Lockerungen und Delta-Variante: Geht Österreich zu viel Risiko ein?
Maskenpflicht in Israel, Lockdowns in Teilen Australiens, verschärfte Pandemie-Bestimmungen in Russland, ein Anstieg der Patientenzahlen in Portugal und Großbritannien: Während Österreichs angesichts sehr guter Zahlen weiter lockert, ziehen andere Staaten ihre Corona-Schutzmaßnahmen wieder an. Ist Österreich jetzt zu unvorsichtig: Wie die Virologin Monika Redlberger-Fritz vom Zentrum für Virologie der MedUni Wien die aktuelle Situation einschätzt.
KURIER: Wie beurteilen Sie die weiteren Öffnungsschritte, die mit dem 1.7. in Kraft treten?
Monika Redlberger-Fritz: Aus der Sicht jedes einzelnen, aus Sicht der Wirtschaft und der Politik sind sie verständlich. Wir haben derzeit weniger als zehn Erkrankungen pro Woche und 100.000 Einwohner, das ist eine sehr gute Ausgangslage. Aus medizinischer Sicht sehe ich aber die neue Delta-Variante, die insofern sehr gefährlich ist, als sie ein großes Potenzial hat, sich in der ungeimpften und nur einmal geimpften Bevölkerung rasch auszubreiten. Da erst zirka 37 Prozent der impfbaren Bevölkerung ab 12 doppelt geimpft sind, ist das eine ganz schwierige Gratwanderung.
Was ist zur Delta-Variante erwiesen?
Wir wissen, dass sie ungefähr doppelt so infektiös ist die wie Alpha-Variante. Aus Indien gibt es Daten, dass sie bei Ungeimpften schwerere Krankheitsverläufe verursacht, aber für ein endgültiges Urteil brauchen wir mehr Daten auch aus Europa und den USA. Eine abgeschlossene Immunisierung schützt aber mit hoher Wahrscheinlichkeit vor einem schweren Verlauf. Trotzdem gibt es auch doppelt Geimpfte, die erkranken – aber das ist ein Bruchteil von denen, die gar nicht geimpft sind. Der Schutz ist hoch, aber nicht hundertprozentig.
Welches Risiko besteht in der Nachtgastronomie?
Natürlich wäre es virologisch gesehen besser gewesen, diesen Schritt noch weiter zu verschieben. Das geschieht aber nicht und deshalb kann ich es nur als Experiment betrachten: Wir werden in zwei bis vier Wochen sehen, wie gut oder schlecht dieser Versuch gelaufen ist.
Sollten in Innenräumen weiterhin Masken getragen werden?
Ich würde in Innenräumen die Maskenpflicht weitgehend belassen – wobei ein Mund-Nasen-Schutz derzeit ausreicht. Auf jeden Fall überall dort, wo die 3-G-Regelung nicht gilt, also Supermärkte, Handel generell, öffentliche Verkehrsmittel, was ja auch vorerst noch so bleiben soll. Aber auch am Weg zum Sitzplatz in einem Lokal, oder auch bei Kultur- und Freizeitveranstaltungen in Innenräumen sowie in Schulen wäre es eine gute Vorsichtsmaßnahme ohne viel Aufwand. Andererseits ist es wichtig, dass in Seniorenheimen auch wieder ein bisschen Normalität einzieht. Idealerweise sind Bewohner und Besucher beide geimpft, werden die normalen Abstandsregeln eingehalten. Man sollte sich nur bewusst sein, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist.
Eine WHO-Expertin hat auch doppelt Geimpften geraten, weiterhin Masken zu tragen.
Wenn wir auf Nummer sicher gehen wollen und die Ausbreitung von Delta hintanhalten wollen, müssen wir vorsichtiger sein und dürfen uns nicht nur auf die Impfungen alleine verlassen. Vor allem viele Jugendliche sind noch ungeschützt. So gesehen stimme ich dem zu: Niemand will, dass die Zahlen steigen und uns andere Länder wieder auf ihre rote Liste der Risikoländer setzen.
Wie stehen Sie zu verpflichtenden Einreisetests?
Das würde ich befürworten. Wer aus dem Ausland zurückkommt, sollte im Idealfall einen PCR-Test, zumindest aber einen Antigentest machen müssen. Da bei der Delta-Variante in der Regel sehr hohe Viruslasten auftreten, sollte auch der nicht so empfindliche Antigentest in der Regel gut anschlagen. Hier spielt aber auch Eigenverantwortung eine Rolle: Sollten nach einer Reise Krankheitssymptome auftreten, sollte man sich sofort testen lassen - und nicht in die Arbeit fahren.
In England und Israel sind besonders viele ungeimpfte Kinder und Jugendliche unter Neuinfizierten. Haben sie ein höheres Risiko?
Es gibt keinen Hinweis, dass sie schwerere Krankheitsverläufe haben, aber wenn die älteren durch Impfungen geschützt sind, verschiebt sich das Infektionsgeschehen dorthin, wo das Virus keinen Gegenspieler hat, der seine Ausbreitung verhindert. Steigen hier die Fälle stark an, wird es aber – alleine aufgrund der höheren Fallzahlen – mehr schwere Erkrankungen auch bei Kindern und Jugendlichen geben, wie sich jetzt schon in anderen Ländern zeigt. Eines von 500 bis 1000 infizierten Kindern entwickelt ein gefährliches Entzündungssyndrom, rund 15 Prozent sind von Long Covid betroffen.
Und das erhöhte Risiko von Herzmuskelentzündungen durch die Impfung gerade bei Kindern und Jugendlichen?
Hier ist wichtig, aufzuklären und die Angst zu nehmen: Es handelt sich um sehr wenige Fälle, und die allermeisten verlaufen mild. Wer nach der Impfung Nebenwirkungen verspürt und sich nicht wohl fühlt, sollte sich so lange schonen, bis diese Symptome abgeklungen sind – und nicht Sport machen oder etwa tanzen gehen. Sollte es tatsächlich zu einer Herzmuskelentzündung kommen, kann man mit Schonung den Verlauf positiv beeinflussen.
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