Wurde unser Immunsystem durch Masken und Isolation geschwächt?
Erste Fälle von Influenza und RSV (stärkere Atemwegsinfekte besonders bei Kleinkindern), viele Erkältungen: Heuer könnte ein infektionsreicher Winter bevorstehen. Durch die Hygienemaßnahmen (Masken, Lockdowns) gab es in den vergangenen zwei Wintersaisonen auch deutlich weniger andere Infektionen als SARS-CoV-2, die Influenza-Welle fiel 2020/’21 komplett aus. Angesichts des reduzierten Viruskontakts ist jetzt oft die Frage zu hören: „Ist das Immunsystem dadurch geschwächt?“
„Das Immunsystem ist sicher nicht geschwächt“, sagt dazu Sylvia Knapp, Professorin für Infektionsbiologie an der MedUni Wien. „Das Immunsystem ist immer beschäftigt – wir haben mehr Keime auf uns als Zellen im Körper.“ Insofern werde das Immunsystem ständig trainiert, wenn man dieses Wort verwenden wolle: „Man muss nicht ständig krank sein, um ein funktionierendes Immunsystem zu haben. “
Was es immer schon gab: Auf schwache Influenza-Welle etwa folgen starke, oder zumindest stärkere. Das war heuer auch in Australien so. Es gab viele Fälle – aber den Schweregrad der Erkrankungen insgesamt bezeichneten die Behörden als niedrig: Das Immunsystem der Australier konnte also Influenza-Erkrankungen genauso gut bekämpfen wie sonst auch. Auch ohne Pandemie-Maßnahmen erkrankt immer nur ein Teil der Bevölkerung pro Saison an Influenza.
Auch in Österreich könnte es heuer einen Nachzieheffekt mit mehr Infektionen geben. „Aber es besteht eben immunologisch gesehen kein Grund anzunehmen, dass man schwerer erkrankt, wenn man zwei Jahre lang eine spezielle Virusinfektion vermieden hat“, sagt Knapp.
„Wir haben uns durch die Masken zwei Jahre Infektionsfreiheit erkauft“, sagte kürzlich die Virologin Monika Redlberger-Fritz. Damit jetzt aber nicht zu viele Menschen gleichzeitig erkranken, sollte man weiterhin dann eine Maske aufsetzen, wenn man krank ist – bzw. in diesem Fall am besten zu Hause bleiben.
Es sei jedenfalls riskant, nicht auf die Vermeidung von Infektionen zu achten, betont Knapp: „Es lässt sich ja überhaupt nicht vorhersehen, wie stark man dann erkrankt. Man setzt sich also einer Gefahr aus, ohne einen Nutzen zu haben. Denn je häufiger ich mich infiziere, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Komplikationen auftreten. Jede Infektion ist ein zusätzlicher Risikofaktor.“ Und es sei ja bei Covid-19 auch nicht so, dass jede weitere Infektion „milder“ als die vorhergehende verlaufe: „Oft ist das überhaupt nicht der Fall.“
Studie zeigt Risiko
Das zeigt jetzt auch eine Studie mit Daten von US-Veteranen: darunter rund 444.000 Personen mit einer Erstinfektion, 41.000 mit zwei oder mehr Infektionen und eine Kontrollgruppe (5,8 Millionen). Mehrfachinfektionen erhöhten das Risiko für zahlreiche Folgebeschwerden und Erkrankungen, so zum Beispiel auch neurologische und psychische Beschwerden, Herz- und Lungenerkrankungen. Auch das Risiko für Spitalsaufenthalt und Tod war erhöht.
Konkret sah die Risikoerhöhung so aus: Im Vergleich zu Menschen, die keine Reinfektion hatten, hatten diejenigen mit Reinfektion ein 2-fach erhöhtes Sterberisiko, ein 3-fach erhöhtes Risiko für einen Krankenhaus-Aufenthalt, ein 3-fach erhöhtes Risiko für Herzprobleme sowie ein 3-fach erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel.
„Wenn die These stimmen würde, dass mehr Infektionen gut sind, weil sonst das Immunsystem unterbeschäftigt ist, dann müssten ja schon bisher die Hygienemaßnahmen, die wir im 20. Jahrhundert eingeführt haben, unser Immunsystem lahmgelegt haben“, sagt Knapp: „Tatsächlich ist es aber so, dass dadurch viele schwere Erkrankungen und Todesfälle verhindert werden konnten, aber das Immunsystem eben nicht beeinträchtigt wurde.“
Eine Impfung ahmt den Prozess einer Infektion nach, der Körper bildet Antikörper und Gedächtniszellen gezielt gegen einen Erreger, sagt Knapp: „Sie erweitert das Gedächtnis des Immunsystems – aber mit weit weniger Risiko als bei einer Erkrankung.“
Bleibt die Frage, wie das bei Kleinkindern ist, die jetzt später als sonst ihren ersten Kontakt mit bestimmten viralen Atemwegserkrankungen (wie RSV) haben – also z. B. erst im zweiten statt im ersten Lebensjahr: „Für Kleinkinder sind ja alle Bakterien und Viren neu. Ihr Immunsystem lernt täglich Millionen an Keimen neu kennen. Wenn da jetzt einige saisonale Viren erst etwas später dazukommen, spielt das keine Rolle.“
Die Virologin Judith Aberle von der MedIUni Wien schrieb auf Twitter: "Es gibt ganz einfach keinerlei wissenschaftliche Hinweise dafür, dass die Pandemie Maßnahmen (Masken, Home schooling...) das Immunsystem von Kindern geschädigt oder dessen Entwicklung gestört hätten und sie deswegen jetzt schwerer an anderen Infektionen wie z.B. RSV erkranken."
Schädigt Covid das Immunsystem?
Dass es derzeit in den USA und Kanada bereits eine starke RSV-Welle mit vielen auch schwer kranken Kindern in den Spitälern gibt, könnte aber noch einen ganz anderen Grund haben: Eine Covid-19-Erkrankung an sich könnte das Immunsystem schädigen - und nachfolgende Infektionen schwerer verlaufen lassen. In welchem Ausmaß und in welcher Zeitdauer, "das sind Dinge, die wir noch nicht wissen", werden Experten auf dem kanadischen Nachrichtenportal globalnews.ca zitiert. "Aber das wir aus den Daten bisher sehen sollte uns besorgt sein lassen", sagt etwa die Immunologin SAmira Jeimy vom St Joseph´s Health Care Zentrum in London.
Kommentare