Spitäler in der vierten Welle: "Relativ rasche Zunahme an Patienten"
1.438 Neuinfektionen wurden von Mittwoch auf Donnerstag gemeldet, etwas weniger als tags zuvor (1.574), aber deutlich mehr als der Siebentagesschnitt (1.257). Das macht sich in den Spitälern bemerkbar: Erstmals seit elf Wochen müssen dort mehr als 400 Covid-19-Erkrankte behandelt werden, davon liegen 95 auf einer Intensivstation. Binnen zwei Wochen hat sich die Zahl der Covid-Hospitalisierten verdoppelt.
Das Covid-Prognose-Konsortium geht jüngsten Analysen davon aus, dass die Zahl der Neuinfektionen und damit auch die der Intensivpatienten weiter steigen wird. Für 8. September prognostizieren die Experten 180 Schwerkranke sowie 626 Patienten auf Normalstationen. "In der vergangenen Woche kam es zu einer relativ raschen Zunahme an Patienten", sagt Arschang Valipour, Intensivmediziner an der Klinik Floridsdorf. Man stelle sich auf einen weiteren Anstieg in den kommenden Wochen ein.
Ob die Situation das Ausmaß der ersten oder zweiten Welle erreicht, hänge laut Valipour stark vom Impffortschritt ab.
Im Wiener Gesundheitsverbund werden Covid-19-Patienten Spitäler via Stufenplan zugewiesen. Darin ist geregelt, wann welches Spital Betten zur Verfügung stellt. Der Plan kann angepasst werden – je nachdem, ob mehr Intensiv- oder Normalstationsbetten benötigt werden. Daher könne nicht gesagt werden, ab welchen Belagszahlen Eingriffe abgesagt oder verschoben werden müssen. "Bei der Alpha-Variante hat einer von sieben Patienten ein Intensivbett benötigt", sagt Valipour. "Ob das bei Delta auch so ist, ist noch nicht klar." Seinen Erfahrungen nach sind die Covid-Patienten jetzt schwerer krank als früher. Aussagekräftige Daten dazu fehlen aber noch.
Die Patienten in der Klinik Floridsdorf sind aktuell im Schnitt zwischen 40 und 50 Jahre alt, das Durchschnittsalter über alle Spitäler des Gesundheitsverbundes liegt bei 58,5 Jahren – die Patienten sind nun jünger.
Mehr Impfungen nötig
Häufigster gemeinsamer Risikofaktor: die fehlende Impfung. "Die Patienten bei uns sind zu 80 bis 90 Prozent nicht geimpft oder nur teilimmunisiert", betont Valipour. Ganz wenige seien vollimmunisiert, "haben aber, etwa aufgrund anderer Erkrankungen, keine ausreichende Schutzwirkung der Impfung". Im gesamten Gesundheitsverbund sind zwei von drei Patienten auf Normalstationen ungeimpft, auf den Intensivstationen sind es neun von zehn.
Valipour: "Wir müssen mehr Menschen überzeugen, dass die Impfung wichtig ist und ohne grobe Nebenwirkungen funktioniert."
Gegenüberstellung
Das belegt auch eine neue Studie aus dem New England Journal of Medicine. Untersucht wurden mögliche körperliche Effekte des Biontech/Pfizer-Impfstoffs. Die Ergebnisse stellte man potenziellen Auswirkungen einer SARS-CoV-2-Infektion gegenüber. Als Basis für die Analyse dienten Real-World-Daten (spiegeln echte Pandemie-Bedingungen wider) von Clalit Health Services, Israels größter Gesundheitsorganisation.
Den rund 880.000 Personen ab 16 Jahren aus der Untersuchungsgruppe, die bis zum 24. Mai 2021 geimpft worden waren, stellte man Ungeimpfte zur Seite, die ihnen vom Gesundheitszustand her sowie demografisch ähnelten.
Gefährliche Infektion
Bei den Impf-Nebenwirkungen wurde ein erhöhtes Risiko für nicht unmittelbar lebensbedrohliche Erkrankungen festgestellt, wie etwa eine Lymphknoten-Schwellung (78 Fälle je 100.000 Personen) oder ein Ausbruch einer Herpes-Zoster-Infektion (Gürtelrose, 16 Fälle). Das Herpes-Zoster-Viruswird häufig bereits in der Kindheit übertragen. Bei der Erstansteckung verursacht es die Windpocken. "Ein Großteil der Menschen beherbergt dieses Virus das gesamte Leben lang. Normalerweise hält unsere Immunabwehr das Virus in Schach", sagt Herwig Kollaritsch, Infektiologe und Impfstoffexperte. Denkbar sei, dass die immunologische Auseinandersetzung mit dem Vakzin das Immunsystem kurzfristig derart beschäftigt, dass das Herpes-Zoster-Virus nicht mehr kontrolliert werden kann.
Im Vergleich dazu zeigte sich, dass eine Corona-Infektion deutlich häufiger zu schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Herzerkrankungen führen kann, für die der mRNA-Impfstoff keinen Risikofaktor darstellte. Darunter Herzinfarkte, Herzrhythmusstörungen und Herzbeutelentzündungen.
Das Risiko für akute Nierenschädigungen, Hirnblutungen, Lungenembolien und Venenthrombosen war bei Ungeimpften ebenso erhöht. Pro 100.000 Geimpfte wurden drei Fälle von Herzmuskelentzündung dokumentiert, bei SARS-CoV-2-Infizierten elf.
Risiko-Nutzen-Profil
Das Risiko-Nutzen-Profil der Impfung zeige sich hier sehr deutlich, sagt Kollaritsch: "Wenn man in der Gruppe der besonders betroffenen 18- bis 29-Jährigen Männer eine Million Personen impft, sind zwischen 22 und 27 – gut behandelbare – Fälle von Herzmuskelentzündung erwartbar. Gleichzeitig verhindert man so 9.600 Covid-19-Fälle, 300 Hospitalisierungen, 60 Intensiv-Patienten und drei Todesfälle."
Für Verunsicherung sorgten in der Vergangenheit auch Fälle von zerebralen Sinusvenenthrombosen (Verschluss von Venen im Gehirn) nach Corona-Impfungen bei jungen Frauen mit Vektorimpfstoffen von Astra Zeneca oder Johnson & Johnson. "In dieser Studie konnte kein Zusammenhang zwischen dem Pfizer-Impfstoff und thromboembolischen Ereignissen festgestellt werden", schreiben die Autoren der aktuellen Erhebung. Kollaritsch bestätigt, dass die sehr seltene Komplikation wohl nur bei Vektorimpfstoffen auftritt: "Wobei das Risiko von Astra Zeneca jenes von Johnson & Johnson zu übersteigen scheint. Es wurde aber schon vor Monaten auf diesen Umstand reagiert – und Erstimpfungen bei jungen Frauen mit Vektorimpfstoffen ausgesetzt."
Kollaritsch sieht bisherige Erkenntnisse durch die neue Studie bestätigt: "Durch die Krankheit wird deutlich mehr Schaden angerichtet, als es die Impfung je könnte." Zwar gelte es den epidemiologischen Kontext zu berücksichtigen: "Wenn wir nur ganz wenige Neuinfektionen hätten und nahezu alle impfen würden, würden de facto weniger Komplikationen durch die Krankheit auftreten und mehr Impf-Nebenwirkungen. Aber dieses Szenario entspricht nicht der Realität."
Weniger ansteckend
Forscher aus den Niederlanden konnten anhand von PCR-Proben von positiv auf SARS-CoV-2 getestetem Gesundheitspersonal (ein Teil war geimpft, der andere nicht) nachweisen, dass infizierte Geimpfte weniger ansteckend sind – trotz teils ähnlicher Viruslast in Nase und Rachen.
Stärker gefährdet
Wer nicht gegen Corona geimpft ist, hat ein deutlich höheres Risiko, aufgrund von Covid-19 ins Spital zu müssen. Das Risiko ist laut neuem Report der US-Seuchenbehörde 29-mal so hoch wie bei vollständig Geimpften.
251,8 ist die 7-Tage-Inzidenz in Wien unter den nicht Geimpften, unter den vollständig Geimpften beträgt sie hingegen nur 44,4. Die Inzidenz unter den Ungeimpften steigt stark an.
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