Was kann man dagegen tun?
Im Idealfall lässt man es gar nicht so weit kommen, aber Pflegeberufe sind so sozialisiert, dass sie zuerst an die Patienten denken und erst in zweiter Linie an sich selbst. Wir haben als eine erste Maßnahme ein Krisentelefon mit dem Gesundheitsministerium eingerichtet, das die Kolleginnen und Kollegen dazu animieren soll, darüber zu sprechen, was in den letzten eineinhalb Jahren passiert ist. Diese Maßnahme ist natürlich nicht erschöpfend, à la longue müssen die Rahmenbedingungen der Pflege verbessert werden.
Was soll verändert werden?
Die Klassiker sind etwa Personalmangel und Dienstzeitmodelle, die sich nicht an die Lebensphasen anpassen. Wenn ich Betreuungspflichten habe, nicht feiertags, sonntags und nachts arbeiten kann, fallen die Zulagen weg und die Bezahlung ist deutlich schlechter. Was mir auch wichtig ist, ist die Verteilung der Aufgaben innerhalb der Gesundheitsberufe. Da besteht große Unzufriedenheit unter dem diplomierten Pflegepersonal. Einerseits ist man dabei, die Ausbildung zu akademisieren, andererseits sind die Aufgaben dieselben wie vor vielen Jahren. Die professionellen Krankenpflegerinnen und -pfleger spüren den Kompetenzzugewinn nicht.
Weltweit wird erwartet, dass nach der Pandemie sehr viele den Beruf verlassen. Ist das bereits in Österreich spürbar?
Die aktuelle Erhebung zeigt, dass knapp jeder Zweite darüber nachdenkt, den Job zu wechseln. Mich überraschen vor allem die fünf Prozent, die bereits konkrete Schritte setzen. In einem angespannten System, wie wir es derzeit haben, belastet jeder Einzelne, der den Job verlässt, zusätzlich. Es muss etwas passieren, das die Situation von Krankenpflegern und -pflegerinnen nachhaltig verbessert. Das wäre etwa die Kompetenzerweiterung, wo sie merken, ja, ich habe eine Erleichterung in meinem täglichen Ablauf, weil ich, wenn ich eine Venenverweilkanüle setze, nicht vorher drei Stunden lang einen Arzt suchen muss, der mir das schriftlich anweist. Oder dass Pflegepersonen in der mobilen Pflege ihre eigenen Verbandsstoffe mitnehmen dürfen. Sie brauchen derzeit erst eine Verschreibung vom Hausarzt, die von Angehörigen eingelöst werden muss. Wenn man all das ändern würde, was nicht mehr zeitgemäß ist, wäre das eine spürbare Erleichterung für die Pflegenden, aber auch für die Patienten. Dabei geht es nicht nur ums Geld. Die Nachhaltigkeit einer Verbesserung findet sich in der Veränderung der Rahmenbedingungen.
Woher kommt der Personalmangel? Ist der Job so unattraktiv?
Große Probleme entstehen durch die Fluktuation und die Aussteiger. Die verhältnismäßig kurze Verweildauer von durchschnittlich drei bis sechs Jahren im Beruf ist aus ökonomischer Sicht eine Katastrophe. Dem entgegenzuwirken, das hat man in der Vergangenheit vernachlässigt. Man braucht erfahrene Menschen im System – das hat besonders die Pandemie gezeigt. Derzeit gibt es ausreichend Bewerber, mehr ist aber immer gut. Die Kompetenzen und Leistungen der Pflege müssen in diesem Zusammenhang sichtbarer gemacht werden.
Wie steht es um die Wertschätzung in den Krankenhäusern, aber auch gesellschaftlich?
Vor Kurzem habe ich einen interessanten Satz gelesen: Es gibt Wertschätzung gegenüber der Krankenpflege, aber es ist kein Wunschberuf. Die meisten sind froh, dass es jemanden gibt, der diesen Job macht, aber viele können sich nicht vorstellen, ihn selbst auszuüben. Es gibt Unverständnis darüber, was professionelle Pflege ist, was sie kann und leisten könnte. In den Medien wird eher über den informellen Markt berichtet, etwa über das Problem der 24-Stunden-Betreuung. Dabei kommt es zu einer Vermischung der Begrifflichkeiten. Die professionelle Krankenpflege könnte einen wesentlicheren Beitrag leisten, als man ihr derzeit zugesteht.
Krisentelefon für Pflegekräfte: 01/5048000-10, www.oegkv.at
Kommentare