Ist die Corona-Pandemie bereits zu Ende?
Die Detroit Auto Show, das Oktoberfest in München und der Trauergottesdienst für Queen Elizabeth II haben eines gemeinsam: Sie erwecken einen Eindruck, den US-Präsident auf der Auto Show so beschrieben hat: „Die Pandemie ist vorbei.“ Und: „Wie Sie sehen, trägt hier niemand eine Maske. Alle scheinen in ziemlich guter Verfassung zu sein.“ Allerdings fügte er auch an, „dass wir immer noch ein Problem mit Covid haben“. In den USA sterben täglich 400 bis 500 Menschen an den Folgen von Covid 19.
In Österreich steigen derzeit die Infektionszahlen und auch die Zahlen der Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern. Knapp 6.000 Neuinfektionen und 993 Spitalspatienten wurden Montag gezählt, so die AGES-Statistik. Spitalspatienten waren es 42 mehr als Sonntag und 62 mehr als in der Vorwoche. Kann man da von einem Pandemieende sprechen?
„Das Ende der Pandemie ist noch nicht erreicht, aber es wird mit Sicherheit nicht mehr so lange dauern, wie es schon gedauert hat“, sagt die Virologin Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien. „Ob die Pandemie noch ein halbes Jahr, ein oder zwei Jahre andauern wird, traue ich mich nicht vorherzusagen. Es hängt davon ab, wie schnell oder nicht schnell sich das Virus verändert und wie gut das Immunsystem reagieren kann.“
Wahrscheinlich sei es aber eine realistische Annahme, dass das Virus, je länger es zirkuliert, besser übertragbar wird, aber nicht mehr so stark in der Lage ist, schwere Erkrankungen auszulösen: „Das konnten wir zumindest bei allen anderen Pandemieviren beobachten. Das ist also wahrscheinlich, aber natürlich nicht fix. “
Virus ändert sich rasch
Sollte sich die Annahme aber bestätigen, würde das bedeuten, „dass wir uns mit jeder Welle einem normalen Atemwegsinfekt nähern, der dann als Epidemie ablaufen wird“. Aber noch sei der Zeitpunkt nicht erreicht: „Das Virus ändert sich einfach noch zu schnell und zu rasch und hat sich noch nicht vollständig an den Menschen angepasst.“
Tatsächlich scheinen neue Omikron-Subvarianten, BA.2.75.2 oder BJ.1, die im Winter dominieren könnten, eine bestehende Immunität besser umgehen zu können als alle bisherigen. Der Schutz vor schweren Erkrankungen scheint aber zu bleiben.
Redlberger-Fritz hält die Sichtweise von WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus, wonach die Pandemie zwar nicht zu Ende, das Ende aber in Sicht sei, „für eher fassbar“. Er hat betont, dass – wie bei der Schlussphase eines Marathons – jetzt die Zeit ist, nochmals mit aller Kraft zu laufen.
Das sieht auch Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter im Interview mit dem KURIER-daily-Podcast so: „Wir sind auf dem Weg zum Pandemieende, aber medizinisch gesehen sind wir noch nicht dort.“ Auch wenn derzeit die Pandemie „praktisch nicht spürbar ist – außer auf den Covid-Stationen“. Politisch sei ganz klar das Ziel, „wir müssen zur Normalität – wie auch immer diese definiert ist – zurückkehren“. Hutter betont aber, dass man nicht nur auf die Spitäler schauen dürfe: „Wenn im Dezember viele Menschen zu Hause krank sind, dann gibt es auch Probleme für unser Zusammenleben.“
Auch nach Einschätzung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) ist die Corona-Pandemie noch nicht zu Ende. „Wir in Europa betrachten die Pandemie immer noch als andauernd und es ist wichtig, dass sich die Mitgliedsstaaten auf die Einführung der Impfstoffe und insbesondere der angepassten Impfstoffe vorbereiten, um eine weitere Ausbreitung dieser Krankheit in Europa zu verhindern“, sagte EMA-Medizinchef Steffen Thirstrup bei einem Pressebriefing.
"Soziales Ende" einer Pandemie
Tatsächlich gibt es aber nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein „soziales Ende“ einer Pandemie: „Ab dem Zeitpunkt, in dem es wirksame Impfungen und Medikamente gibt, ändert sich der Umgang mit Seuchen“, sagt die Medizinhistorikerin Daniela Angetter von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Das ist das ,soziale Ende‘ von Pandemien. Man findet sich damit ab, dass es diese Krankheit gibt, lebt damit, arrangiert sich mit der Krankheit. Die Angst nimmt ab.“
Ähnlich sieht es auch die Psychologin Natalie Ölsböck: „Nach den Lockdowns wollten viele wieder Spaß haben und feiern. Diesen Effekt sieht man jetzt auch.“ Viele würden sich denken, „wir müssen jetzt leben und genießen, bevor wieder eine neue Variante kommt“. Gleichzeitig hätten aber ältere Menschen oder Risikogruppen immer noch Angst, sich anzustecken. „Die Leute sind sich bewusst, dass noch was kommen kann, nehmen aber an, dass das Ausmaß nicht mehr so krass wird.“
Da es gerade in Österreich schon Erfahrungen mit voreiliger Euphorie und entsprechenden Enttäuschungen gebe, seien viele weiterhin zurückhaltend in ihrem Verhalten. Gleichzeitig werden viele Sekundärfolgen noch lange an die Pandemie denken lassen, sagt Ölsböck: „Ängste, psychische Probleme und Einsamkeit haben zugenommen. Daran werden wir noch länger kiefeln.“ Auch deshalb werde es kein abruptes, sondern „ein schleichendes Pandemieende“ geben. Die Menschen bräuchten Zeit, das Ende zu erfassen: „Die Leute müssen selbst erleben und spüren, dass es immer leichter wird.“
Doch noch heißt es abzuwarten, sagt Virologin Redlberger-Fritz: „Wirklich vorhersagbar ist nur, dass das Virus unberechenbar bleibt.“
Kommentare