Abwasser zeigt: "Welle ist größer, als die Zahlen vermitteln"
„Das Abwasser erzählt uns die Wahrheit“, sagt der Mikrobiologe Heribert Insam von der Universität Innsbruck. Er ist Projektleiter des SARS-CoV-2 Schulstandortmonitoring Österreich. „Und das Signal aus dem Abwasser zeigt uns jetzt schon einen Trend, den wir in den Infektionszahlen und den Inzidenzen (Zahl der Infizierten pro 100.000 Einwohnern und sieben Tagen) noch nicht in dem Ausmaß sehen: Es geht mit den Neuinfektionen deutlich nach oben.“
Menschen ohne Symptome gehen derzeit kaum testen. „Deshalb zeigen uns die Inzidenzen nicht die Wahrheit, sondern führen derzeit zu einer groben Unterschätzung des Infektionsgeschehens“, erläutert Insam. Denn auch Infizierte ohne Symptome scheiden Virenfragmente aus, die ins Abwasser gelangen. Im Labor wird dann die Virus-RNA, das Virus-Erbgut, nachgewiesen. Deshalb sagt auch der leichte Rückgang der gemeldeten Neuinfektionen am Donnerstag (9.528 gegenüber 10.898 am Mittwoch) nichts aus.
Insam: „Unsere Daten gehen in die Richtung, dass das Infektionsgeschehen derzeit rund eineinhalb mal so hoch ist wie die tatsächlich gemeldeten Fälle. Die Welle ist ganz klar größer als die Zahlen vermitteln.“ Also dann bereits 15.000 tägliche Neuinfektionen statt 10.000? „Ja, das ist aus unseren Abwasserdaten ganz klar abzuleiten“, sagt Insam. Die Proben aus den meisten Kläranlagen liegen in den beiden Stufen mit der höchsten Zahl an gemessenen Virenpartikeln.
Belastung wie bei Delta
Die Belastung des Abwassers mit viraler RNA gehe klar in den Bereich der Delta-Welle im Herbst, die am 22.11. zu einem Lockdown führte. Allerdings führte Delta zu deutlich mehr schweren Erkrankungen. Umgekehrt sind die Omikronsubvarianten BA.4/BA.5 viel infektiöser.
Mikrobiologe Insam betont, dass die Abwasseranalysen einen Bruchteil flächendeckender Individualtests kosten: „Und mithilfe der Kläranlagen können wir dieselben Erkenntnisse gewinnen.“ Zumal es auch einen Genderaspekt gebe: „Die Massentests treffen vor allem Frauen, die ihre Kindergartenkinder vor der Arbeit testen müssen, oder sich in Sozialberufen vor Arbeitsbeginn testen.“ Abwassertests können naturgemäß zwar keine individuellen Ergebnisse liefern, „aber es sind damit sehr gute regionale Abschätzungen des Infektionsgeschehens möglich.“
Mit Ende August wird das Schulmonitoring beendet – dieses wird über 108 Kläranlagen durchgeführt, in deren Einzugsgebiet mehr als 3.000 Schulstandorte liegen. Übrig blieben dann nur 24 Kläranlagen im Rahmen der Abwasseruntersuchungen des Gesundheitsministeriums.
Doch Insam ist zuversichtlich: „Es gibt gute Gespräche mit den Bundesländern, die Tests weiterzuführen.“
Auch der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter betont für den KURIER-daily-Podcast, dass es eine Dunkelziffer gebe, weil immer mehr Indikatoren zur Infektionsentwicklung, wie etwa die Schultests, weggefallen seien. Eine gewisse Kontrolle würden noch die Spitalszahlen bieten. Dabei dürfe man aber nicht vergessen, dass diese mit Verspätung anwachsen. Das heiße, erst in etwa drei Wochen sehe man die gesundheitlichen Probleme, die durch die jetzigen Infektionen entstehen. Und Hutter betont, dass es jetzt nicht um Verschärfungen, sondern „einfache Dinge“ gehe, die dann harte Maßnahmen ersparen: „Händewaschen, ein bisschen Abstand halten und in Innenräumen halt Maske tragen.“
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