirt; mit einem riesigen roten Taschentuch, wie es Zauberer im Zirkus haben, wischt er sich den Schweiß von der Stirn. Er nennt sich eine „Publikumshure“, für eine Pointe gibt er seine Eltern der Lächerlichkeit preis. Nicht nur einmal.

Persönliches Urteil

Schon bald erfährt man, dass Dov, an Prostatakrebs erkrankt, den Erzähler, einen scharfzüngigen wie unbeugsamen Richter, gebeten hatte, dem Abend beizuwohnen. Weil er sich ein Urteil, ein „persönliches Urteil“ erhofft.

Und nun, als Ergänzung, Kommentar zum Bericht über den Auftritt des „Hampelmanns“, erinnert sich der Richter an die gemeinsamen Erlebnisse in der Jugend ... Je länger der Auftritt dauert, desto mehr wird auch er auf sich selbst zurückgeworfen. Er muss sein Vorurteil über den Narren revidieren.

Dušan David Pařízek hat für die Dramatisierung, die am Mittwoch bei den Salzburger Festspielen (als Koproduktion mit dem Burgtheater und dem Deutschen Theater Berlin) uraufgeführt wurde, die eminent wichtige Figur des Richters gestrichen. Der Preis für diese Mutwilligkeit ist hoch: Wer den Roman nicht kennt, weiß lange Zeit nicht, worauf der Abend hinausläuft. Es fehlen die Spannungsmomente, die Andeutungen, Vorahnungen.

In der „Fassung“ des Regisseurs, der auch das Bühnenbild entwarf, steht ein Jedermann nicht vor seinem Richter – sondern vor dem Publikum. Die fast beiläufige Anrufung „Hohes Gericht, meine Damen und Herren Geschworenen, jetzt geht es um Leben und Tod“ ist allerdings zu wenig. Enttäuscht, ratlos, überfordert werden etliche Zuschauer das Weite suchen. Vor allem jene aus der hinteren Hälfte.

Denn Pařízek hat im ungeschönten Republic-Saal nur für die ersten Reihen inszeniert. Samuel Finzi agiert dermaßen knapp an der Tribüne, dass viele recht wenig sehen. Dies bessert sich erst, wenn er seine Close-up-Selfies, aufgenommen mit einer Videokamera, auf das hölzerne Quadrat hinter sich projiziert.

Zudem wendet sich Finzi mit seinen Blicken nur an die Menschen nächst zu ihm. Einzig sie sind seine Geschworenen. Er spricht manchmal extrem schnell, dann wieder betont leise. Man muss also, wenn man entfernt sitzt, die englische Übertitelung mitlesen, um zu verstehen, was Samuel Finzi in seinen Bart murmelt.

Natürlich ist die Darbietung, wie in der Vorlage, eine Selbstentäußerung. Finzi, dessen grauer Anzug sich mit der Zeit in Einzelteile auflösen wird, schlägt sich brachial die Stirn blutig; er zeigt den Bauch her, macht sich „nackt bis auf die Prostata“.

Doch dass Dov tatsächlich bis zu den Eingeweiden vordringen wird, war nicht vorgesehen. Gebracht wird er dazu von einem „Däumelinchen“ mit Sprachbehinderung, das sich als Nachbarskind vorstellt. Dovele sei, sagt sie, der gute Junge gewesen, der immer auf den Händen lief. Er tat dies, um seine Mutter zum Lachen zu bringen.

In der „Fassung“ von Pařízek aber ist die Pitz, verkörpert von Mavie Hörbiger, bloß ein schüchternes Wesen mit riesigen Augen und einer schnoddrigen Sprache. Sie hat Dov eine Tasche voll Erinnerungsstücken mitgebracht. Auf die Bühne gezerrt und festgehalten wird sie als Handlangerin und Stichwortgeberin fungieren.

Strudel der Bilder

Die verdrängten, jetzt gegenwärtigen Erinnerungen lassen Dov einen Handstand versuchen. Dabei fällt das Geviert, vor dem Finzi wie ein Delinquent stand, mit lautem Getöse nach hinten um – und Dovele verliert sich geradezu in einem Strudel der Bilder und Begebenheiten.

Erst nach etwa zwei Stunden verzichtet Pařízek auf Mätzchen und Metaphern. Finzi steht nur mehr auf dem Geviert, das zum Podest geworden ist, um ruhig, konzentriert die monströse Geschichte eines zunächst ominösen Begräbnisses zu erzählen. Nun lauschen alle gebannt. Nun geht niemand mehr. Die Erkenntnis ist banal: Große Literatur braucht kein Spektakel.

Großer Beifall nach zweidreiviertel Stunden für Finzi, der unglaubliche Textmengen zu bewältigen hatte, und für den anwesenden Autor David Grossman.

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