Ein Alter von 500 Jahren: Kann das jemals zur Realität werden?
„Unsterblich werden wir nicht, aber ich halte Lebenserwartungen von 300 oder auch 500 Jahren nicht mehr für unmöglich.“ Das sagt die renommierte Biochemikerin Renée Schroeder. In ihrem neuen Buch (siehe unten) begründet sie ihren Optimismus und gibt auch praktische Tipps für ein langes und gesundes Leben.
KURIER: Wie könnte das funktionieren, dass Menschen je so alt werden?
Renée Schroeder: Über ständige Erneuerung – und nicht die reine Erhaltung. Das größte Problem im Alter ist, dass alte Zellen in einem erstarrten Zustand sind: Sie können sich nicht mehr teilen und vermehren, aber gleichzeitig können sie auch nicht sterben. Sie häufen sich an, entzünden das Gewebe rundherum. Und das begünstigt die Entstehung altersbedingter Krankheiten. Man muss die alten Zellen also entfernen, damit sie keinen Schaden mehr anrichten. Alte Zellen sterben zu lassen, damit neue junge Zellen ihre Aufgaben übernehmen – das ist der Schlüssel zur ewigen Jugend.
Und wie soll das geschehen?
Alte Zellen müssen in den Zelltod, die Apoptose, geschickt werden. Und wir müssen unsere Stammzellen aktivieren, damit mehr neue Zellen gebildet werden. Die Werkzeuge dafür gibt es bereits. Ein Beispiel: Das Eiweiß p53 ist der Wächter über unser Erbgut, unser Genom. Es ist beteiligt an der Reparatur von DNA-Schäden, aktiviert die Zellteilung und den Zelltod. Das Problem ist nur, dass es in alten Zellen von einem anderen Protein, Foxo 4, gleichsam festgehalten und blockiert wird. Es werden bereits Substanzen entwickelt, die dafür sorgen sollen, dass Foxo 4 durch den Erbgutwächter p53 nicht mehr blockiert werden kann. Das wäre eine Verjüngungsdroge, da mehr neue Zellen gebildet werden können. Ein weiterer Ansatz sind Stammzelltherapien.
Inwiefern?
Ein Merkmal des Alterns ist ein Verlust an Stammzellen, Zellschäden können nicht mehr ordentlich repariert werden. Das Problem sind zu kurze Telomere, die Schutzkappen an den Chromosomen. Stammzellen verlieren dadurch die Fähigkeit, sich zu teilen und zu anderen Zelltypen zu entwickeln. Das Enzym Telomerase hält die Telomere lang – es ist aber in älteren Zellen nicht mehr aktiv. Man könnte Stammzellen genetisch so verändern, umprogrammieren, dass sie konstant Telomerase herstellen. Die technologischen Werkzeuge dafür haben wir bereits. Je länger die Telomere, desto höher die Lebenserwartung. Dadurch könnten ausreichend Stammzellen produziert werden. Hier sind aber noch Studien notwendig, weil unkontrolliertes Stammzellwachstum auch ein Krebsrisiko bedeutet.
Das sind Zukunftsprojekte. Was kann man jetzt bereits für mehr gesunde Jahre tun?
Ich habe „10 Gebote zum Ewigen Leben“ formuliert. Nur zwei davon liegen in der Zukunft: Die acht anderen kann man sofort umsetzen. Erstes Gebot ist für mich „Das Leben genießen und nicht auf Ausatmen vergessen.“ Ich kenne viele Menschen, die ständig gestresst sind, unentspannt, und aufs Ausatmen, auf Entspannung, vergessen. Nicht umsonst ist beim Yoga das Ausatmen mindestens doppelt so lange wie das Einatmen.
Und sonst?
Gleich danach kommt „Ein Gläschen Rotwein mit reifem Käse genießen“ – viele, die besonders gesund leben wollen, glauben ja, Genießen ist etwas Schlechtes. Bei dem Satz geht es aber auch um meine Empfehlung, „Sirtfood“ zu essen – Lebensmittel, die Sirtuine, spezielle Enzyme, aktivieren, die eine lebensverlängernde Wirkung haben. Rotwein zählt da dazu, ebenso Olivenöl, Kurkuma, Chili, dunkle Schokolade, Knoblauch, Kaffee, grüner Tee, Walnüsse, Zitronensaft oder Äpfel.
Sie raten auch zum Fasten.
In diesen Phasen wird die „Autophagie“ aktiviert, ein Prozess, bei dem sich Zellen nicht mehr benötigter Zellbestandteile entledigen und diesen Zellmüll aus ihrem Inneren entfernen – auch das hilft gegen frühzeitiges Altern. Ich versuche, immer wieder das Abendessen auszulassen und am nächsten Tag erst rund 18 Stunden nach der letzten Mahlzeit zu essen. Ebenso empfehle ich kalte Wasseranwendungen und natürlich Bewegung – beides aktiviert die Zellerneuerung.
Sie empfehlen die Einnahme von Nicotinamid Ribosid?
Diese Vorstufe des Coenzyms NAD erhöht die Aktivität in den Zellkraftwerken, den Mitochondrien. Es erhöht die Energiemenge, die Zellen zur Verfügung steht, besonders auch im Gehirn. Ich nehme es selbst, genauso wie Spermidin, das die Zellreinigung ankurbelt. Es gibt Hinweise, dass beide Substanzen das Risiko für altersbedingte Krankheiten senken können.
Würden Sie persönlich gerne 300 oder 500 Jahre alt werden wollen?
Ich würde unheimlich gerne wissen, was in 300 Jahren alles schon erforscht ist, welche heute noch unbekannten Errungenschaften es dann gibt. Deshalb würde ich sehr gerne so alt werden. Um das zu wollen, muss man aber ein sehr optimistischer Mensch sein.
Wieso?
Bei Lesungen und Vorträgen ist die häufigste Reaktion, die ich höre, dass die Menschen nicht so alt werden wollen und sagen, „Auf keinen Fall, das wäre ein Horror.“ Mein Eindruck ist, dass das oft pessimistisch veranlagte Menschen sind. Für mich war diese so mehrheitlich negative Sichtweise einer Lebensverlängerung schon überraschend.
Maximale Lebenserwartung
Die bestätigte maximale menschliche Lebenserwartung liegt bei 122 Jahren: 1997 starb in diesem Alter die Französin Jeanne Calment. Als ältester lebender Mensch gilt derzeit die Französin Lucile Randon (119. Lebensjahr, geb. am 11. 2. 1904)
Diskussion um Altersgrenze
In der Wissenschaft ist umstritten, ob die derzeitige Altersgrenze von 120 Jahren beliebig verschoben werden kann. Erster Ansatz vieler Forscher ist daher, zunächst die durchschnittliche Lebenserwartung weiter zu steigern
Aber ist eine derartige Lebensverlängerung, wenn sie möglich wäre, nicht auch ein ethisches Problem?
Natürlich würde das viele Fragen aufwerfen, ich beschreibe das auch in meinem Buch: Was werden die „Unsterblichen“ den ganzen Tag lang tun, wenn es keine Arbeit gibt für sie? Ich sehe das aber nicht so kritisch: Ich denke, dass es ein glückliches langes Leben sein kann, das man genießen kann. Aber natürlich ist das jetzt einmal ein Gedankenexperiment von mir und ein derart langes Leben würde viele Fragen aufwerfen, was die Ressourcen der Erde betrifft, den Lebensraum, etc. Aber da bin ich zuversichtlich, dass uns auch hier der technologische Fortschritt und auch die künstliche Intelligenz helfen werden, Lösungen für die verschiedenen Probleme zu finden.
Renée Schroeder, geboren 1953 in Brasilien, studierte Biochemie in Wien und New York, habilitierte sich für Genetik und leitete das Department für Biochemie und Zellbiologie an der Universität Wien. Die international renommierte Wissenschaftlerin leistete Pionierarbeit, etwa in der Erforschung der RNA. In Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie und den mRNA-basierten SARS-CoV-2-Impfstoffen erhielt die Ribonukleinsäure, deren Eigenschaften Schroeder mehr als vierzig Jahre lang höchst erfolgreich erforschte, große öffentliche Aufmerksamkeit.
Die vielfach ausgezeichnete Molekularbiologin, deklarierte Umweltschützerin und Autorin betreibt seit ihrer Pensionierung einen Bergbauernhof in Abtenau (leierhof.at), Salzburg, wo sie viel mit Kräutern aus aller Welt experimentiert. Diese verarbeitet sie zu Tees, Salben, Seifen und vielem mehr und bezeichnet sich selbst als „Kräuterhexe“.
Darüberhinaus engagiert sich in der Vermittlung von Wissenschaft an eine breite Öffentlichkeit und ist eine vielbeachtete Stimme bei großen gesellschaftspolitischen Fragen.
BUCHTIPP: Renée Schroeder: „Der Traum von der Unsterblichkeit“, Brandstätter, 112 Seiten, 20 Euro
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