Warum eine erneute Corona-Infektion gefährlich sein kann - trotz Impfung
Die Ampel-Regierung in Berlin müsse das Infektionsschutzgesetz noch vor der Sommerpause verschärfen. Die Änderung sei notwendig, um auf einen Anstieg der Infektionen im Herbst mit geeigneten Gegenmaßnahmen reagieren zu können. "Dazu zählen insbesondere Maskenpflicht in Innenräumen, 3-G/2-G-Zugangsregeln, Testpflichten, Personenobergrenzen und Kontaktbeschränkungen": Das fordern vier deutsche Bundesländer angesichts der Besorgnis vor einer Sommer/Herbst-Welle mit den Omikron-Sublinien BA.4 und BA.5.
Warum es überhaupt keine Maßnahmen brauche, sondern stattdessen eine Infektion, erklärte hingegen der streitbare deutsche Epidemiologe Klaus Stöhr vor Kurzem in einem Interview mit der deutschen Zeitung Bild: Wer sich jetzt mit einer Maske vor Corona schützt, verschiebt die Infektion bloß in den Herbst, glaubt er.
Eine Infektion also, um sich vor einer Infektion zu schützen? Laut einer aktuellen Studie der Washington University School of Medicine funktioniert diese Strategie nicht.
Bisher war zwar nicht klar, ob eine Reinfektion das bestehende Risiko für Long Covid erhöht. Jetzt zeigt aber eine Auswertung von Daten aus US-Gesundheitsdatenbanken des US Department of Veterans Affairs, dass es ein höheres Risiko für Langzeitfolgen bei einer neuerlichen Infektion mit SARS-CoV-2 gibt.
Die Studiendaten basierend auf dem Impfstatus der Infizierten vor der Reinfektion - die erneut Infizierten hatten entweder keine Impfung, eine Impfung oder zwei und mehr Impfungen - zeigten, dass eine neuerliche Infektion im Vergleich zur Erstinfektion mit einem höheren Risiko für Sterblichkeit, Krankenhausaufenthalte und Folgeerkrankungen von verschiedenen Organen verbunden war.
Schwere Schädigungen
Nämlich mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gerinnungs- und hämatologischen Erkrankungen, Diabetes, Müdigkeit, Magen-Darm-Erkrankungen, Nierenerkrankungen, psychischen Erkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparats und neurologische Erkrankungen.
Für viele Experten und Expertinnen wie die deutsche Virologin Jana Schroeder kommen diese Ergebnisse zum richtigen Zeitpunkt angesichts der deutschen Debatte: "Es gibt keine Evidenz, dass der Kontakt zu pathogenen Viren nützlich ist und keine Infektionskrankheit, bei der es Sinn macht, sich absichtlich zu infizieren", so Schroeder auf Twitter.
Im Vergleich zu den Erstinfizierten mehr Organ-Erkrankungen
Für die Studie wurden drei Gruppen gebildet: Personen mit einer Erstinfektion (257.427), einer Reinfektion (2 oder mehr Infektionen, 38.926) und einer sehr großen, nicht infizierten Kontrollgruppe (5.396.855). Dann sahen sich die Studienautoren die Risiken und die Belastung nach sechs Monaten an, darunter Krankenhausaufenthalte und Sterblichkeit.
Im Vergleich zu den Erstinfizierten führte eine Reinfektion nach sechs Monaten zu einem erhöhten Risiko für Sterblichkeit (um 2,38 Prozent), Krankenhausaufenthalt (um 9,5 Prozent) und medizinische Ereignisse nach der Covid-19-Infektion (um 19,6 Prozent). Diese Risiken treten zusätzlich zu den Erstinfektionen auf.
Im Vergleich zu den Erstinfizierten traten bei den erneut Reinfizierten vermehrt Erkrankungen der Organe auf: Lunge (5 Prozent), Herz-Kreislauf (5 Prozent), Blutkrankheiten (2,6 Prozent), Müdigkeit (3,3 Prozent), Magen-Darm (2,7 Prozent), Nieren (1,4 Prozent), psychische Gesundheit (12,1 Prozent), Diabetes (2,2 Prozent), neurologische Erkrankungen (3,6 Prozent).
(Die Studie können Sie hier auf Englisch nachlesen.)
Die Risiken traten bei allen Kohorten auf: Also bei jenen, die vor der zweiten Infektion nicht geimpft waren wie bei jenen, die eine Impfung, zwei oder mehr Impfungen erhalten hatten. Die Risiken waren in der akuten Phase am stärksten ausgeprägt, blieben aber auch in der postakuten Phase der Reinfektion bestehen - und die meisten waren noch sechs Monate nach der Reinfektion vorhanden.
"Die Konstellation der Ergebnisse zeigt, dass eine Reinfektion ein nicht-triviales Risiko für Gesamtmortalität, Krankenhausaufenthalte und negative gesundheitliche Folgen in der akuten und post-akuten Phase der Reinfektion mit sich bringt. Um die Gesamtbelastung durch Tod und Krankheit aufgrund von SARS-CoV-2 zu verringern, sind Strategien zur Prävention von Reinfektionen erforderlich", so die Studienautoren um Ziyad Al-Aly.
Der deutsche Immunologe Carsten Watzl erklärt die Ergebnisse mit einem plastischen Vergleich: "Eine Corona-Infektion ist wie zu schnell durch eine Kurve zu fahren. Es kann zu einem Unfall führen (schwere Erkrankung), hat aber auch Trainingseffekt (Immunität). Bei der zweiten zu schnellen Kurvenfahrt macht man es daher etwas besser, es kommt bei einigen aber immer noch zu Unfällen. Durch eine Trainingsrunde wird man nicht Formel1-Pilot. Daher ist das Gesundheitsrisiko bei Personen mit Reinfektionen ca. zweimal höher als bei Einmal-Infizierten. Jede weitere schnelle Kurvenfahrt erhöht das Risiko erneut. Wir werden es wohl nie schaffen, 100 Prozent sicher zu schnell durch die Kurve zu kommen. Daher: SARS-CoV2 ist ein pathogenes Virus. Jetzt vorzuschlagen, man solle sich absichtlich infizieren, finde ich fahrlässig."
Der bekannte Physiker und Systemwissenschafter Yaneer Bar-Yam fasst die Studie zusammen: "Die Vorstellung, dass eine Infektion einen gewissen Nutzen hat, daher dass man eine Immunität gegen künftige Infektionen erlangt, hat sich inzwischen als falsch erwiesen. Das Gegenteil ist der Fall: Eine Infektion macht die nächste Infektion schlimmer, nicht besser."
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