Affenpocken: Lässt sich die globale Ausbreitung noch stoppen?
Seit dem 30. Jänner 2020 ist die Ausbreitung des Corona-Virus eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite. Heute, Donnerstag, tagt der Notfallausschuss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. Die rund ein Dutzend internationalen Wissenschafterinnen und Wissenschafter werden eine Empfehlung abgeben, ob auch die Affenpocken als derartige globale Notlage eingestuft werden sollen. WHO-Expertinnen und Experten sind jedenfalls angesichts der steigenden Zahl der Fälle besorgt. Heftig diskutiert wird mittlerweile auch, ob eine Übertragung durch Sperma möglich ist. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was würde eine weitere Ausrufung einer "gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite" bedeuten?
Es handelt sich quasi um die höchste Alarmstufe der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Unmittelbare praktische Konsequenzen hat das nicht. Allerdings sollen die Regierungen dadurch aufgerüttelt werden, wachsam zu sein und sich auf eine weitere Häufung der Fälle vorzubereiten - weil in diesem Fall die WHO nicht davon ausgehen würde, dass der derzeitige Ausbruch bald zu Ende ist.
Ende Mai begann diese bisher größte internationale Ausbreitung der vorerst noch Affenpocken genannten Erkrankung - die WHO überlegt eine Änderung des irreführenden Namens. Laut der Datenplattform "Our World in Data" gab es bis Dienstag, 21.6., 3.157 bestätigte Fälle weltweit. 794 davon alleine in Großbritannien, 469 in Deutschland, 304 in Portugal, 142 in den USA und 95 in den Niederlanden. Ein Todesfall ist laut WHO bestätigt.
Und immer neue Länder melden Fälle, zuletzt am Montag Australien und am MIttwoch Singapur und Südkorea. Das Epizentrum des Ausbruchs bleibt aber Europa, sagt kürzlich WHO-Europadirektor Hans Kluge.
Was sind Affenpocken eigentlich?
Affenpocken sind eine Viruserkranung, verursacht durch Affenpockenviren. In den Regionen Zentral- und Westafrikas, wo die Krankheit immer wieder auftritt und endemisch ist, ist das Virus in Nagetieren verbreitet, z. B. Hörnchen oder Ratten. Anders als die 1979 ausgerotteten klassischen Pocken verläuft diese Erkrankung in der Regel deutlich milder.
Woher kam der Name Affenpocken eigentlich?
"Der Name Affenpocken rührt daher, dass 1958 bei Affen, die für Forschungszwecke in Gefangenschaft gehalten wurden, eine pockenähnliche Erkrankung auftrat, die in Folge dann Affenpocken (Monkeypox) genannt wurde", schreibt die Virologin Monika Redlberger-Fritz in der Virusepidemiologische Information. Affen und generell Primaten stellen wahrscheinlich einen Fehlwirt dar, sind also eine Sackgasse für das Virus.
Wie viele Fälle gibt es bisher in Österreich?
Bisher sind elf Fälle in Österreich bestätigt. Betroffen sind Männer im Alter zwischen 20 und 50 Jahren.
Wie steckt man sich?
Das Gesundheitsministerium listet in einem Informationsblatt fünf zentrale Möglichkeiten auf:
- Direkter Kontakt mit dem Ausschlag von Affenpocken-Infizierten (z. B. Bläschen, Schorf)
- Direkter Kontakt mit Körperflüssigkeiten von Affenpocken-Infizierten
- Direkter Kontakt mit Schleimhäuten von Affenpocken-Infizierten
- Tröpfcheninfektion bei direktem engen Kontakt von längerer Dauer
- Direkter Kontakt mit Virus-kontaminierten Objekten (z.B. Bettwäsche, Kleidung)
Welche Symptome treten auf?
Nach einer Inkubationszeit von 7-21 Tagen (meist 10 bis 14 Tage) kommt es zu plötzlich einsetzendem Fieber (38,5 - 40, 5 Grad Celsius), starken Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Husten, Unwohlsein und einem starken Schwächegefühl, schreibt Redlberger-Fritz. Manchmal treten im Frühstadium auch Durchfälle auf. Sehr häufig sind auch Lymphknotenschwellungen. "Nach einer Dauer von 2-3 Tagen kommt es dann zum Übergang in das eruptive Stadium mit einem Schleimhautausschlag im Mund-Rachenraum und einem Hautausschlag vor allem im Gesicht, auf den Händen und Unterarmen." Auch im Genitalbereich kann es zu Hautveränderungen kommen.
"Erst kommt es zu einer Rötung, die sich zu Papeln (Knötchen) und in weiterer Folge zu Pusteln und Bläschen entwickeln." Diese verkrusten schließlich und heilen ab.
Welche Rolle spielen Sexualkontakte?
Die große Mehrheit der Betroffenen sind derzeit Männer, die Sex mit wechselnden männlichen Sexualpartnern (MSM) haben. "Das Virus ist möglicherweise in stark vernetzte sexuelle Netzwerke der MSM-Gemeinschaft eingedrungen, wo es sich auf eine Weise ausbreiten kann, wie es in der Allgemeinbevölkerung nicht möglich ist", schrieb kürzlich der Wissenschaftsjournalist Kai Kupferschmidt im Wissenschaftsmagazin Science - der KURIER berichtete. Laut dem deutschen Mediziner Christian Hoffmann lasse sich unter Männern, die Sex mit Männern haben, eine klare Risikogruppe identifizieren: "Solche, die wirklich viele unterschiedliche und riskante Sexualkontakte haben", erklärte er in einem Spiegel-Interview.
Ist dann der Samen ein Übertragungsweg?
Affenpockenviren konnten bei einigen Infizierten in Deutschland und Italien im Samen nachgewiesen werden - ob dieser aber auch tatsächlich infektiös ist, ist noch nicht eindeutig belegt. "Sexualität hat ja nicht nur etwas mit dem Übertragen von Samenflüssigkeit zu tun, sondern in jedem Fall in den meisten Fällen mit engem Körperkontakt", sagte Roman Wölfel, Leiter des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr in München, dem deutschen Science Media Center. Deshalb sei es nicht so einfach zu sagen, dass es an der Übertragung über das Sperma gelegen hätte, "sondern tatsächlich ist einfach enger Körperkontakt bereits etwas, was dazu führt, dass es zu diesen Übertragungen kommt".
Deshalb heißt es auch in einem Merkblatt des Gesundheitsministeriums: "Bei Sexualkontakten bieten Kondome keinen ausreichenden Schutz vor der Übertragung, weil der enge (Haut-)Kontakt in diesem Kontext bereits für eine Übertragung ausreicht!"
WHO-Experten erklärten, dass eine sexuelle Übertragung bisher nicht bekannt war und diese Möglichkeit noch genauer untersucht werden müsse. Der häufigste Übertragungsweg sei aber eindeutig enger Haut-zu-Haut-Kontakt, erklärte Catherine Smallwood, Leiterin der Abteilung Affenpocken beim WHO-Regionalbüro für Europa.
Aber man kann sich auch ganz ohne Sexualkontakt anstecken?
Grundsätzlich ja. "Es gab auch bereits intrafamiliäre Übertragungen", hieß es bereits Ende Mai in einer Stellungnahme mehrerer deutscher medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften. Das Virus wurde auch schon im Rachen nachgewiesen. Ansteckungen über Tröpfcheninfektionen sind daher nicht auszuschließen und Geschlechtsverkehr ist nicht die einzige Ansteckungsmöglichkeit. Bei den Ausbrüchen in Afrika seien auch zahlreiche Kinder betroffen gewesen, sagt Wölfel: "Da war Sperma definitiv nicht der Hauptübertragungsweg, sondern eben der Körperkontakt untereinander oder der Kontakt zu Tieren, also zum ursprünglichen Wirt."
Wie werden Affenpocken diagnostiziert?
"Das größte Problem ist derzeit, das viele Ärztinnen und Ärzte einfach nicht an Affenpocken denken", sagte der Hamburger Mediziner Hoffmann kürzlich in einem Interview auf spiegel online. Er hat bereits mehr als 20 Personen behandelt. "Deshalb werden sehr viele Diagnosen momentan nicht gestellt. Natürlich könne man manchmal zunächst fälschlicherweise eine Syphilis vermuten, bei der es auch auffällige Hautveränderungen gebe. Oder bei Pocken im Bläschenstadium vielleicht auch an Herpes oder Gürtelrose: "Aber wenn der Patient in den letzten Wochen viele Sexualkontakte hatte und vor allem, wenn er dann auch noch Fieber hat, dann sollte man auf jeden Fall auch Affenpocken in Betracht ziehen und einen Pockenabstrich per PCR testen lassen." Die Kombination aus Hautveränderungen, Fieber und vielen Sexualkontakten sei ein Warnsignal.
Sind jene Menschen, die noch eine Pockenimpfung erhalten haben, geschützt?
Man könne davon ausgehen, dass geimpfte Menschen "noch zu einem großen Teil eine Grundimmunität von der Pockenimpfung hat, dass aber alle jüngeren Leute eben nicht immunisiert sind", sagte die Gesundheitswissenschafterin Mirjam Kretzschmar von der Universitätsmedizin Utrecht bei einer Pressekonferenz des deutschen Science Media Center. Diejenigen, die noch immun sind, haben einen Schutz, der auf 85 Prozent geschätzt wird. Allerdings berichtet Mediziner Hoffmann von mehreren älteren Männern, die trotz der Impfung vor mehr als 50 Jahren erkrankt sind - verlassen kann man sich also auf den Schutz nicht.
Lässt sich die Ausbreitung der Affenpocken außerhalb von Afrikas noch stoppen?
Dazu gehen die Expertenmeinungen auseinander. Laut einer Studie der Londoner School of Hygiene & Tropical Medicine ist mit einer raschen Ausbreitung zu rechnen, sollte es nicht bald gelingen, Infektionsketten zu unterbrechen. Dann könnten zunehmend auch andere Bevölkerungsgruppen als Männer, die Sex mit Männern haben, betroffen sein.
Der deutsche Experte Christian Hoffmann geht jedenfalls bereits davon aus, dass sich Affenpocken als sexuell übertragbare Erkrankung außerhalb von Afrika etablieren werden: "Der Zeitpunkt, wo man das Virus noch ganz hätte stoppen können, ist vorbei, fürchte ich."
WHO-Europa-Direktor Hans Kluge sagte kürzlich: „Das Ausmaß dieses Ausbruchs stellt ein echtes Risiko dar; je länger das Virus zirkuliert, desto größer wird seine Reichweite und desto stärker wird die Krankheit in nicht-endemischen Ländern Fuß fassen.“
Wird es jetzt Impfungen geben?
In der EU ist ein Pockenimpstoff mit nicht vermehrungsfähigen Viren zum Schutz vor Pocken-Infektionen im Erwachsenenalter zugelassen. Aufgrund tierexperimenteller Daten ist dieser Impfstoff in den USA und Kanada auch für die Prävention von Affenpocken zugelassen. Eine Impfung der Allgemeinbevölkerung gegen Affenpocken ist aus aktueller Sicht medizinisch nicht notwendig, heißt es im Gesundheitsministerium. Derzeit laufe die Beschaffung eines Impfstoffs in Abstimmung mit den europäischen Behörden, insgesamt hat die EU-Kommission 110.000 Dosen des Impfstoffes von Bavarian Nordic bestellt. Sobald er verfügbar ist, will das Ministerium mitteilen, ob und für welche Personengruppen er eingesetzt werden soll. In Deutschland ist daran gedacht, bereits in den kommenden Tagen mit der Impfung von Kontaktpersonen von Infizierten zu beginnen.
Was tun bei Affenpocken-Verdacht?
Das Gesundheitsministerium rät zu folgender Vorgangsweise.
Zunächst abklären, ob folgende Fragen mit "Ja" beantwortet werden können:
- Haben Sie verdächtige Symptome, insbesondere Hautveränderungen im Mund- und/oder Genital-Bereich?
- Sind Sie kürzlich aus einem Gebiet zurückgekehrt, wo derzeit Affenpocken auftreten bzw. Affenpocken heimisch sind?
- Hatten Sie kürzlich viele enge Kontakte, insbesondere Sexualkontakte mit wechselnden Partnerinnen oder Partnern?
Wenn dies zutrifft:
- Vermeiden Sie strikt weitere enge Kontakte.
- Wenden Sie sich zur Abklärung an Ihren Hausarzt oder Dermatologen.
- Kündigen Sie Ihren Besuch dort telefonisch an und stimmen Sie sich mit der medizinischen Einrichtung ab.
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