Varianten im Check: Wie gefährlich ist das mutierte Coronavirus?
Die britische Corona-Variante B.1.1.7 ist in Österreich mittlerweile je nach Region für bis zu 70 Prozent der Krankheitsfälle verantwortlich. In Großbritannien, wo B.1.1.7 erstmals nachgewiesen wurde, liegt dieser Wert bereits bei 90 Prozent. Die britische Variante ist aber längst nicht mehr die einzige Variant of Concern (VOC), also eine für das Pandemiegeschehen relevante Veränderung des SARS-CoV-2-Virus. In Brasilien sorgt derzeit die Variante P1 für ein exponentielles Wachstum der Fallzahlen, die Intensivstationen sind in 17 Bundeshauptstädten bereits zu mehr als 80 Prozent ausgelastet. Sind die derzeit beobachtbaren Varianten gefährlicher als der ursprüngliche Wildtyp? Eine Typologie.
B.1.1.7 – die Dominante
In Österreich ist B.1.1.7 die derzeit verbreitetste Variante des SARS-CoV-2-Virus.
Was sie gefährlich macht: B.1.1.7 ist ansteckender als der Wildtyp, da sie sehr leicht an die Rezeptoren im Nasen- und Rachenraum andockt. Viele Wissenschafter, etwa die britische Mikrobiologin Sharon Peacock von der Cambridge University, gehen davon aus, dass die britische Variante bald die dominante Variante weltweit sein wird.
Was besorgniserregend ist: B.1.1.7 mutiert weiter, was die Wirksamkeit von Impfstoffen beeinträchtigen könnte. So wurden zum Beispiel zunächst keine Hinweise auf eine veränderte Krankheitsschwere festgestellt. Laut Robert-Koch-Institut zeigt sich nun aber eine erhöhte Fallsterblichkeit. Experten gehen davon aus, dass B.1.1.7 sich weiter verändert hat. Daten aus Italien belegen, dass die britische Variante unter Schulkindern weit verbreitet ist.
Was uns schützt: Die zugelassenen mRNA-Impfstoffe wirken laut ersten Tests auch gegen die britische Variante. Bisher gibt es keine Hinweise, dass Reinfektionen schwere Verläufe auslösen.
P1 – die Gefürchtete
Zu der in Brasilien entstandenen Variante P1 gibt es derzeit noch wenig Daten. Sie hat Brasilien derzeit aber fest im Griff. Allein in den vergangenen 24 Stunden stieg die Zahl der Todesfälle auf 1700, es wird von ähnlichen Zuständen wie zu Beginn der Pandemie im März 2020 berichtet.
Was sie gefährlich macht: P1 ist hochinfektiös und kann auch bei Reinfektion schwere Verläufe auslösen. Der US-Epidemiologe Eric Feigl-Ding schrieb auf Twitter: "Ich übertreibe nicht damit, wie ernst es in Brasilien ist."
Was besorgniserregend ist: P1 könnte zur globalen Bedrohung werden, meint Brasilienexpertin Monica de Bolle, Forscherin an der Johns Hopkins University in Washington. Das exponentielle Wachstum sei größer als je zuvor. P1 ist nicht nur leichter übertragbar, sondern kann auch das Immunsystem täuschen. Diskutiert wird ein verringerter Effekt von Impfungen. Noch helfen Reisebeschränkungen, P1 wurde aber bereits in mehreren Ländern nachgewiesen.
B.1.351 – die Impfverweigerin
Die südafrikanische Variante wurde hierzulande erstmals Anfang Jänner in Tirol nachgewiesen.
Was sie gefährlich macht: Auch die südafrikanische Variante ist infektiöser als der Wildtyp und kann zu Reinfektionen führen. "Die Datenlage zur südafrikanischen Variante ist deutlich geringer als etwa zur britischen. Man weiß aber, dass sie der brasilianischen Variante ähnlich ist", sagt Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften.
Was besorgniserregend ist: Derzeit ist die südafrikanische Variante in Österreich bisher vor allem in Tirol zu finden, Bergthaler geht davon aus, dass sie sich auch im restlichen Österreich mehr verbreiten könnte.
Was uns schützt: Es gibt Hinweise, dass de Wirksamkeit der Immunantwort nach Infektion bzw. Impfung reduziert ist. Allerdings zeigte sich, dass Geimpfte weniger schwere Verläufe aufwiesen.
B.1.526, B.1.427/B.1.429 und B.1.258 – die Neuen
Seit Kurzem haben mit B.1.526 (New York) und B.1.427/B.1.429 (Kalifornien) auch die USA ihre "eigenen" Varianten. Aus Tschechien verbreitet sich B.1.258.
Was sie gefährlich macht: Noch ist wenig über die drei Varianten bekannt. US-Chefberater Anthony Fauci zeigte sich über die New Yorker Variante besorgt, da sie sich schneller verbreitet als der Wildtyp. Noch ist sie vor allem in Stadtteilen New Yorks zu finden. Wenig bekannt ist auch über die kalifornische und die tschechische Variante.
Was besorgniserregend ist: Die tschechische Variante ist in Österreich bereits mehrfach zu finden, bisher weiß man allerdings nichts darüber, welche Folgen das haben kann. „Wir sehen von B.1.258 in ganz Österreich hunderte Fälle. Man weiß aber noch wenig über diese Variante, auch wenn deren Ausbreitung eine erhöhte Infektiosität vermuten lässt."
Was uns schützt: Noch ist nicht bekannt, wie die neuen Varianten hinsichtlich der Wirksamkeit der Immunantwort oder des Krankheitsverlaufs charakterisiert sind.
Parallelen der Varianten
Bisher entstanden die Varianten vor allem in Ländern, die von der ersten Welle stark getroffen waren. Waren viele Menschen infiziert, konnten dadurch auch Mutationen entstehen. Eine Mutation, die bei mehreren Varianten nachweisbar ist, ist E484K. Dabei handelt es sich um eine „Escape-Mutation“, die bewirkt, dass das Virus einigen Antikörpern, die vom Körper bei einer früheren Infektion oder durch eine Impfung gebildet wurden, entkommen könnte.
Eine aktuelle Studie unter Beteiligung von Andreas Bergthaler zeigt, dass SARS-CoV-2-Mutationen die Immunüberwachung der sogenannten T-Killerzellen des Immunsystems erschweren können. Neben den Antikörpern sind sie dafür zuständig, das Virus aufzuspüren und unschädlich zu machen. Normalerweise erkennen T-Killerzellen virale Eiweiß-Fragmente auf infizierten Zellen und töten diese ab, um die Virusproduktion zu stoppen. "Unsere Ergebnisse belegen, dass viele Mutationen in SARS-CoV-2 tatsächlich dazu in der Lage sind, T-Killerzellen in ihrer Funktion zu beeinträchtige", so Bergthaler. Die Studienautoren sehen in ihren Daten keinen Grund zur Annahme, dass sich SARS-CoV-2 der Immunantwort des Menschen komplett entziehen kann.
Das passiert bei einer Mutation
Mutationen entstehen, wenn das Erbgut des Virus vervielfältigt wird und es dabei zu "Kopierfehlern" kommt. Je mehr sich das Virus verbreitet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für Mutationen. Die meisten sind unbedeutend. Ist eine Veränderung für das Virus jedoch ein Überlebensvorteil stärkt sie es. So sind etwa bei der britischen Variante alleine neun der insgesamt 17 relevanten Mutationen am Spike-Protein, mit dem SARS-CoV-2 an unseren Zellen andockt.
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