Auszeit vom Alkohol: Welche Erfahrungen damit gemacht werden
"Vielleicht ist das Leben ohne Alkohol besser." Es war nicht mehr als eine vage Ahnung, die am Anfang von Susanne Kaloffs Selbstversuch stand. Sie sollte sich bestätigen. Beim Abendessen mit Freundinnen und reichlich Wein machte die deutsche Journalistin ernst: Sie bestellte kein zweites Glas, entsagte Hochprozentigem von einem Tag auf den anderen.
Nicht, weil sie Alkohol in einem problematischen Ausmaß konsumiert hatte, sondern vielmehr, "weil Alkohol einen dazu bringt, Dinge zu tun, die man nüchtern wohl nicht getan hätte", wie sie heute sagt. "Stichwort: Nachts SMS nach zwei Gin Tonic an Ex-Freunde zu versenden – einfach nie eine brillante Idee".
Auf Alkohol zu verzichten – zumindest vorübergehend – liegt im Trend. International gibt es steigendes Interesse an Initiativen, die das zumindest für einen Monat propagieren – wie in Großbritannien der "Dry January" (siehe unten).
Kaloffs Experiment war ursprünglich auf zwölf Monate ausgelegt; mittlerweile lebt die 50-Jährige seit über drei Jahren alkoholfrei. Was sie seit ihrem letzten Achterl erlebt hat, hat sie in ihrem Buch "Nüchtern betrachtet war's betrunken nicht so berauschend" niedergeschrieben, das 2018 erschienen ist.
"Von allein reguliert"
"Anfangs habe ich geschlafen wie ein Stein und Unmengen Süßes als Ersatz verschlungen. Das mit dem Heißhunger hat sich aber von alleine reguliert", erinnert sich die Autorin im KURIER-Interview. Vor allem sei sie "baff über die mir plötzlich zur Verfügung stehende Energie" gewesen. Nicht minder beeindruckt ist die Deutsche von ihrem mittlerweile extrem widerstandsfähigen Immunsystem – und ihrem robusten Nervenkostüm: "Alkohol hat Einfluss auf die Impulskontrolle. Die Zündschnur wird kürzer, wenn man ihn konsumiert. Ich bin einfach sehr viel gelassener geworden."
Dass der Verzicht auf Bier, Wein und Co. automatisch makellose Haut ins Gesicht zaubert, kann Kaloff nicht bestätigen: "Was aber mit der Zeit sichtbar wird, ist so eine Frische, die man mit keinem Make-up hinbekommt. Vielleicht ist das die innere Klarheit, die sich irgendwann im Außen zeigt."
Viele positive Auswirkungen zeigten sich in einer britischen Studie bei jenen Teilnehmern, die einen Monat lang auf Alkohol komplett verzichtet hatten. "Im Gegensatz zur Kontrollgruppe, die weiter Alkohol konsumierte, kam es bei den Abstinenten zu einer massiven Verbesserung verschiedener objektiv messbarer Werte", sagt der Physiologe und Ernährungsmediziner Cem Ekmekcioglu von der MedUni Wien. Die Studie erschien 2018 im British Medical Journal Open: Nach einem Monat Abstinenz waren bei den 94 Probanden (Durchschnittsalter 45,5 Jahre) nicht nur die Blutdruckwerte deutlich niedriger (der erste, systolische Wert im Schnitt um 6,6 %).
"Die Insulinwirkung hatte sich verbessert, ebenso teilweise die Blutfett- und auch die Leberwerte." Was Ekmekcioglu aber besonders beeindruckt hat: Die Konzentration von bestimmten Wachstumsfaktoren – die in erhöhten Mengen auch mit der Entstehung von Krebs in Verbindung gebracht werden – war reduziert.
„Entgiftend“
Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer hatten vor ihrem Abstinenzmonat im Schnitt ca. 35 Gramm Alkohol täglich konsumiert – das entspricht rund 0,35 Liter Wein. "Dass die Leberwerte sinken, war erwartbar. Aber dass die Wirkung von Insulin besser wurde – was das Diabetesrisiko senkt – und auch die mit der Entstehung bestimmter Krebsformen in Verbindung gebrachten Wachstumsfaktoren so stark zurückgingen, war auch für mich sehr überraschend." Insgesamt habe der alkoholfreie Monat einen "massiv entgiftenden Effekt" auf den Körper gehabt. Zwar gebe es Studien, die bei geringen Alkoholmengen – maximal ein Achtel Wein – gewisse positive Effekte etwa auf die Gefäßelastizität zeigen: "Aber ein therapeutischer Effekt ist das nicht."
Für Ekmekcioglu ist das Fazit eindeutig: "Vom medizinischen Standpunkt her spricht aus meiner Sicht alles für die Empfehlung von Null Alkoholkonsum – mit einer tolerierbaren Obergrenze im Ausmaß von einem Achtelliter Wein am Tag. Denn Abstinenz hat extrem positive Auswirkungen auf den Körper."
Soziale Effekte
Mehr noch als die physischen Auswirkungen ihres Alkoholverzichts bekam Kaloff die sozialen zu spüren. Von allgemeiner Irritation in der Familie und im Freundeskreis bis zu provokanten Sprüchen war alles dabei. "Das Schöne", sagt Kaloff, "ist, dass sie irgendwann aufhören, vor allem, wenn man souveräner mit der eigenen Entscheidung wird". Derartige Reaktionen würden ohnehin für sich sprechen: "Als Nichttrinkende hält man seinen Mitmenschen ein Stück weit den Spiegel vor und zeigt, dass es eine Alternative gibt, man also gar nicht trinken muss." Davon wolle nicht jeder etwas wissen.
Ob ihr der Alkohol manchmal gefehlt hat? "Na klar, vor allem zu Beginn", bestätigt Kaloff. Italienische Pasta ohne Rotwein, Trennungen ohne Betäubungsdrinks, Sommer ohne kühles Bier: Gründe, wieder einen Schluck zu nehmen, gab und gibt es zur Genüge. In solchen Momenten habe ihr vor allem eines geholfen: eine klare Haltung. "Meine Motivation war nicht nur das Buch, sondern auch der Wunsch, herauszufinden, wie ich mich ohne die Krücke Alkohol fühle. Es war im Grunde nicht nur ein Selbstversuch, sondern eine Selbstfindung. Denn, wer weglässt, was die Persönlichkeit verändert, wird wieder mehr er selbst. Und ja, das kann auch erschreckend sein."
Spöttische Kommentare, dass durch den stets bewussten Konsum oder Verzicht auf Alkohol der hedonistische Spaß am Genuss verloren gehe, kann Kaloff nicht nachvollziehen. "Es kommt darauf an, wie man Genuss für sich definiert. Wenn man das tut, was alle tun, weil es eben alle tun, wird man immer trinken. Oder aber man findet raus, was wirklich Freude bringt." Susanne Kaloff ist ihr Experiment geglückt. Ihre "Geistesklarheit, Schärfe und Gelassenheit" würde sie gegen keinen Cocktail dieser Welt mehr eintauschen.
"Dry January": Was er verändert hat
4.000 Menschen nahmen 2013 am ersten "Dry January" ("trockener Jänner") in Großbritannien teil. 2018 waren es laut einer Umfrage 4 Millionen Briten – 100.000 meldeten sich für ein unterstützendes E-Mail-Service und die App an. Die Initiative der Organisation "Alcohol Change UK" hat laut einer Studie der Universität Sussex positive Langzeiteffekte:
- 76 Prozent der Teilnehmer etwa wurde bewusster, wann und warum sie tranken.
- Und noch ein halbes Jahr nach dem alkoholfreien Jänner berichteten 40 Prozent der befragten Teilnehmer, dass ihr Alkoholkonsum von durchschnittlich vier auf drei Tage zurückgegangen war.
- Bei 50 Prozent änderte sich zwar die Konsummenge danach nicht – aber vier von fünf Teilnehmern hatten nach dem „Dry January“ das Gefühl, ihr Trinkverhalten besser kontrollieren zu können.
Aufholkonsum?
Mit gemischten Gefühlen sieht hingegen Autorin Susanne Kaloff einzelne Abstinenz-Monate: "Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass das nur Leute machen, die vorher zu viel getrunken haben. Zu viele Feste gefeiert haben, oder einen Kater zu viel hatten. In jedem Fall soll es eine Unterbrechung der Routine sein, wie auch immer sie aussah." Sie beobachte, dass Menschen, die sich einen Monat lang in strengem Verzicht üben, danach noch kräftiger zuschlagen. "Vielleicht ist das so, weil man eine Lust deckelt, die danach umso stärker aufkommt."
Für sinnvoller hält die Deutsche, den Konsum ohne zeitliche Beschränkung zu drosseln. "Das bedeutet auch, den eigenen Konsum ehrlich anzuschauen und sich zu fragen, ob Alkohol eigentlich noch etwas für einen tut."
Der Psychologe Richard O de Visser von der Universität Sussex kann aus seiner Erfahrung die Aussage, nach einem Monat des Verzichts würden die ehemals Abstinenten kräftiger zuschlagen, nicht bestätigen: "Ich weiß, dass das eine verbreitete Meinung ist. Aber in unserer Auswertung der Daten von 1.700 Teilnehmern am Dry January sahen wir einen derartigen 'Aufholkonsum' nicht: Nur zehn Prozent tranken nachher mehr – und das waren vor allem jene, die es nicht geschafft hatten, den gesamten Jänner ohne Alkohol durchzuhalten."
Es gibt aber auch Punkte, wo sich die Erfahrungen von Kaloff mit den Ergebnissen von de Visser decken: Der Alkoholverzicht führt zumeist zu einem Energieschub.
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