Warum eine Top-Virologin optimistisch in die Corona-Zukunft schaut
Es war der 25. 2. 2020: An diesem Tag wurden die beiden ersten Virusinfektionen in Österreich registriert – bei zwei 24-jährigen Italienern in Innsbruck. Zwei Jahre und fast 2,6 Millionen laborbestätigte Coronavirus-Infektionen später blickt die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl, Leiterin des Zentrums für Virologie der MedUni Wien, zurück – und auch nach vorne.
KURIER: Wenn Sie versuchen, sich in den 25. 2. 2020 zurückzuversetzen: Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass es zwei Jahre später rund 30.000 Neuinfektionen am Tag gibt?
Elisabeth Puchhammer-Stöckl: Nein, das hätte ich mir nicht vorstellen können. Aber vor zwei Jahren wussten wir ja auch noch nicht einmal, ob man die Ausbreitung des Virus nicht doch noch begrenzen kann. Das Vorläufervirus SARS 1 konnte ja 2003 ausgerottet werden. Und vor zwei Jahren hatte man immer noch gehofft, dass es irgendwie gelingt, das neue Virus einzufangen. Aber es war dann relativ bald klar, dass das nicht mehr geht.
Seit Pandemiebeginn gab es fünf Wellen. Hätten Sie sich je gedacht, dass die fünfte Welle Anfang 2022 nochmals so heftig sein kann?
Nein. Uns war aber von Anfang an bewusst, dass dieses Virus das Potenzial hat zu variieren und sich im Laufe der Zeit an den Menschen besser anzupassen. Bei jeder neuen Variante die kam war klar, sie muss infektiöser sein als die letzte, sonst setzt sie sich nicht durch. Wir haben halt immer gehofft, dass die jeweils nächste, infektiösere Variante auch leichtere Infektionen macht – weil die Viren dann eher an den oberen Trakt der Atemwege gekoppelt sind und damit einen Übertragungsvorteil gegenüber den Viren haben, die in der Lunge angesiedelt sind. Aber wir wurden diesbezüglich im Herbst 2020 enttäuscht bei der Alpha-Variante, die etwas schwerere Verläufe macht als die ursprüngliche Wuhan-Variante. Und wir wurden bei der Delta-Variante enttäuscht, die zwar infektiöser als Alpha ist, aber nochmals schwerere Verläufe verursacht. Erst jetzt mit Omikron haben wir eine Variante, die sich vor allem im oberen Respirationstrakt ausbreitet und daher auch milder ist.
Die bisherige Erfahrung zeigt also, dass infektiösere Varianten nicht unbedingt milder sein müssen?
Ja. Das ist zwar immer die Hoffnung, dass infektiösere Viren auch milder werden, aber es kann auch ganz anders sein.
Britische Wissenschafter haben vier Szenarien für die Zukunft entwickelt – von einem geringen Wiederanstieg der Fallzahlen im Herbst bis zu einem sehr starken Anstieg verursacht durch neue Varianten. Was halten Sie für realistisch?
Ich glaube, man kann nicht wirklich voraussagen, was kommenden Herbst / Winter sein wird, da gibt es so viele Unwägbarkeiten. So gibt es wahrscheinlich zwei Wege, wie neue Varianten entstehen können:
Zum Einen in Menschen mit geschwächter Immunabwehr, die infiziert werden, deren Immunantwort aber nicht ausreicht, um das Virus ausreichend zu bekämpfen. 2021 gab es eine Studie, die einen solchen immunsupprimierten Patienten genau untersucht hat, der das Virus über Monate in sich getragen hat: In ihm haben sich viele neue Varianten entwickelt.
Der zweite Weg der Variantenentstehung läuft möglicherweise über Tiere: SARS-CoV-2 kann – im Gegensatz zu den meisten für den Menschen gefährlichen Viren – vom Mensch auf verschiedene Tierarten übergehen und von diesen wieder zurück auf den Menschen. Das ist etwa bei Nerzen oder Hamstern der Fall, aber offenbar auch bei Mäusen. Möglicherweise ist das Coronavirus bereits ziemlich am Anfang der Pandemie von Menschen auf eine Mauspopulation übergegangen. Dort hat es sich dann lange vermehrt und weiterentwickelt – so könnte die Omikron-Variante entstanden sein. Durch Rückinfektionen ist sie dann auf Menschen übertragen worden. Das ist zwar noch eine Hypothese, aber es spricht manches dafür.
Angesichts dieser unterschiedlichen Entstehungswege kann man überhaupt nicht einschätzen, in welche Richtung sich neue Varianten entwickeln könnten. Das Einzige, was wir vorhersagen können, ist, dass sich jede neue Variante mit der derzeit dominierenden vergleichen muss: Und nur dann, wenn sie infektiöser ist, oder besser einer bestehenden Immunität entkommt oder sonst irgendwie besser an den Menschen angepasst ist, wird sie sich durchsetzen. Es gibt eine große Anzahl von Varianten, die nie eine Rolle gespielt haben, weil sie mit der Vorgängervariante nicht konkurrieren konnten.
Wird mit Omikron das Ende der Pandemie eingeläutet?
Zuerst: Das Virus geht nicht mehr weg, das ist nicht diskutierbar. Es wird sicher die nächsten Jahrzehnte Teil der Viruspopulation sein, mit der wir es jedes Jahr zu tun haben, also so wie alle anderen Viren, die Atemwegserkrankungen auslösen, etwa die vier Coronaviren, die weitgehend harmlose Erkältungskrankheiten auslösen. Gegen diese haben wir seit dem Kindesalter eine gute Immunantwort aufgebaut. Gegen SARS-CoV-2 gab es vor 2020 natürlich gar keinen Immunschutz. Die Immunantwort durch Impfungen und Infektionen wird uns helfen, mit Omikron so auszukommen wie mit den anderen Atemwegsviren auch. Das könnte – wenn keine andere Variante kommt – einen weitgehenden Rückgang von schweren durch das Virus verursachten Erkrankungen und damit das Aus für die Pandemie bedeuten.
Könnte dann das dritte Corona-Jahr das letzte der Corona-Pandemie sein – ähnlich wie bei der Spanischen Grippe?
Bei der Spanischen Grippe (1918–1920) waren es drei Jahre – das zweite Jahr war das ganz schwere Jahr mit den meisten Todesfällen, im dritten Jahr ist die Pandemie ausgelaufen. Daher kommt unser Gefühl für drei Jahre. Aber wir haben – von der Größe her – nur diese eine Influenza-Pandemie, wo wir sehr bedingte Vergleiche anstellen können. Ob es jetzt bei der derzeitigen Corona-Pandemie auch so kommt, wissen wir aber nicht. Schließlich haben wir alle noch nie eine Pandemie beendet.
Wird es wieder ein Leben wie vor der Pandemie geben?
Das hoffe ich und davon gehe ich absolut aus. Wir werden uns irgendwann mit dem Virus arrangiert haben. Was uns wahrscheinlich bleiben wird, ist ein höheres Bewusstsein, wie man sich vor Infektionen schützen kann. Und so werden vielleicht viele auch weiterhin bei einer hohen Virenbelastung im Winter weiterhin freiwillig eine FFP2-Maske etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Innenräumen mit vielen Anwesenden tragen. Aber abgesehen davon werden wir wieder in eine Normalität wie vor der Pandemie zurückkommen.
Könnte es dann nach der Pandemie so werden wie bei der Influenza, dass jährlich nur ein kleinerer Teil der Bevölkerung erkrankt und es in der Regel zu keiner Überlastung der Spitäler kommt?
Ja, wobei es natürlich schon Unterschiede zwischen Influenza und Coronaviren gibt. So ist die Influenza-Impfung nicht so effektiv wie die Corona-Impfung. Bei der Influenza kann man genau beobachten, wann sie – im Winter – nach Europa und nach Österreich kommt, dann kommt es zur Epidemie und nach zirka drei Monaten ist die Epidemie meist vorbei. In der übrigen Jahreszeit zirkulieren Influenza-Viren nicht bei uns. Die Coronaviren zirkulieren hingegen das ganze Jahr, nur in verschiedenen Jahreszeiten unterschiedlich stark. Wobei auch heftige Influenza-Wellen die Spitäler zumindest für einige Wochen sehr belasten können.
Bedeutet das, dass es theoretisch auch zwei Erkrankungswellen im Jahr mit Coronaviren geben könnte?
Ja, theoretisch könnte es auch mehrere Wellen mit SARS-CoV-2 in einem Jahr geben, oder es gibt das ganze Jahr über zeitweise eine etwas stärkere, dann wieder schwächere Hintergrundzirkulation. Wir leben ja seit vielen Jahren mit den anderen vier Coronaviren, die der Bevölkerung nicht einmal auffallen. Die haben alle diesen saisonalen Knick im Sommer, dass sie bis zum April stärker zirkulieren, im Sommer kaum und dann im August / September wieder beginnen nachweisbar zu werden. Wir hoffen, dass auch Omikron so einen Knick machen wird – ganz sicher voraussagen kann man es aber nicht.
Heftig diskutiert wird nach wie vor die Herkunft von SARS-CoV-2: Nach wie vor vertreten einzelne Forscher die Laborhypothese, wonach das Virus aus dem Institut für Virologie in Wuhan entwichen sei.
Man kann diese Hypothese nach wie vor nicht mit 100-prozentiger Sicherheit ausschließen, aber ich gehe – wie die große Mehrheit der Wissenschafter – von einem natürlichen Ursprung in Fledermäusen aus. Ob es dann noch einen Zwischenwirt – so wie bei SARS 1 – gab, bevor das neue Coronavirus auf den Menschen ging, wissen wir nicht. Zuletzt wurden in Laos in Hufeisennasen Coronaviren mit der bisher größten genetischen Ähnlichkeit zu SARS-CoV-2 isoliert. Das erhärtet die These eines natürlichen Ursprungs.
Zur Immunität: Wird eine vierte Impfung für alle notwendig werden?
Das wird letztlich das Nationale Impfgremium bewerten müssen. Die Daten dazu sind derzeit noch sehr unterschiedlich und die Antwort auf die Frage, ob auch gesunde, junge Menschen eine vierte Impfung benötigen, ist noch völlig offen. Schon derzeit bekommen bestimmte Gruppen – etwa viele Krebspatienten, Transplantierte – eine vierte Impfung, weil sie nach drei Impfungen keinen ausreichenden Immunschutz aufgebaut haben. Generell aber ist es so: Der Umstand, dass wir derzeit doch relativ viele leichte Covid-Erkrankungen haben, liegt zu einem großen Teil am guten Schutz vor schweren Erkrankungen durch drei Impfungen.
Auch wenn Vorhersagen nicht möglich sind: Wie ist ihr gefühlsmäßiger Ausblick für dieses Jahr?
Wie gesagt: Künftige Varianten kann niemand vorhersagen. Aber ich bin momentan sehr optimistisch, dass wir zumindest von den schweren Infektionen wegkommen werden und es in Richtung weitgehend milder Atemwegsinfekte geht, wie wir sie auch von anderen Viren kennen. Und im Herbst sollte es dann nur mehr relativ leichte Infektionen geben, weil die Immunität sehr hoch ist. Das ist meine Hoffnung.
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