"Kinder ohne Smartphone sind erfolgreicher"
Es hat einen guten Grund, warum IT-Gurus wie Steve Jobs und führende Ingenieure im Silicon Valley ihre Kinder möglichst lange vor übermäßiger Bildschirmnutzung schützen. Manche werden sogar bewusst in Schulen geschickt, wo Handy und Computer verpönt sind.
Fritz Weilharter ist vierfacher Vater, war selbst Lehrer und ist Professor für Sportpsychologie in Berlin. In seinem Buch „Die neue Elite. Warum Kindern ohne Smartphone die Zukunft gehört“ (edition a) plädiert er dafür, Kindern erst ab dem Alter von 12 Jahren ein eigenes Smartphone zu geben, um sie besser in ihrer Entwicklung zu fördern. Im Interview mit dem KURIER erklärt er, warum das so wichtig ist, welche Rolle Eltern dabei spielen und wie es am besten gelingt, Kinder möglichst lange vom Bildschirm fernzuhalten.
KURIER: Bei vielen Eltern gilt der frühe Umgang mit Handy und Co. als Vorteil, weil es sie darauf vorbereiten soll, sich in der digitalen Welt zurechtzufinden. Was ist daran falsch?
Fritz Weilharter: Bei meinen Recherchen für mein Buch ist deutlich geworden, dass es in Richtung einer neuen Elite geht. Jene Kinder, die wenig bis gar keine Bildschirme zur Verfügung hatten, haben Fähigkeiten und Kompetenzen weiterentwickelt, für die sie als kleine Kinder gebrannt haben und für die sie ein hohes Level entwickeln konnten. Da sieht man einen deutlichen Unterschied zu jenen, die ihre Langeweile mit Handys abtöten. Wir wissen, dass Langeweile ein ganz wichtiger Impuls für Weiterentwicklung ist. Je länger Eltern es aushalten, analoge Impulse anzubieten und die intrinsische Motivation der Kinder zu halten, umso mehr tragen sie dazu bei, dass ihre Kinder zur neuen Elite gehören.
Die Gründe, einem Kind ein eigenes Handy zu geben, sind ja vielfältig: Oft ist es der Gruppendruck, weil viele Freunde schon ein Gerät besitzen. Vielen Eltern geht es auch darum, ihr Kind im Notfall erreichen zu können. Wie geht man damit um?
Ich habe selbst vier Kinder, die jüngeren sind 15 und 16. Nachgeben ist einfach – man muss stark sein und Nein sagen. Was Eltern brauchen, ist Stärke und das Wissen darüber, dass ich mein Kind mag und ihm liebevoll sage: „Das ist jetzt bei uns so.“ Das halten sie aus. Wir haben immer die Zeit begrenzt – beim Essen das Handy immer weggegeben, wir haben handyfreie Tage gemacht und Urlaub auf einer Hütte ohne Strom, denn wenn’s keinen Strom gibt, gibt’s auch kein Handy. Es lohnt sich, Nein zu sagen und das ist ein Reibungsprozess, der gerade in der Pubertät auch wichtig ist. Das muss man aushalten, das ist Teil der Elternschaft.
Digitale Angebote und Beschäftigung am Bildschirm gibt es teilweise ja sogar schon in Kindergärten ...
In so einen Kindergarten würde ich mein Kind nicht geben. Zu sagen, man muss für digitale Kompetenz früh mit dem Tablet arbeiten, ist Unsinn. Diese Fähigkeiten habe sogar ich erlernt – Kinder können das binnen Tagen lernen. Um in der Industrie einen guten Job zu machen, muss man ein guter Mathematiker sein und dafür muss man sich kognitiv gut entwickelt haben.
Sie schreiben, jene Kinder, die mit den Handys zurückhaltender umgehen, liefern bessere Leistungen ab. Ist das nicht eher eine Frage der Bildung der Eltern? Also dass jene Kinder erfolgreicher sind, deren Eltern sensibler mit dem Thema umgehen?
Natürlich wird Bildung vererbt, auch kritische Menschenbildung ist ein Ergebnis eines multifaktoriellen Prozesses. Aber: Mehr und mehr müssen sich Eltern damit beschäftigen, wie sie sich selbst mit Bildschirmen und Medien verhalten, weil Kinder alles nachahmen und modellieren. Die Bindung der Mutter und des Vaters zu dem Kind ist ein Erfolgsgarant für ein gutes Leben, vor allem in den ersten Jahren. Da spielt sogar mit, ob Mütter beim Stillen das Handy neben sich haben. Gelingt es, dass Kinder sich motorisch austoben können? Auch das fördert die Gedächtnisbildung. Es geht darum, Kindern in den ersten zwölf Jahren möglichst wenig Bildschirme als Sedierung und Ablenkung zu unterbreiten und stattdessen analoge Angebote zu bieten, damit sie ihre Kreativität und Begabung entfalten können. Dass das mit unterschiedlichen Bildungsschichten zu tun hat, ist klar. Das ist trotzdem ein zunehmender Faktor für die Bildung der neuen Eliten.
So mancher argumentiert vielleicht, dass wir Elterngenerationen doch auch viel vor TV und Spielkonsolen gehangen sind – was ist der Unterschied?
Digitale Geräte haben Algorithmen im Hintergrund, die darauf abzielen, dass der Nutzer ständig dranbleiben muss. Ein Youtube-Film, ein Social-Media-Programm, ein Herzchen – das hat alles den Sinn, dass alle so lange wie möglich dranbleiben müssen. Das war beim Fernsehen früher anders. Da hat man ausgeschaltet, weil der Film aus war. Ich habe nichts gegen Filme. Fernsehen hat damals auch schon kritische Diskussionen hervorgebracht, aber eine Sendung hat ein Ende, während es endlos viele Handyvideos gibt.
Umfragen zufolge verbringen 10- bis 15-Jährige heute mindestens zwei bis drei Stunden am Tag mit digitalen Spielen. Ab wann sollten bei Eltern die Alarmglocken läuten?
Das hängt vom Alter ab und davon, ob sie beginnen, andere Dinge nicht mehr zu tun. Wenn Kinder beginnen, nicht mehr hinauszugehen oder Freunde zu treffen. Wenn sie das, was sie früher gemacht haben – etwa Musizieren, Sport, Basteln –, nicht mehr tun und die Zeit digital verbringen, dann ist es oft schon fünf vor zwölf. Ich hatte einen Fall, wo ein Fünfjähriger beim Essen Schreianfälle bekam, weil er das Tablet nicht haben durfte. Dann ist es schon fünf nach zwölf.
Wünschen Sie sich konkrete gesetzliche Vorgaben zu Beschränkungen? In China wurde die Spielzeit für unter 18-Jährige gerade von den Behörden auf drei Stunden pro Woche beschränkt.
Wenn man das Beste für die Kinder will, müsste man jede Gefährdung von Kindern, in Abhängigkeiten zu gelangen, drastisch unterbinden. Handys sind ja grundsätzlich Arbeitsinstrumente und dafür sind sie super. Aber ein Kind ist noch nicht psychisch reif, um eigenverantwortlich damit umzugehen. Wenn ab 2022 Gaming als eigenes Krankheitsbild anerkannt wird, dann muss man Rahmenbedingungen setzen, die dem entgegenwirken.
Ich finde es sinnvoll, zu überlegen, was bedeutet Kindeswohl und wo muss man Regeln setzen. Alle Anbieter von Computerspielen sollten etwa eine Altersgrenze einziehen – genauso wie bei Nikotin. Das Bildungsministerium sollte festlegen: Kinder müssen in der Schule das Handy abgeben und bekommen es am Heimweg wieder. In Frankreich und Bayern hat das anfangs für Aufregung gesorgt und ist inzwischen normal.
Buchtipp: „Die neue Elite. Warum Kindern ohne Smartphone die Zukunft gehört“ von Fritz Weilharter, edition a
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