Komplexe Immunität
Impfungen dienen dem Aufbau eines körpereigenen Schutzes vor Erregern. Die Impfung wirkt wie eine Infektion, gegen die der Organismus Abwehrstoffe (Antikörper) bildet. Weseslindtner: "Was für Laien schwierig nachzuvollziehen ist, ist, dass ein positiver Antikörper-Nachweis nicht unmittelbar bedeutet, dass Immunität besteht. Wir beobachten zum Beispiel, dass manche Patienten mit milden Covid-19-Verläufen nach der Infektion nur niedrige Antikörper-Werte aufweisen."
Bei SARS-CoV-2 dürfte beim Immunstatus also auch das zelluläre Immunsystem eine wichtige Rolle spielen. Dazu muss man wissen, dass SARS-CoV-2 die Zelle nach dem Eindringen zwingt, Virusbestandteile zu produzieren. Antikörper blockieren den Eintritt des Virus in die Zelle. Hat das Virus diese aber schon in Beschlag genommen, können Antikörper nicht mehr viel ausrichten. Dann braucht es andere Bestandteile des Immunsystems, um das Virus aus der Zelle zu entfernen. Indem diese zerstört wird, etwa. "Es ist denkbar, dass Menschen, die sich erfolgreich mit solchen Zellen wehren, einen kürzeren und milderen Krankheitsverlauf erleben", sagt Weseslindtner. Letztlich werde es also wohl eine Impfung brauchen, die nicht nur Antikörper induziert, sondern auch das zelluläre Immunsystem aktiviert.
Risikogruppen
Infektiologe
Herwig Kollaritsch verortet die größte Hürde anderswo: "Das Problem wird sein, die Impfung für die Risikogruppen abzustimmen." Ältere Menschen hätten eine verminderte Impfantwort. "Wenn die Impfung in diesen Zielgruppen nicht gut wirkt, ist das ein herber Rückschlag. Ein Herdeneffekt nur durch Impfung der Jungen wird kaum erreichbar sein." Auch mögliche Mutationen spielen eine Rolle. Allerdings macht es das sonst so tückische Coronavirus der Wissenschaft in diesem Punkt einfach: Es scheint sich nur unwesentlich zu verändern.
Verkompliziert wird die Sache dadurch, dass unterschiedliche Arten von Impfungen zum Einsatz kommen können. Unterschieden wird zwischen Tot- und Lebendimpfstoffen. Erstere enthalten abgetötete Erreger oder Bruchstücke davon. Im Fall von SARS-CoV-2 wären das z. B. strukturelle oder genetische Virusbestandteile. Im Gegensatz dazu bestehen Lebendimpfstoffe aus vermehrungsfähigen, abgeschwächten Krankheitserregern. "Die Immunreaktion ist hier stärker und eine Immunisierung hält länger an", erklärt Weseslindtner.
Vereinte Kräfte
Für viele Infektionskrankheiten wurde jahrzehntelang an einem Impfstoff geforscht. Oft vergeblich. Impfstoffprojekte gegen
SARS und MERS verliefen im Sand. Angesichts der Lage geht Weseslindtner davon aus, dass es bei SARS-CoV-2 anders sein wird: "Man muss sich eingestehen, dass der gesellschaftliche Druck in anderen Fällen nicht groß genug war. Es würde mich wundern, wenn es nicht gelingen sollte, einen Corona-Impfstoff herzustellen." Einen derartigen Impfstoff für die Weltbevölkerung produzieren zu lassen, sprenge allerdings existierende Produktionskapazitäten, gibt Kollaritsch zu bedenken: "Es wird eine Priorisierung im Zugang geben müssen. Das zu managen ist mehr als heikel."
Wie ein funktionierender Impfstoff letztlich aussehen wird, wie er aufgebaut und verabreicht wird, kann man unmöglich vorhersagen. Denkbar ist, dass eine Corona-Impfung eine zweite Ansteckung nur milder verlaufen lässt. Davon, dass es vor der zweiten Hälfte des Jahres 2021 einen allgemein verfügbaren Impfstoff geben wird, gehen beide Experten jedenfalls nicht aus.
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