Was Experten zu allgemeiner Impfpflicht sagen
Mittlerweile haben mehrere Bundesländer für bestimmte Berufsgruppen wie Gesundheitspersonal oder Lehrkräfte eine Impfung gegen das Coronavirus als Voraussetzung eingeführt. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) plant nun eine Impfpflicht für alle, die im Gesundheitsbereich tätig sind. Manchen Bundesländern ist das noch zu wenig.
Aufgrund der dramatischen Lage in Österreich wird immer mehr über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert. Das sagen fünf Expertinnen und Experten.
Bioethikerin: "Zögern bei der Impfpflicht sendet falsche Botschaft"
„Wir wollen alle wieder ein normales Leben führen“, bringt die Vorsitzende der Bioethikkommission den sehnlichsten Wunsch der Bevölkerung auf den Punkt. Angesichts der aktuellen Lage bekräftigt die Juristin aber einmal mehr: „Das Argument, dass jeder das Recht auf selbstschädigendes Verhalten hat, greift in einer Pandemie nicht. Grundsätzlich darf jeder autonom handeln, aber in einer Gesundheitskrise darf die persönliche Freiheit nur so weit gehen, wie sie keinen anderen tangiert.“
Genau das treffe auf Menschen, die sich gegen eine Covid-Impfung entscheiden, nicht zu: „Jeder, der sich nicht impfen lässt, gefährdet andere.“ In etlichen Ländern, etwa den sonst liberalen USA, gibt es bereits Impfpflichten für bestimmte Krankheiten. Dass in Österreich so zaghaft damit umgegangen wird, bedauert Druml: „Ich glaube, dass damit eine falsche Botschaft an die Bevölkerung gesandt wird.
Das Zögern lässt viele vermuten, dass es ein Problem mit den Impfungen gibt, was nicht der Wahrheit entspricht.“ Gleichzeitig nehme man Menschen, die nicht geimpft werden können, dadurch die Chance, unbeschwert am sozialen Leben teilhaben zu können.
Dass das Impfthema wie kaum ein anderes in der Medizin teils vehemente Reaktionen hervorruft, kann Druml nicht nachvollziehen: „Impfungen sind Maßnahmen mit großer Wirkung. Viele sind sich heute ihrer Erfolge nicht mehr bewusst, sondern empfinden sie nur als Eingriff in die persönliche Freiheit. Aber dieser Eingriff – das ist in einer Pandemie wesentlich – ist mit Blick auf den Nutzen verhältnismäßig und absolut angemessen.“
Sozialpsychologin: "Wer Ängste hat, könnte dadurch entlastet werden."
Noch nicht geimpfte Personen würden auf eine Impfpflicht unterschiedlich reagieren, glaubt Pia Lamberty. „Jene, die Ängste haben oder aus Trotz die Impfung ablehnen, könnten psychologisch durch eine Impfpflicht sogar entlastet werden, weil jemand anderes die Entscheidung für sie übernimmt. Bei denen, die an Verschwörungen glauben, vermute ich, dass es zu einer stärkeren Abwehr und vielleicht Radikalisierung kommen könnte.“
Das sei aber kein Argument gegen die Impfpflicht, sondern etwas, das man mitbedenken müsse – „etwa durch Sicherheitsmaßnahmen“. Die Frage, inwiefern Einzelpersonen Verantwortung für die Gesellschaft tragen, sei eine moralische. „Ich bin der Meinung, dass eine Gesellschaft solidarisch sein sollte und dazu gehört, dass man sich in einer Pandemie impfen lässt. Letztendlich kommt die Impfung allen zugute.“
Die Sozialpsychologin erklärt, warum sie den aktuell viel zitierten Begriff der „gesellschaftlichen Spaltung“ kritisch sieht. „Der Begriff wird dann verwendet, wenn auf Fakten hingewiesen wird. Das kann nicht sein. Wissenschaftliche Evidenz steht für sich und ist nicht bloße Meinung. Dahinter steckt oft auch Methode: Man versucht durch den Verweis auf eine etwaige Spaltung einer faktenbasierten Diskussion aus dem Weg zu gehen.“
Infektiologe: "Werden einer Impfpflicht nicht mehr entgehen"
Die Bereitschaft aller, sich impfen zu lassen, wäre dem Infektiologen Florian Thalhammer von der MedUni Wien zweifellos lieber. Erst diese Woche zeigte eine Studie, dass ein Anreiz-Modell die Impfrate um bis zu zehn Prozent erhöhen könnte. Allerdings sieht die Realität momentan anders aus. „Wir sind mittlerweile in einer Situation, in der wir einer Impfpflicht nicht mehr entgehen werden. Wenn es anders nicht mehr geht – und wir sind kurz davor –, bin ich ein Befürworter.“
Sein Argument: „Die Gesundheit der Gemeinschaft steht meines Erachtens über dem Wunsch des Individuums.“ Vor allem im Gesundheitsbereich sieht er eine Impfverpflichtung „viel stärker“, da es hier um eine „viel vulnerablere Gruppe“ gehe, die geschützt werden müsse.In dieser Berufsgruppe gibt es bereits eine Art Verpflichtung für einige Schutzimpfungen. „Der Dienstgeber kann den Nachweis bei der Einstellung einfordern und bei Nichterbringung einen Bewerber ablehnen.
Auch, wenn dieser besser qualifiziert ist.“ Thalhammer erwähnt ebenso die bis in die 1970er-Jahre verpflichtende Pockenimpfung. „Sie hatte übrigens mehr Nebenwirkungen als heutige Impfungen.“ Eine Melde- und Behandlungspflicht existiert zudem noch gegen ansteckende Krankheiten, etwa TBC.
„Durch das Epidemiegesetz sind hier verschiedene Handlungsoptionen gegeben.“ Was der Infektiologe dennoch nicht verschweigt: „Die Covid-Impfung kann eine Infektion nicht zu 100 Prozent verhindern. Der Vorteil ist aber: Die Viruslast von Geimpften ist geringer – und man entlastet das Gesundheitssystem.“
Professor: "Impfpflicht als letztes Mittel ist möglich."
Es ist alles eine Frage der Abwägung: Auf der einen Seite das Wissen, was Corona anrichten kann – auf der anderen Seite eine Impfung, die das Risiko für schwere Verläufe und Ansteckungen deutlich reduziert. „Die Impfung ist das Beste, was wir haben“, sagt Karl Stöger, Verfassungsrechter und Medizinrechtsexperte der Universität Wien. Alternativen? Da sieht der Jurist schwarz. „Wir sind nah am letzten Mittel. Und Impfpflicht als letztes Mittel ist möglich.“
Doch dazu braucht es ein Gesetz. Das kann – zumindest in der Theorie – schnell gehen. „Wir haben gesehen, dass das in wenigen Tagen möglich ist, wenn das Parlament zusammenarbeitet.“ Funktioniert das nicht, dauert es Monate. Einer Volksabstimmung kann er etwas abgewinnen. „Bei einem ,Ja’ wird auch der Politik der Rücken gestärkt.“ Was dagegen spricht: Eine Volksabstimmung dauert.
Doch auch eine Impfpflicht braucht Ausnahmen. Etwa für Personen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Oder für Kinder, für die kein Impfstoff zugelassen ist. „Aber die Ausnahmen müssen so eng gefasst werden, dass nicht die Wirksamkeit der Maßnahme darunter leidet.“ Doch was tun mit Menschen, die die Impfung einfach ablehnen? „Verwaltungsstrafen sind möglich“, sagt der Jurist.
Komplexitätsforscher: "Auswirkungen würden wir erst nächstes Jahr spüren.“
„Selbst in dem hypothetischen Fall, dass morgen alle Österreicherinnen und Österreicher, die sich impfen lassen dürfen, dies auch tun, würden wir die Effekte so richtig erst im kommenden Jahr merken“, sagt der Komplexitätsforscher Peter Klimek von der Meduni Wien. Und er liefert dafür gleich eine Erklärung: „Nach der Erstimpfung benötigt man drei bis vier Wochen darauf eine Auffrischungsimpfung, deren volle Wirkung erst zwei Wochen später erreicht wird – das ist also erst um Weihnachten herum.“
Zudem zeigt sich, dass Geimpfte zwar ein geringeres Risiko haben, sich und andere anzustecken. „Allerdings passiert das nicht in dem Ausmaß, dass man eine Zirkulation des Virus komplett unterbinden kann – selbst dann, wenn alle geimpft sind.“ Insbesondere in den kalten Jahreszeiten verbreitet sich das Coronavirus stark. Was die Impfung sehr wohl bewirkt: „Nach zwei Dosen ist der Schutz noch so hoch, dass das Risiko, ins Spital und vor allem auf eine Intensivstation zu müssen, weitaus geringer ist.
Das heißt, dass die Impfung vor allem eine Entlastung der Gesundheitssystems bedeutet.“ Nach der dritten Impfung sinkt die Gefahr noch einmal, sich und andere anzustecken, „weshalb das Boostern jetzt auch so wichtig ist. Wenn sehr viele Menschen drei Mal geimpft sind, kann es zwar sein, dass das Virus noch weiterhin zirkuliert – aber es ist für das Gesundheitssystem nicht mehr so gefährlich.“ Sein Wunsch: „Wir sollten endlich eine Strategie entwerfen, dass wir endlich aus dem Krisenmodus herauskommen und nicht jeden Herbst vor dem gleichen Problem stehen.“
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