Warum Schulen in London so viel besser sind als in Wien
Manchmal hat man die besten Ideen, wenn man nicht am Schreibtisch sitzt. So ging es Roland Bernhard im Jahr 2016 – während einer Autofahrt: „Ich überlegte mir, was das Wichtigste in Zusammenhang mit Bildung ist. Es ist doch die Frage, wie man Schülerinnen und Schüler wirklich voranbringt – besonders die benachteiligten.“
Damals wurde viel über den London-Effekt diskutiert. Öffentliche Schulen haben es dort geschafft, innerhalb von 20 Jahren von den schlechtesten zu den besten in England zu werden. Wie das gelang, hat der Bildungswissenschafter erforscht.
KURIER: Wie kam der Erfolg dieser Londoner Schulen?
Roland Bernhard: Der wichtigste Erfolgsfaktor sind die Lehrpersonen und die Menschen, die in der Schule arbeiten. Um die Lehrkräfte zu stärken, werden in London Schulleitungen freigespielt – deren Hauptaufgabe es ist, die Schule pädagogisch zu leiten. Sie besuchen den Unterricht, kümmern sich gut um die Elternarbeit und schauen, welche Firmen und Unis sie in die Schulen holen können, damit diese Schülerinnen und Schülern eine neue Welt erschließen.
In Österreich sind Schulleitungen vor allem mit Verwaltungsaufgaben eingedeckt.
Ja, die könnten auch von Sekretariaten erledigt werden. Wenn wir in Österreich so etwas Ähnliches wie den London-Effekt wollen, müssen wir die Direktoren für die pädagogische Arbeit freispielen und ihnen ermöglichen, wirklich die Führung zu übernehmen. Ihre Aufgabe sollte ja sein, gemeinsam mit Lehrkräften den Unterricht und die Schulkultur zu verbessern. In Österreich haben wir jetzt ein Qualitätsmanagement-System eingeführt – das geht in die richtige Richtung, ist allerdings möglicherweise schwierig umzusetzen, wenn Direktoren dafür wenig Zeit haben, weil sie dauernd Listen ausfüllen müssen. Dass wir darüber hinaus noch kein stark etabliertes mittleres Management an Schulen haben, ist ebenfalls wenig hilfreich.
Die Schulleitung geht in die Klassen. Wie geht sie da vor?
Nicht nur Schulleitungen, Lehrkräfte besuchen sich auch gegenseitig. In England half es, dass Bildungswissenschafter den Auftrag erhielten, eine Plattform zu errichten. Auf dieser werden Methoden, mit denen man Schulqualität und Unterricht entwickeln kann, aus streng wissenschaftlicher Sicht bewertet – und die Frage beantwortet: „Was wirkt wirklich?“ Das hat sich die englische Regierung 100 Mio. Pfund kosten lassen und die Plattform wird in den Londoner Schulen sehr intensiv verwendet.
Das klingt sehr theoretisch. Nennen Sie ein Beispiel.
Nehmen wir an, Sie suchen eine Methode für eine Schulqualitätsverbesserung, die wenig kostet, aber sehr effektiv ist. Ein äußerst wirksamer und günstigster Weg ist es etwa, Strategien für das Lernen lernen zu vermitteln. Zu solchen Themen werden in London ständig Fortbildungen für Lehrpersonal angeboten, die in der Regel von anderen Lehrkräften durchgeführt werden. Die Aufgabe von Schulleitungen ist es, solche wirksame Methoden in die Praxis zu bringen.
Das heißt, Lehrpersonen müssen neue Methoden lernen.
Naja, es geht darum, von jenen Lehrpersonen zu lernen, die gute Ergebnisse bringen. Die Fortbildungen werden von Menschen aus der Praxis durchgeführt. Man könnte sagen, dass der London-Effekt nichts anderes war als eine riesengroße Fortbildungsinitiative. Und man hat von den Besten gelernt: In England wird auf der Schulhomepage veröffentlicht, wie gut es einem Standort gelingt, Lernfortschritte bei den Schülerinnen und Schülern zu erzielen. Man weiß auch genau, welche Lehrkräfte besonders gute Ergebnisse bringen. Gute Schulen wurden zu „teaching schools“ ernannt, die andere Schulen coachen, und ihre Direktoren wurden ausgezeichnet und gebeten, mit anderen Schulen ihre Erfahrungen zu teilen – ein wichtiger Punkt.
Wurde so das Ansehen der Lehrkräfte und Schulleitungen erhöht?
Ja. Es muss auch uns gelingen, das Prestige von Menschen im Schulsystem zu erhöhen, weil sie unsere wichtigste Ressource sind. Man sollte in Österreich eine Charmeoffensive starten, um das Ansehen des Lehrberufs zu steigern – wir brauchen die Besten in dem Beruf. In England sind übrigens Quereinsteiger, die eine kurze und prestigeträchtige pädagogische Ausbildung erhalten, ein wesentlicher Motor des London-Effekts.
Vieles könnte eine Schulleitung bei uns nicht umsetzen.
Dafür bräuchte es mehr Schulautonomie, die in England von Labour eingeführt und von den Konservativen ausgebaut wurde: Die Schulen können sich aus dem Lehrplan und der staatlichen Umklammerung befreien, werden aber auch zur Verantwortung gezogen für die Ergebnisse und die Zufriedenheit von Eltern, Schülern und allen Beteiligten. Zudem können seither Sponsoren in die Schulen geholt und Lehrkräfte besser bezahlt werden.
Was kann Österreich von London lernen?
Auch wenn die Kulturen unterschiedlich sind, kann man Elemente übernehmen, besonders in Brennpunktschulen. Man darf die Augen vor den Problemen nicht verschließen. Mein Zugang ist immer, zu schauen: Wie haben das andere gemacht, wo es funktioniert hat.
Roland Bernhard
hat an der Uni Salzburg habilitiert, lehrt an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems. Professor für Schulentwicklung, Leadership und Führungskultur. Den London-Effekt hat er 18 Monate lang an der Uni Oxford erforscht. Finanziert wurde das mit gut 300.00 Euro vom österreichischen Wissenschaftsfonds.
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