Schwierige Prognosen: Was bringt der Lockdown für Ungeimpfte?
Für den Infektiologen und Impfspezialisten Herwig Kollaritsch sind Ungeimpfte nach wie vor "die Treiber des Infektionsgeschehens". Das Verhältnis der Geimpften zu den Ungeimpften liege bei den Corona-Neuinfektionen bei etwa eins zu fünf. "Auf den Intensivstationen ist dieses Verhältnis noch drastischer ausgeprägt", sagt er.
Ob die neuen Einschränkungen für Nicht-Immunisierte etwas bringen (und wenn ja, wie viel) – das ist derzeit eine große Unbekannte in der Bekämpfung der Pandemie. Die Gründe dafür sind vielfältig, erklären Kollaritsch und der Statistiker Erich Neuwirth.
Lässt sich mit dem Lockdown für Ungeimpfte die vierte Welle brechen?
Die Effektivität zusätzlicher Maßnahmen wie etwa der Lockdown für Ungeimpfte sei derzeit nicht abschätzbar, sagt Kollaritsch. Das Virus ist infektiöser als noch im November 2020 (Stichwort: Delta), die Population im Hinblick auf den Immunitätsstatus gemischt. "Es herrschen also neue Fakten vor." Eins sei inzwischen aber augenscheinlich: "Mit einer zweifach geimpften Bevölkerung beziehungsweise einer Durchimpfungsrate um die 65 Prozent alleine werden wir aber wohl nicht das Auslangen finden."
Auch Neuwirth ist vorsichtig: "Es weiß niemand, wie sich das auswirkt. Es wird sicher ein wenig helfen. Aber wie stark, weiß man nicht. Es wurde noch nirgends ausprobiert." Seine subjektive Meinung: "Ich bin sehr skeptisch. Gesellschaftlich gesehen fände ich schon jetzt etwas schärfere Maßnahmen klüger. "
Tatsächlich sind epidemiologische Erfahrungswerte mit Lockdowns für Ungeimpfte Mangelware. Expertinnen und Experten des Covid-Prognose-Konsortiums, die im Auftrag des Gesundheitsministeriums den Verlauf der Pandemie beobachten, haben aber berechnet, dass es eine 30-prozentige Kontaktreduktion braucht, um das Infektionsgeschehen jetzt in den Griff zu bekommen. Mit dem Lockdown für Ungeimpfte werde das "sehr knapp", kommentierte Komplexitätsforscher Peter Klimek (er ist selbst Teil des Prognosekonsortiums) die Lage am Sonntag in der ORF-Sendung "Im Zentrum". Dafür müsste der Lockdown für Ungeimpfte perfekt funktionieren, sprich eingehalten werden. Und das setzt wiederum lückenlose Kontrollen und reibungslose Compliance der ungeimpfen Bevölkerung voraus.
Radikale Maßnahmen bringen immer die schnellsten Erfolge, aber auch die größten Kollateralschäden. Ist der Lockdown für Ungeimpfte aktuell der beste Mittelweg?
"Wir wissen nicht, wie weit wir gehen müssen, um solide epidemiologische Effekte zu sehen", betont Kollaritsch. Getroffene Maßnahmen wirken unterschiedlich. Ein kompletter Lockdown für alle würde in zehn bis 14 Tagen bereits Auswirkungen zeigen. Weitaus weniger schmerzhaft ist die dritte Impfung. "Das hätte einen wesentlichen dämpfenden Effekt. In Israel konnte man so die Hospitalisierungszahlen um 93 Prozent drücken." Der Effekt der momentan verabreichten Erstimpfungen ist im Gegensatz dazu ein langfristiger, "der uns erst um Weihnachten herum Entlastung bringen wird".
Warum sind Drittstiche so wichtig?
Personen, die bereits drei Impfungen erhalten haben, sind entscheidend besser vor Ansteckungen geschützt. "Unmittelbar nach der zweiten und dritten Impfung ist auch das Übertragungsrisiko auf Dritte im Falle einer Infektion deutlich herabgesetzt", erklärt Kollaritsch. Der Effekt schwindet im Laufe der Zeit, unmittelbar nach dem Drittstich sind Geimpfte epidemiologisch gesehen aber "weitgehend unproblematisch".
Hätte ein früherer Lockdown für Ungeimpfte die Infektions- und Hospitalisierungszahlen rascher eingedämmt und die Impfrate schneller gesteigert?
Kollaritsch: "Früher wäre natürlich besser gewesen, nur war der Anstieg, den wir im Moment sehen, in dieser Ausprägung kaum prognostizierbar." Neuwirth betont allerdings: Seit dem 15. Oktober wiesen die Infektionszahlen auf ein exponentielles Wachstum hin.
Wird am Ende doch noch ein Lockdown für alle notwendig? Wenn ja: Ab wann?
"Jede Verzögerung, die wir uns jetzt leisten, heißt, länger dem infektiologischen Druck ausgesetzt zu sein. Und da stellt sich die Frage, wie lange unser Gesundheitssystem dem Stand hält. Spätestens, wenn wir diese und nächste Woche keine Veränderungen sehen, muss man sich die Frage stellen, ob wir ohne harten Lockdown das Auslangen finden können", erläutert Kollaritsch. Je länger der zweite Stich zurückliegt, desto problematischer werden Geimpfte in der Epidemiologie. "Insofern hätten Kontaktbeschränkungen für zweifach Geimpfte, beispielsweise ein Nacht-Lockdown für alle, natürlich auch ein gewisses dämpfendes Potenzial."
Für Neuwirth hätte ein nächtliches Ausgangsverbot für alle schon jetzt mehr Sinn gemacht: "Besser früher als später. Da werden die Maßnahmen meist noch schärfer."
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