"Die Belastung der Spitalsmitarbeiter ist weiterhin hoch"

Symbolbild.
Der Wiener Lungenmediziner Arschang Valipour kritisiert die hohen Inzidenzen und die geringe Durchimpfungsrate.

"Die Pandemie ist vorbei, aber wir haben immer noch ein Problem mit Covid" - die Aussage von US-Präsident Joe Biden erregte weltweit Aufmerksamkeit, der KURIER berichtete. Was sagen Experten zu dieser Sichtweise? Der KURIER fragte bei dem bekannten Lungenmediziner Arschang Valipour, Leiter der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie in der Klinik Floridsdorf in Wien, nach.

KURIER: US-Präsident Biden sagt, dass die Pandemie vorbei ist. Der WHO-Chef sagt: Wir sind noch nicht dort, aber das Ende ist in Sicht. Stimmen Sie zu?

Arschang Valipour: Nein, die Pandemie ist nicht vorbei. Wir beobachten noch immer viele Mutationen, die gerade zuletzt einen Immunescape haben, die sich dem Infektionsschutz – durch Infektion oder Impfung – entziehen und teilweise auch die Medikamente weniger wirksam sind. Aus medizinischer Sicht haben wir noch nicht alle Werkzeuge in der Hand, die wir benötigen, um eine möglichst breite Abdeckung und Sicherheit anzubieten. Auch die bisherigen Auswirkungen der Pandemie wie Long Covid beschäftigen uns noch sehr.

Wie sieht die Lage auf Intensivstationen aus?

Die Überlastung auf den Intensivstationen sind nicht mehr gegeben, aus Sicht des Intensivmediziners mag die Pandemie vorbei sein. Aus Sicht des Spitalsmediziners unterliegen wir derzeit starken Schwankungen, wie wir es von der Grippe kennen: Hier bewegen wir uns auf eine Endemie zu, sind aber noch nicht dort. Wir haben immer noch viel zu hohe Infektionszahlen mit all den Konsequenzen und einer weiterhin hohen Belastung des Gesundheitssystems. Somit ist es das falsche Signal die Pandemie formal für beendet zu erklären.

"Die Belastung der Spitalsmitarbeiter ist weiterhin hoch"

Werden wir diesen Herbst, Winter stärker differenzieren, wie die Lage auf Intensivstationen, Normalstationen oder wie es mit Krankenständen zu Hause aussieht?

Ich denke, wenn wir unsere Situation mit dem Vorjahr vergleichen, dann sehen wir auf Intensivstationen eine deutliche Besserung, was sehr erfreulich ist. Wir hatten mit der Delta- und all den vorhergehenden Varianten eine hohe Sterblichkeit, die sich durch die Dominanz von Omikron, der Verfügbarkeit von Impfungen und den nun auch verfügbaren Medikamenten Zug um Zug gebessert hat. Das ist die gute Nachricht.

Auf den Normalstationen rechnen wir aber weiterhin mit beträchtlichen Belastungen, wenn auch nicht Überlastungen. Wir sehen weiterhin mehr Patienten, als wenn es Covid-19 nicht geben würde. Zudem gibt es Betroffene mit Grunderkrankungen, deren Gesundheitszustand sich durch Covid-19 verschlechtert: Das betrifft u.a. Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, Nierenerkrankungen und chronische Lungenerkrankungen. Wir haben bereits im Sommer gesehen, dass sich diese Erkrankungen durch eine Infektion verschlechtern.

Ist die Inzidenz zu hoch?

Ja. Die Inzidenz ist zu hoch, außerdem laufen wir dem Virus hinterher, was die Mutationen betrifft, und haben keine ausreichend hohe Durchimpfungsrate, v.a. was den dritten und vierten Stich betrifft. Das Verhältnis Inzidenz, Durchimpfungsrate bzw. Wirksamkeit der Impfungen ist leider nicht gut genug.

Erhoffen Sie sich durch den vierten Stich mit einem Varianten angepassten Impfstoff eine bessere Ausgangslage für den Herbst/Winter?

Ja. Der bivalente BA.5-Impfstoff gewährleistet eine Verbreiterung des Immunschutzes. Aber neue Varianten wie BA.2.75 stehen vor der Tür. Die Anpassung des Impfstoffes auf die letztgültige Omikron-Variante ist ein weiterer wichtiger Schritt um auch zukünftig das Risiko für schwere Verläufe zu senken. Aber die Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitssystem ist weiterhin hoch, Ressourcen und Kapazitäten werden deutlich in Anspruch genommen. Hinzu kommt, dass hohe Infektionszahlen naturgemäß auch mit krankheitsbedingten Ausfällen beim Gesundheitspersonal einhergehen und daher die Bewältigung der genannten Herausforderungen erschwert.

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