Virologin Dorothee von Laer: "Die Pandemie ist am Auslaufen"
Die Virologin Dorothee von Laer leitet das Institut für Virologie der Medizinischen Universität Innsbruck.
KURIER: Die Bundesregierung will bis Ende Juni sämtliche Coronavirus-Krisenmaßnahmen beenden. Heißt das, dass die Pandemie vorbei ist?
Dorothee von Laer: Ich würde es so formulieren: Die Pandemie ist am Auslaufen, sie ist weitestgehend zu Ende. Eine Pandemie ist dann beendet, wenn der überwiegende Teil der Bevölkerung immun ist und das Virus nicht mehr in starken Wellen durchrauschen kann. Und in dieser Situation sind wir ja momentan. Die wenigen Maßnahmen, die wir derzeit noch haben, sind ja nicht wirklich entscheidend für die Höhe der Infektionszahlen bzw. für die Inzidenzen.
Obwohl also schon jetzt nur mehr wenige Maßnahmen in Kraft sind, sind die Inzidenzen relativ kontrolliert und wir sehen keine extremen Wellen mehr. Es scheint also eine gute Grundimmunität in der Bevölkerung zu geben.
Derzeit steigen aber die Infektionszahlen wieder deutlich an, offenbar durch die Ausbreitung der bisher infektiösesten Omikron-Subvariante XBB.1.5.
Ja, die Inzidenzen steigen, aber noch steigen nicht die Patientenzahlen auf den Normal- und Intensivstationen. Und wir sind weit weg von Situationen, dass durch Covid-19 Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenze kommen. Die Situation ist jetzt so wie bei anderen Atemwegserkrankungen auch, dass sie einfach im Winter häufiger sind als im Sommer. Derzeit sind wir mit Corona in einem Zustand, wie wir ihn seit vielen Jahrzehnten auch bei der Grippe haben.
Aber offenbar kann man sich trotz einer Immunität, die durch Impfungen und frühere Infektionen aufgebaut wurde, jetzt wieder verstärkt infizieren, weil XBB.1.5 die bestehende Immunität teilweise umgehen kann.
Ja, aber es handelt sich meist um eher leichte Infektionen. Und unser Immunsystem hat ja zwei Arme: Zum einen die Antikörper und zum anderen die zelluläre Immunantwort mit den T-Zellen, den Killerzellen. Den Antikörperschutz, der verhindert, dass man sich überhaupt infiziert, den kann eine neue Virusvariante teilweise überwinden. Aber die Killerzellen, die verhindern, dass es zu schweren Verläufen kommt, die schützen nach wie vor.
Diese Killerzellen können zwar die Infektion nicht verhindern, aber sie unterdrücken letztlich die Virusvermehrung so gut, dass man deutlich seltener ins Krankenhaus oder auf eine Intensivstation muss. Und diese Immunität ist unabhängig von der Virusvariante. Trotzdem ist es natürlich gut und wichtig, vorsichtig zu sein und zu versuchen, Infektionen so gut es geht zu vermeiden. Zumal ich denke, dass wir eine relativ hohe Dunkelziffer haben.
Wieso?
Die von der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) gemeldeten Inzidenzen beruhen ja nur auf jenen Infektionen, die mittels PCR-Test bestätigt sind. Mein Eindruck aber ist, dass sich viele Menschen gar nicht mehr testen bzw. nur zu Hause einen Antigentest machen. Ist das Ergebnis dann positiv, halten sie sich ein wenig von ihren Mitmenschen fern, ohne, dass diese Infektion offiziell bekannt wird.
Ist dann also das Tragen von Masken zumindest dort, wo viele Menschen zusammen kommen, weiterhin sinnvoll?
Natürlich. Es wäre auch schon vor Corona im Winter sinnvoll gewesen, um nicht andere Menschen anzustecken. Denn man kann sowohl bei der Grippe als auch bei Corona bereits zwei Tage vor dem Auftreten der ersten Symptome ansteckend sein. Deshalb ist es jetzt im Winter weiterhin sinnvoll, dort, wo auf engem Raum viele Menschen zusammenkommen, die Maske aufzusetzen, so, wie man das auch in Asien macht.
Und man sollte auch nicht die Menschen belächeln, die das tun. Diese sind einfach rücksichtsvoll, weil man ja nie weiß, ob man auf einen Menschen trifft, der vielleicht Krebs oder eine andere Erkrankung, die das Immunsystem schwächt, hat. Und rund zehn bis zwanzig Prozent der Bevölkerung fallen unter die Bezeichnung „vulnerabel“, weil sie etwa Asthma, Diabetes oder eine Herzerkrankung haben. Oder weil sie einfach älter sind.
Aber die vulnerablen Personen können sich ja sowieso auch schützen, indem sie selbst eine Maske tragen?
Natürlich haben sie dadurch einen Schutz. Aber ein gesunder junger Mensch ohne Vorerkrankung trägt die Maske ja primär deshalb, um andere zu schützen. Ob es jetzt im Winter etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maskenpflicht gibt, ist eine politische Entscheidung. Als Virologin kann ich nur sagen, in der Erkältungssaison ist das Tragen einer Maske immer überall dort sinnvoll, wo es ein Gedränge gibt – zum Schutz der anderen, und zum eigenen Schutz.
Apropos Schutz: In der Aufarbeitung der Pandemie wird auch diskutiert, ob Maßnahmen wie Lockdowns, Schulschließungen etc. wirklich notwendig waren.
Die Reaktionen der Staaten auf das Auftreten von SARS-CoV-2 umfassten ein breites Spektrum: Von „weitgehend alles laufen lassen“ wie anfangs in Schweden und lange Zeit in England bis zur extremen Null-Covid-Politik wie in China. Die meisten europäischen Staaten entschieden sich für einen Mittelweg. Das war aus meiner Sicht auch richtig. Denn England und Schweden haben, zumindest zu Beginn der Pandemie, umgerechnet auf eine bestimmte Bevölkerungszahl, deutlich mehr Covid-Todesfälle gehabt als etwa Österreich oder Deutschland. Und in China wiederum ist die Pandemie noch nicht vorbei. Letztlich konnte unser Mittelweg einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems verhindern und viele Menschenleben retten.
Aber manche Maßnahmen sind sehr umstritten, etwa die Schulschließungen.
Man kann jetzt sicher jede einzelne Maßnahme auf den Prüfstand stellen, die Auswirkungen analysieren und daraus für künftige Pandemien lernen. Was die Schulschließungen betrifft: Sie haben sicher Übertragungen des neuen Coronavirus von den Kindern auf ihre Eltern und auch Großeltern reduziert. Aber diese Reduktion an Infektionen hat man sich hart erkauft, mit negativen sozialen und psychischen Auswirkungen auf die Kinder und die Familien insgesamt, härter, als das mit dem Tragen von Masken oder anderen Maßnahmen der Fall gewesen wäre.
Im Rückblick betrachtet bin ich persönlich der Ansicht, dass man die Schulen nicht hätte schließen müssen. Man hätte – so wie man es dann auch im Laufe der Pandemie ja getan hat – mit intensivem Testen und dem Tragen von Masken den Unterricht weiter betreiben können. Vulnerable Kinder mit angeborenen Immundefekten etwa hätte man wahrscheinlich per digitalem Fernunterricht einbinden müssen, aber die gesunden Kinder hätten weiter zur Schule gehen können. Im Nachhinein ist das aber auch leichter zu beurteilen als in der konkreten Situation.
Wie wird es mit den Impfungen weitergehen?
Prognosen bei Corona sind riskant, aber ich lehne mich aus dem Fenster und sage, dass eine jährliche Impfung im Herbst – gemeinsam mit der Influenza-Impfung –, sinnvoll sein könnte, besonders für vulnerable und ältere Personen. Und natürlich auch für Menschen, die aufgrund ihres Berufes leicht andere anstecken können, wie Lehrerinnen und Lehrer, Kindergartenpädagoginnen und - pädagogen oder Krankenpflegepersonal. Dann könnte es auch gegen Corona jeweils an die zirkulierenden Virusvarianten angepasste Impfstoffe geben.
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