Wird die brasilianische Virus-Variante zum Risiko für Österreich?
Die Aufregung war Dienstagfrüh groß. Nun könnte auch die brasilianische Coronavirus-Variante P.1 in Österreich angekommen sein, in Salzburg soll es einen Verdachtsfall geben. Das Land und die AGES bestätigten dies später auch.
Anders als bei Verdachtsfällen der britischen und südafrikanischen Variante ist das Vorscreening aber noch nicht sehr aussagekräftig. Der Hinweis auf eine entscheidende Mutation im Virus würde in dem konkreten Salzburger Fall fehlen – weshalb Experten noch sehr zurückhaltend sind. Das Ergebnis der Ganzgenom-Sequenzierung ist erst in einigen Tagen zu erwarten. Die betreffende Person ist übrigens schon wieder genesen und mit negativem Test aus der Quarantäne entlassen.
Die Variante P.1 gilt ebenfalls als infektiöser und als unempfindlicher gegenüber bisherigen Impfstoffen (siehe Grafik unten). Weltweit ist sie bereits in 36 Ländern nachgewiesen , darunter in Deutschland, Italien und Tschechien.
„Weltfremd“
„Infektiologe Franz Allerberger, Leiter des Bereiches „Öffentliche Gesundheit“ bei der AGES, betont – unabhängig von diesem unklaren Verdachtsfall – , dass früher oder später mit einzelnen Fällen auch dieser Variante in Österreich zu rechnen sei: „Man wird sie nicht von Europa fernhalten können. Das zu glauben wäre weltfremd.“
Besonders unangenehm macht die brasilianische und die südafrikanische Variante die Mutation E484K – diese scheint ein Grund zu sein, dass die Wirksamkeit von Antikörpern nach einer Impfung oder natürlichen Infektion offenbar reduziert ist.
Doch Allerberger ist zuversichtlich, dass durch Testen und Kontaktnachverfolgung die Ausbreitung dieser beiden Varianten verhindert werden könne: „Wien hatte fünf importierte Fälle der südafrikanischen Variante, aber es entstand kein Cluster.“ Auch in Tirol sei es durch die Maßnahmen bisher gelungen, die Ausbreitung unter Kontrolle zu bringen: „Es scheint keine explosionsartige Vermehrung zu geben.“
Am Dienstag hat Deutschland, wie erwartet, seine Grenzkontrollen zum als Virusvariantengebiet eingestuften Tirol ungeachtet der Kritik der EU-Kommission an der Maßnahme bis 3. März verlängert. Auch die Verbote für die Einreise, für die es nur wenige Ausnahmen gibt, bleiben aufrecht.
Im Bundesland selbst wird weiter mit intensivem Contact Tracing und begleitenden Maßnahmen versucht, die südafrikanische Virus-Variante B.1.351 einzudämmen. Ein explosionsartiges Geschehen konnte offenbar verhindert werden. Im Schnitt der vergangenen sieben Tage wurden jeweils weniger als zehn neue Verdachtsfälle bekannt.
Gebannt ist die Gefahr jedoch nicht, wie ein am Dienstag bekannt gewordener Cluster in Mayrhofen im Zillertal im Hotspot-Bezirk Schwaz zeigt. Der Kindergarten wurde wegen eines Verdachts auf die Südafrika-Variante gesperrt. Auch eine Schule wurde geschlossen.
Infektionsketten
Neben Tirol wurde B.1.351 bisher in Wien, Salzburg, der Steiermark und Kärnten entdeckt bzw. gab es Verdachtsfälle. Bei den Betroffenen handelt es sich zum Teil um Reiserückkehrer sowie um Personen, bei denen die Infektionskette nach Tirol zu weisen scheint.
So haben sich in Kärnten bei Sequenzierungen alter Covid-Fälle in einer Kaserne in Spittal an der Drau zwei B.1.351-Fälle bestätigt. Bei einem der beiden Soldaten handelt es sich um den Sohn jener Kärntnerin, bei der der Mutationsverdacht am Sonntag bestätigt wurde. Er soll in Tirol im Einsatz gewesen sein.
Ganz anders bei der britischen Variante B. 1.1.7: „Hier ist der Zug abgefahren, sie ist flächendeckend verbreitet. In ein paar Wochen wird sie 90 Prozent der positiven Fälle ausmachen. Am vierten Jänner haben wir die ersten vier bestätigten Fälle aus Österreich publiziert – und jetzt liegt im Burgenland der Anteil bei 70 und in Wien bei 50 Prozent.“ Ähnlich Komplexitätsforscher Peter Klimek vom Complexity Science Hub (CSH) in Wien: „Diese Variante hat in den östlichen Bundesländern das Infektionsgeschehen bereits übernommen.“
„Sehr ernst nehmen“
Das sei kein Weltuntergang, betont Allerberger: „Wenn die Sterblichkeit tatsächlich erhöht wäre – wie es diskutiert wird –, müsste man das meiner Meinung nach schon sehen. Das ist aber nicht der Fall.“ Trotzdem müsse man die Ausbreitung sehr ernst nehmen: Die um rund 30 Prozent höhere Infektiosität könnte – „wenn der Frühling nicht rechtzeitig kommt“ – noch einmal zu einer Belastung der Intensivstation führen: „Ich fürchte, das steht uns noch einmal bevor, bevor der Winter vorbei ist.“
RNA-Viren haben es an sich, ständig zu mutieren. „Das heißt, die Kopiermaschine ihrer 30.000 genetischen Buchstaben ist fehlerhaft“, erklärte der Virusimmunologe Andreas Bergthaler. Mutationen entstehen zufällig – „wenn sie einen Vorteil für das Virus liefern, dann können sie sich durchsetzen“.
Und so poppen weltweit Meldungen über immer neue Varianten auf – zuletzt etwa in Italien. Seit dem Spätherbst verästelt sich der Virus-Stammbaum verstärkt in Varianten, die auch weiter vom Stamm wegreichen. Man müsse wachsam bleiben, dürfe aber nicht quasi im Wochentakt in „Alarmismus“ verfallen, sagt Bergthaler. Ähnlich Allerberger: „RNA-Viren ohne Mutationen hat es nie gegeben. Das war immer schon so.“ Und wie ist – auch angesichts der Varianten – der Ausblick des Infektiologen? „Ich hoffe, dass die natürliche Immunität von Genesenen und die Impfungen dazu führen werden, dass wir im kommenden Herbst SARS-CoV-2 nur mehr als normalen Winterinfekt sehen, der nicht mehr Schrecken macht als eine saisonale Grippe.“
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