Warum die Covid-Impfstoffe noch keine dauerhafte Zulassung haben
Nach Beginn der Pandemie sehnten viele die rasche Entwicklung von Impfstoffen herbei. Weltweit wurde intensiv geforscht – Ende des Jahres 2020 konnten bereits die ersten Impfungen verabreicht werden. Die Hersteller Biontech/Pfizer, Moderna, Astra/Zeneca und Johnson & Johnson erhielten von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA nacheinander eine sogenannte "bedingte Genehmigung", also eine zeitlich befristete Zulassung, die ein Anwenden der Impfstoffe in der EU ermöglichte.
14 Monate danach ist die bedingte Zulassung nach wie vor aufrecht und noch nicht in eine dauerhafte Zulassung umgewandelt. Das liefert Stoff für Verschwörungstheorien und sorgt bei manchen für Skepsis, ob der Grund dafür an Problemen der Impfstoffe liegt oder Daten geheim gehalten werden, die auf Mängel hinweisen. Der KURIER hat bei Impfstoffexpertin Christina Nicolodi nachgefragt. "Ich verstehe, dass dieser Wortlaut der 'bedingten Zulassung' für manche mit Zweifeln behaftet ist und Bedenken schürt. Die muss man aber nicht haben. Auch für eine bedingte Zulassung müssen alle grundlegenden Daten vorhanden sein." Diese werden allerdings in beschleunigter Form begutachtet und sind an Auflagen geknüpft.
Mehr Ressourcen in kürzerer Zeit
Auch bei bedingter Zulassung müssen Studien und Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe vorliegen. Unter üblichen Bedingungen dauert es etwa zwei bis fünf Jahre, bis ein Impfstoff auf den Markt kommt. Bei den Covid-Impfstoffen wurden aufgrund der schwerwiegenden Folgen von SARS-CoV-2 jedoch deutlich mehr Personal und finanzielle Ressourcen in kürzerer Zeit eingesetzt. "Je eher ein sicherer und wirksamer Covid-19-Impfstoff verfügbar ist, desto rascher können mehr schwerwiegende Auswirkungen der aktuellen Pandemie verhindert werden. Die Vorteile eines Impfstoffes zum Schutz vor Covid-19 müssen aber weitaus größer sein als mögliche Risiken und Nebenwirkungen", heißt es dazu bei der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Auch bei beschleunigtem Ablauf erfolgt das Zulassungsverfahren auf Basis unabhängiger Bewertungen, zusätzlich werden die Impfstoffe nach bedingter Zulassung engmaschig überwacht.
Laut Nicolodi gibt es bedingte Zulassungen schon sehr lange. Sie werden häufig bei Medikamenten für seltene Erkrankungen vergeben, wo es allein schon aufgrund der Seltenheit der Erkrankung nicht möglich ist, in kurzer Zeit viele Probanden zu untersuchen. "Wenn der Nutzen das Risiko übersteigt, muss man schauen, dass derartige Medikamente rasch auf den Markt kommen. Das war auch bei der Pandemie so – der hohe Bedarf an Impfstoffen hat dazu geführt, dass sie die Zulassung relativ rasch erhalten haben – aber unter Bedingungen", sagt Nicolodi.
Vielfältige Auflagen
Im Rahmen der bedingten Zulassung werden Auflagen vereinbart, die auch eingesehen werden können. Die EMA und die Hersteller bestimmen dann Termine und Fristen, bis zu denen die Daten geliefert werden. "Es wurden etwa mehr Daten zur Herstellung vereinbart. Man muss sich vorstellen, dass man für eine Zulassung zum Beispiel üblicherweise Daten von drei unterschiedlichen Chargen aus kommerziellem Volumen braucht – sie müssen vergleichbar sein in Qualität und Reinheit. Das war ein Punkt, der damals nicht erfüllt werden konnte, weil es noch keine drei Chargen gab“, erklärt Nicolodi.
Ein weiterer Punkt war der Studienbericht zur großen Phase-III-Studie, der laut der Virologin zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht vollständig war. "Man muss die Menschen noch eine weitere Zeit beobachten, etwa wie sich die Antikörper entwickeln. Biontech/Pfizer haben bis 2023 Zeit, diesen Impfbericht nachzureichen", so Nicolodi. Die Studie dauere zwei Jahre - der Impfstoff wird aber erst seit 14 Monaten eingesetzt.
Dies sei eine übliche Vorgehensweise. "Das verläuft nach ganz genau vorgeschriebenen Prozeduren und wurde für die Covid-Impfstoffe nicht neu erfunden. Es gibt klare Stichtage, bis zu denen Unterlagen vorgelegt werden müssen. Durch die Dringlichkeit konnte nicht die volle Zulassung beantragt werden, der Nutzen hat aber aufgrund der vorgelegten Daten die Risiken überstiegen."
Die bedingte Zulassung sei laut Nicolodi eine sehr gute Möglichkeit, die Impfstoffe in dringenden Fällen rasch anwenden zu können. "Sie unterliegen nach wie vor einer wirklich strengen Kontrolle von den Gesundheitsbehörden und werden jedes Jahr aufs Neue evaluiert“, sagt Nicolodi.
Bedingte Zulassung verlängert
Die bedingte Zulassung galt ursprünglich bis Juli 2021, Biontech/Pfizer und Moderna brachten einen Antrag auf Verlängerung ein, dem im Oktober (Moderna) und November (Biontech/Pfizer) stattgegeben wurde. Auch das ist laut Nicolodi ein üblicher Vorgang. "Sie kann jeweils für ein Jahr verlängert werden. Dann müssen erneut Daten und Berichte erbracht werden. Wenn alles abgehandelt ist, kann man auf eine volle Zulassung umsteigen, man muss aber nicht. Der Unterschied ist, dass bei einer bedingten Zulassung jedes Jahr einmal ein Bericht zur Qualität und Sicherheit von der EMA verlangt wird – es wird geprüft, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis noch passt", betont Nicolodi. Bei einer vollen Zulassung muss ein solcher Bericht erst nach fünf Jahren gelegt werden.
Es sei nicht unüblich, dass eine bedingte gar nicht in eine volle Zulassung umgewandelt werde. Nicolodi: "Ein Beispiel ist der Impfstoff gegen Schweinegrippe – hier wurde nie eine volle Zulassung beantragt, weil das Virus verschwunden ist und der Impfstoff nicht mehr gebraucht wurde. Die Firmen haben die Zulassung gelöscht.“ Für die Covid-Impfstoffe mache es aber laut Nicolodi „natürlich Sinn auf eine volle Zulassung umzusteigen", wenn die Pandemie sich in eine Endemie wandelt.
Auch dann werden weiterhin Nebenwirkungen erfasst. In jedem Land, in dem die Impfstoffe vertrieben werden, gibt es eine Stelle, die diese Daten sammelt. In Österreich werden sie vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) erhoben und regelmäßig in Berichten veröffentlicht. Diese können von jedem eingesehen werden. "Ich kann Bedenken zur bedingten Zulassung entkräften, aber ich verstehe die Zweifel. Es braucht generell mehr Transparenz, auch bei klinischen Prüfungen." Mit 31. Jänner 2022 ist in Europa ein Gesetz dazu in Kraft getreten – mit einer Übergangsfrist bis 2025 müssen künftig alle Studien, Studienprotokolle und Ergebnisse für die Öffentlichkeit einsehbar sein. So soll die Transparenz und damit das Vertrauen in den Zulassungsprozess erhöhte werden.
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