Altersforschung: Der Streit um das ewige Leben
Wir spalten Atome, lassen Roboter für uns arbeiten und sind dabei, Mond und Mars zu besiedeln. Doch so fortgeschritten Forschung und Wissenschaft auch sein mögen, dem Grunddilemma der menschlichen Sterblichkeit ist nach wie vor nicht beizukommen. Dabei ist der Traum, ewig jung zu bleiben, so alt wie die Menschheit.
Schon in der griechischen Mythologie ist Hebe, die Göttin der Jugend, nicht nur der Inbegriff des blühenden Lebens, sie kann auch Unsterblichkeit verleihen. Als Mundschenkin der Götter erneuert sie deren Jugend mit ihrem Zaubertrank und macht sie dadurch unsterblich.
Wir Menschen würden wohl wer weiß was dafür tun, um das Rezept des Elixiers in Hebes Kännchen zu kennen. Statt in Ambrosia und Nektar investieren die Utopisten von heute in Forschung. Denn sie wollen sich mit der alten, vermeintlichen Gewissheit des sicheren Todes nicht abfinden.
Weltweit wird in genetischen Labors, insbesondere in den USA und in China, daran gearbeitet, das Sterben, zumindest aber das Altern aufzuhalten. Skeptiker kritisieren, dass die Möglichkeiten, länger zu leben und gesund zu altern, einer Elite vorbehalten bleiben und sich Reiche mit neuen biomedizinischen Entwicklungen Vorteile verschaffen könnten – schließlich lässt sich mit dem Jugend-Versprechen auch viel Geld machen.
Einer jener Forscher, die am Traum vom ewigen Leben arbeiten, ist der britische Bioinformatiker Aubrey de Grey, der das menschliche Altern auf ungünstige biochemische Prozesse zurückführt. Er hält das Altern für eine Krankheit, die man gezielt aufhalten oder bald sogar heilen könne. Der Mensch, der 1.000 Jahre alt wird, könnte bereits leben, behauptet er.
Nicht ganz so optimistisch ist der australische Biologe und Genetikprofessor David Sinclair. Immerhin: Der Mensch, der 150 Jahre alt wird, ist schon geboren, glaubt er(Interview re.). Auch ihm zufolge ist Altern eine Krankheit, die man behandeln sollte – und gegen die es Mittel gibt. In seinem Buch „Das Ende des Alterns“ prophezeit er eine Revolution der Medizin.
Der Salzburger Stammzellenforscher Günter Lepperdinger antwortet auf die Frage: "Wie alt kann der Mensch werden?" routinemäßig: "So um die 120 Jahre". Er hält Altern auch nicht für eine Krankheit oder eine Kränkung der Natur, sondern für eine Überlebensstrategie unserer Art. "Die Natur verfolgt natürlich die Strategie, Unsterblichkeit zu etablieren. Im Sinne der Evolution muss jedoch nicht das Individuum überleben, sondern die Population."
Tatsächlich steigt zwar die mittlere Lebenserwartung in Österreich (derzeit liegt sie bei 80 Jahren) und anderen westeuropäischen Ländern ständig, und das rasant: Jedes Jahr um drei Monate. Die maximale Lebenserwartung jedoch steige "möglicherweise, aber nicht drastisch". Die 1997 im Alter von 122 Jahren verstorbene älteste Frau der Welt, die Französin Jeanne Calment, könnte, so Lepperdinger, auch "ihre eigene Tochter gewesen sein. Aber wenn sie in Wahrheit 100 war, ist das ja auch ganz schön."
"Essen Sie weniger“. Für diesen unspektakulären Ratschlag müsste man eigentlich nicht David Sinclairs neues Buch lesen. Schon der griechische Arzt Hippokrates riet Zeitgenossen zur begrenzten Nahrungsaufnahme. Altersforscher Sinclair hält die reduzierte Kalorienzufuhr für entscheidend. Aber er hat auch darüber hinaus ein paar Hinweise.
KURIER: Mr. Sinclair, wie lange werden Menschen leben können?
David Sinclair: Möglicherweise bis zu 150 Jahren. Im Jahr 2100 werden Menschen wohl im Schnitt 120 Jahre alt werden.
Ihr Kollege, der britische Bioinformatiker Aubrey de Grey, glaubt, es könnten bis zu 1.000 Jahre werden?
Das halte ich für leicht übertrieben. Aber wer weiß, eines Tages?
Wie alt möchten Sie denn selbst werden?
Ich mache mir keine Gedanken über mich selbst. Aber ich möchte so lange, wie es geht, forschen können.
Warum altern wir überhaupt?
Abstrakt ausgedrückt, weil wir analog sind. Wir altern, weil unsere Zellen ihre jugendliche Information verlieren. Die DNA speichert Informationen im robusten digitalen Format, im Epigenom dagegen, der Gesamtheit jener pulsierenden „Schalter“, die unsere Gene aktivieren, bzw. inaktivieren, sind sie analog gespeichert. Man kann das mit einem DVD-Spieler aus den 1990ern vergleichen. Die Information ist digital, der Player, der sie rotieren lässt, ist analog. Die Alterung ähnelt der Anhäufung von Kratzern auf der Disc mit der Folge, dass die Information nicht mehr richtig gelesen werden kann. Zusammengefasst: Alterung ist ganz einfach ein Informationsverlust.
Ihr Buch heißt „Das Ende des Alterns.“ Ist das nicht übertrieben?
Nein, wir haben das bereits im Labor bewiesen und auch klinische Tests sehen vielversprechend aus. Es geht darum, die richtigen Gene zu aktiveren und so den Organismus zu verjüngen.
Sie bezeichnen Alter als Krankheit.
Ja, Altern ist eine Krankheit. Und wenn Regierungen weltweit dies endlich anerkennen würden, dann gebe es Medikamente gegen das Altern auch auf Krankenschein.
Die Anti-Aging-Pille auf Krankenschein?
Nennen Sie sie bitte nicht so. Das klingt unseriös.
Entscheidend für die Regulierung unserer Lebensdauer sind zum Beispiel Sirtuine, eine Gruppe von Enzymen, die in verschiedenen Lebewesen vorkommen. Sirtuine bilden sich etwa beim Fasten oder beim Sport. Reicht es also, wenig zu essen und und joggen zu gehen?
Das ist schon einmal ein guter Anfang. Auch in die Sauna sollten Sie gehen. Abgesehen davon: Ein Großteil unserer Arbeit besteht darin, Substanzen zu entwickeln, die Sirtuine auch ohne Fasten oder große Anstrengungen in Gang setzen und damit die Zellabwehr stärken.
Dazu gehört etwa Metformin, eine Arznei aus der Echten Geißraute, die zum Teil dieselben Vorgänge wie das Fasten in Gang setzt. Oder der NMN-Wirkkomplex, der zum Beispiel in der Avocado steckt und bei Mäusen eine klare Verjüngung bewirkt. Sie testen viele dieser Mittel auch an sich selbst. Wie fühlen Sie sich?
Nun, ich war noch nie zuvor 50 Jahre alt, daher habe ich keinen direkten Vergleich. Aber danke der Nachfrage, es geht mir gut. Ich fühle mich wie 30.
Angeblich nehmen auch die meisten Ihrer Kollegen Mittel gegen das Altern. Können Sie das bestätigen?
Das ist eine persönliche Frage. Aber ja, das tun sie. Ich würde wetten, dass mindestens ein Drittel von ihnen Metformin einnimmt. Wir sind schließlich alles erwachsene Menschen und wir glauben, das Risiko, nichts zu tun, ist größer, als das Risiko, Medikamente zu nehmen. Übrigens nimmt auch mein 80-jähriger Vater verschiedene Pillen und er ist fitter als ich. Und das, obwohl ich sehr gut in Form bin.
Manche Forscher sind skeptisch, was Ihre Voraussagen bezüglich der Lebenserwartung betrifft.
Vor zehn Jahren war ich ein Außenseiter, wenn ich davon sprach, Arzneimittel herzustellen, die die Lebenserwartung verlängern. Heute geht es nicht mehr darum, ob es geschieht, sondern darum, wann es geschieht.
Bekommen Sie tatsächlich Briefe von Menschen, die Sie darum bitten, das Leben ihres Hamster zu verlängern?
Ja, natürlich. Alles, was in meinem Buch steht, stimmt.
Info: David Sinclair: Das Ende des Alterns Die revolutionäre Medizin von morgen
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Dumont € 26,80
"Für viele Frauen wird der Sex besser"
Autorin Ashton Applewhite über die Anti-Aging-Industrie und den besseren Sex im Alter
Altern hat durchaus auch seine Vorteile, sagt die New Yorker Autorin Ashton Applewhite. Vor zehn Jahren hat die 67-Jährige begonnen, sich gegen Altersdiskriminierung zu engagieren.
KURIER: Mrs Applewhite, es gibt Leute, die halten das Altern für eine Krankheit. Was sagen Sie dazu?
Asthon Applewhite: (lacht). Altern ist natürlich keine Krankheit, sonst wäre das Leben ja auch eine Krankheit. Wir altern ab dem Moment, wo wir auf der Welt sind. Natürlich verändert sich viel im Körper, es gibt definitiv physische Verschlechterungen. Aber Altern mit Krankheit gleichzusetzen ist lächerlich!
Glauben Sie tatsächlich, dass ältere Menschen glücklicher sind?
Es gibt unzählige Studien, die belegen, dass Menschen am Anfang und am Ende ihres Lebens am glücklichsten sind. Zum Teil auch deshalb, weil wir besser mit negativen Gefühlen wie Neid und Ärger umgehen können und einen positiveren Blick auf die Welt haben. Machen Sie eine Umfrage, Sie werden niemanden finden, der wieder jünger sein möchte. Wir hätten gerne unsere fitteren Knie, unsere bessere Sehstärke oder unseren verstorbenen Mann zurück, aber tatsächlich jünger sein will kaum jemand. Denn die Jahre sind es, die uns ausmachen.
Was wird im Alter besser? Der Sex?
Altern hat so viele Vorteile. Allein unsere Erfahrungen. Ich habe so viel gelernt im Leben. Ich bin resilienter geworden, kann Dinge besser einschätzen, habe Vertrauen in mich und die Welt. Und ja, für viele Frauen wird der Sex besser. Wir werden besser im Sex, so wie wir in vielen Dingen besser werden, weil wir uns kennen und wissen, was wir wollen. Aber wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir alles so tun müssen, wie wir es getan haben, als wir jünger waren.
Wenn Altern so viele Vorteile hat: Warum sind wir so jugendbesessen?
Die kurze Antwort: Niemand macht Geld mit Zufriedenheit. Die Anti-Aging-Industrie ist sehr effektiv, uns weiter zu verunsichern. Auch das ist Altersdiskriminierung. Wir erleben doch ständig, dass wir „zu alt“ für etwas sind. Für einen Haarschnitt, eine bestimmte Aufgabe oder eine Beziehung. Anstatt dass uns jemand fragt, wer wir sind und was wir können. Altersdiskriminierung hat auch einen sozialen und ökonomischen Zweck: Sie dient dazu, Ungleichheiten zu legitimieren und aufrechtzuerhalten.
Ist Altersdiskriminierung eher weiblich?
Für Frauen beginnt sie früher, weil sie früher lernen, dass Aussehen alles ist. Wir wissen, dass die glücklichsten Menschen nicht unbedingt Supermodels sind. Trotzdem gilt nach wie vor: Hauptsache, jung, dünn und glatt. So ein Mist!
Zurzeit ist der Charme des Alters sehr gefragt. Saint Laurent warb mit der über 70-jährigen Joni Mitchel, Autorin Joan Didion wurde mit 80 das neue Gesicht des Fashion-Labels Céline und Isabella Rossellini, die man mit 42 zu alt fand, darf mit 65 wieder für Lancôme werben. Steckt dahinter Erkenntnis oder ein Werbeschmäh?
Beides.Aber die Sichtbarmachung Älterer ist insgesamt enorm wichtig und es ist ganz schön blöd von der Industrie, auf eine so große kaufkräftige Gruppe zu verzichten.
Info: Ashton Applewhite: „This Chair Rocks: A Manifesto Against Ageism.“ Bisher nur auf English erschienen. Melville House, 11,61$
Iggy Pop, 72
Die Punkrock-Ikone ist für jahrzehntelangen Exzess sowie den stets nackten Oberkörper bekannt: Sehnig, vernarbt, gegerbt. Selbst auf dem roten Teppich trägt Iggy oben ohne.
„Die Öffentlichkeit kann mich mal.“
Erika Pluhar, 80
Die Wiener Schauspielerin, Sängerin und Schriftstellerin gehört zu jenen Menschen, die mit jedem Jahr schöner werden. An Schicksalsschlägen hat sie nicht viel ausgelassen, das Lachen hat sie sich trotzdem immer bewahrt.
Iris Apfel, 98
Die New Yorker Innenarchitektin und Modeikone macht sich seit Jahren über den Jugendwahn lustig. Alter hält die erfolgreiche Unternehmerin mit Hang zur modischen Opulenz für nichts als „eine Zahl“. Erst mit 80 startete sie als Model durch.
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