5 Fragen zur Covid-Winterwelle: Was internationale Experten sagen
Alle Jahre wieder kommt die Winterwelle – auch wenn mittlerweile zahlreiche Impfstoffe sowie an Varianten angepasste Impfstoffe verfügbar sind, steht uns eine neuerliche Infektionswelle bevor, wie internationale Expertinnen und Experten in einem Beitrag im Fachjournal Nature meinen. Das zeigt sich in Österreich bereits langsam in leicht ansteigenden Fallzahlen. Experten wie der Molekularbiologe Ulrich Elling und der Komplexitätsforscher Peter Klimek gehen davon aus, dass es saisonbedingt zu weiteren Anstiegen kommen wird. Die Virologin Dorothee von Laer meint, dass es auch im dritten Corona-Herbst eine neuerliche Maskenpflicht brauchen wird. "Je früher man die Welle abwürgt, desto besser", sagte sie gegenüber dem KURIER.
Doch wie könnte die diesjährige Welle verlaufen, wie steht es um die angepassten Impfstoffe und mit welchen Varianten müssen wir rechnen? Fünf Fragen und Antworten.
Warum wird wieder eine Winterwelle erwartet?
Erste Anstiege der Infektionszahlen werden nach einem Abflachen Ende August seit Schulbeginn verzeichnet. Dieser Effekt wurde auch erwartet – zum einen, da mit dem Ende der Hauptreisezeit wieder mehr Menschen aus Urlauben zurück sind und zum anderen, da es mit dem Schulbeginn wieder vermehrt Kontakte gibt und häufiger getestet wird. Herbst und Winter erhöhen allgemein das Infektionsrisiko, da wir uns vermehrt in Innenräumen aufhalten, sei es bei kleineren Treffen unter Freunden und Familie, aber auch bei Indoor-Veranstaltungen wie Festen, Kino oder Sport.
Gleichzeitig sinkt die Immunität durch Impfungen über die Zeit. Die notwendigen Booster-Impfungen werden bisher noch nicht ausreichend angenommen. Bisher haben in Österreich laut Gesundheitsministerium 741.105 Menschen eine Auffrischungsimpfung, also eine vierte Impfung nach der Grundimmunisierung, erhalten. Gleichzeitig fehlt rund 80 Prozent der Kinder und jungen Erwachsenen die dritte Impfung.
Warum kann dieser Winter dennoch anders verlaufen als die vorherigen beiden?
Zwar sind wir insgesamt im Vergleich zu den vorigen beiden Pandemiejahren mittlerweile besser geschützt. Neu sind etwa die an Varianten angepassten Impfstoffe, in Österreich und vielen Ländern ist vor allem jener gegen die Varianten BA.4/BA.5 relevant – rund 95 Prozent der Infektionen sind auf BA.5 zurückzuführen. Allerdings verlief die Einführung dieser bivalenten Booster – sie schützen sowohl gegen die Variante als auch gegen das Ursprungsvirus – international "etwas langsam", wie Justin Lessler, ein Epidemiologe für Infektionskrankheiten an der University of North Carolina, im Fachjournal Nature meint. Laut Lessler gibt es zudem Anzeichen dafür, dass sich Omikron weiterentwickelt und neue Varianten hervorbringt, die der Immunität ausweichen können. "Das könnte in den Herbst- und Wintermonaten zu einigen Aufschwüngen führen", so Lessler.
Medikamente wie Paxlovid schützen zwar vor schweren Verläufen – das zeigt sich in Österreich etwa an einer in den vergangenen Monaten konstant niedrigen Belegung der Intensivstationen mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten. Allerdings helfen einige der monoklonalen Antikörpertherapien bei den aktuell vorherrschenden Varianten nicht oder nicht mehr so gut. Das liegt daran, dass BA.5 gute Immunflucht-Eigenschaften besitzt, sich also auf andere Varianten ausgerichteten Antikörpern besser entziehen kann.
Auf den Normalstationen ist aktuell ein Anstieg zu beobachten – derzeit werden 1.626 Menschen mit Covid-19 in Spitälern behandelt. Allerdings sind hier auch Zufallsbefunde inkludiert, also Personen, die zwar Covid-positiv sind, aber aufgrund einer anderen Erkrankung behandelt werden müssen. International werden ebenfalls erste Anstiege verzeichnet, etwa in den USA und in Großbritannien. Die Krankenhauseinweisungen von Menschen, die positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, nehmen in Großbritannien und anderen europäischen Ländern schnell zu – wenn auch auf einem niedrigen Niveau, wie die US-Epidemiologin Jennifer Nuzzo von der Brown University in Rhode Island gegenüber Nature meint.
Welche Rolle spielt die Grippe?
Befürchtet wird, dass diesen Herbst und Winter deutlich mehr Doppelinfektionen von Covid und Influenza auftreten können und zur Covid-Welle eine starke Grippewelle hinzukommt. Nach zwei Jahren ohne Grippewelle in Österreich sowie in vielen anderen Ländern, könnte die Influenza durch die reduzierten Corona-Maßnahmen – allen voran die großteils nicht mehr getragene Maske – ein größeres Comeback liefern. In Kombination mit erhöhten Covid-Ausfällen von Krankenhauspersonal kann das zu Engpässen im Gesundheitssystem führen.
Ist mit neuen Varianten zu rechnen?
Die derzeit ansteigenden Fallzahlen sind derzeit "wahrscheinlich noch nicht" auf neue Varianten zurückzuführen, sagte der belgische Evolutionsbiologe Tom Wenseleers von der Katholischen Universität Leuven. Vielmehr sei die nachlassende Immunität sowie der Anstieg sozialer Aktivitäten – diese sind laut britischen Gesundheitsbehörden in vielen Ländern wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie – der Grund für Anstiege. In Österreich ist derzeit die Variante BA.5 vorherrschend, neue Varianten spielen noch keine Rolle.
Allerdings rechnet etwa Anthony Fauci, Pandemieberater von US-Präsident Joe Biden, diesen Spätherbst und Winter mit einer weiteren Variante. Internationale Experten beobachten vier Varianten, die das Potenzial haben, sich durchzusetzen und für Wellen zu sorgen: BA.4.6, BA.2.75.2, BQ.1.1 und BF.7. Alle vier sind Abkömmlinge von Omikron und haben Veränderungen an maßgeblichen Schlüsselstellen, die wiederum beeinflussen, wie gut unser Immunsystem sowie die Impfungen schützen. Trotz unterschiedlicher Äste, aus denen sie sich entwickelt haben, tragen sie viele gleiche Mutationen des Spike-Proteins. "Offensichtlich gibt es einen optimalen Weg für eine Variante, um in diese Saison zu gehen", meint dazu Tom Peacock, Virologe am Imperial College London. Tom Wenseleers ergänzt: "Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass mindestens eine dieser Varianten oder eine Kombination dazu zu einer neuen Infektionswelle führen wird." Und weil sich alle ähnlich zu verhalten scheinen, "ist es am Ende des Tages nicht so wichtig, welche davon das nächste große Ding werden."
Wie stark wird die Herbst-/Winterwelle sein?
Wenseleers geht davon aus, dass die Herbst-/Winterwelle ähnlich groß sein wird wie die BA.5-Welle – zumindest was die Infektionszahlen betrifft. Schwieriger vorherzusagen seien die Auswirkungen auf die Krankenhausaufenthalte. Die bestehende Immunität durch Impfungen und frühere Infektionen dürfte die schweren Erkrankungen niedriger halten, aber wie niedrig, sei unklar. „Obwohl ein völlig anderer Ausgangspunkt besteht als 2020 oder 2021, wäre ein Anstieg wahrscheinlich immer noch mit einer Zunahme der Todesfälle und einer Zunahme der Krankenhauseinweisungen verbunden“, sagte US-Epidemiologe Lessler.
Auch eine relativ niedrige Covid-19-Welle könnte die Krankenhäuser belasten, die mit Urlaubsrückständen sowie Personalausfällen konfrontiert sind. Insbesondere, wenn es zur gefürchteten Twindemic, also dem gleichzeitigen Auftreten einer Covid-19- und Influenza-Welle komme.
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