Physik-Nobelpreis: "Exotisches aus der Quantenwelt"

Nobel-Juror Hansson erklärt die Theorie mittels Gebäck.
Die Nobel-Jury überraschte, weil sie den Preis für Grundlagentheorie vergab, "die vielleicht irgendwann einmal angewendet wird".

Heuer griff die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften beim Versuch zu erklären, was die diesjährigen Physik-Nobelpreisträger machen, zu radikalen Mitteln: Nobeljuror Thors Hans Hansson rückte mit Gebäck zur Pressekonferenz an – einer Zimtschnecke ohne Loch, einem Bagel mit einem und einem Brezel mit zwei Löchern. "Für uns unterscheiden sie sich total, für Topologen ist nur eines wichtig – wie viele Löcher haben sie?"

"Exotisches aus der Quantenwelt" werde ausgezeichnet – die Worte des Nobelpreis-Sekretärs Göran K. Hansson konnten durchaus als Warnung an Normalbürger verstanden werden. Denn der Nobelpreis für Physik geht an die gebürtigen Briten David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz für theoretische Arbeiten zum Zustand von Materie.

Materie kann nämlich nicht nur gasförmig, flüssig oder fest sein. Die Nobel-Jury: "Die Geehrten haben eine Tür zu einer unbekannten Welt geöffnet, in der Materie seltsame Zustände annehmen kann. Sie haben mathematische Methoden benutzt, um ungewöhnliche Zustände von Materie zu untersuchen." Dazu gehören etwa Superkonduktoren, in denen Strom besonders leicht fließen kann, aber auch Superfluide oder dünne magnetische Schichten. Mit ihren Theorien können die Physiker diese Phänomene erklären. "Dank ihrer Pionierarbeit ist die Jagd auf neue, exotische Materie-Zustände eröffnet."

Selbst für eingefleischte Physiker war es überraschend, dass der Preis für Grundlagentheorie vergeben wurde, "die vielleicht irgendwann einmal angewendet wird", sagt der deutsche Physiker Rolf-Dieter Heuer. Andrei Pimenov von der TU Wien erwartet sich jedenfalls Speichersysteme, "die stabiler sein können als konventionelle magnetische". Die Arbeit der Preisträger, die ungewöhnliche Zustände von Materie unter die Lupe nimmt, könnte sogar zu neuen Materialien führen, die neuartige Anwendungen in der Materialwissenschaften und der Elektronik möglich machen. "Es gibt die Hoffnung, dass man elektronische Zustände findet, die besonders robust gegen Störungen von außen sind", sagte Henning Riechert vom Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik in Berlin.

Preisträger Duncan Haldane am Telefon: "Meine Arbeiten stammen hauptsächlich aus den späten 1980er-Jahren. Damals schien alles sehr abstrakt und das habe ich auch in meine Arbeiten geschrieben. Ich dachte nie, dass es praktische Folgen haben könnte." Die Entdeckung von Graphen oder neuen Supraleitern strafte ihn Lügen. Physiker Jörg Schmiedmayer kennt zwei der Preisträger persönlich und nennt sie "absolut herausragende Wissenschaftler". Er ist überzeugt: "Für die Entwicklung einer Quantentechnologie ist es absolut essenziell, die von ihnen erforschten Vorgänge zu verstehen." Den praktischen Nutzen könne man noch nicht ermessen: "Aber vor 50 Jahren wurde auch der Laser als absolut nutzlose Forschung verspottet. Heute wissen wir: Ohne ihn gäbe es weder Internet noch Kommunikationsgesellschaft."

Die Preisträger:

Alle drei wurden in Großbritannien geboren und forschen in den USA. Thouless ist emeritierter Professor an der Universität Washington in Seattle. Haldane arbeitet an der Universität Princeton, Kosterlitz an der Brown Universität in Providence. Telefonisch erreichte das Nobelkomitee via Live-Schaltung Duncan Haldane. Auf die Frage, wie er auf die Neuigkeit reagierte meinte er nur: "Ich bin ein bisschen britisch oder auch phlegmatisch bei diesen Dingen. Ich falle nicht in Ohnmacht oder so."

Die Auszeichnung:

Der Nobelpreis ist heuer mit acht Millionen schwedischen Kronen (830.000 Euro) dotiert. Der Preis wird am 10. Dezember, am Todestag des 1896 gestorbenen Preisstifters, verliehen.

Member of the Nobel committee for physics explains topology using a cinnamon bun, a bagel and a pretzel https://t.co/gORO04UYam

— The Nobel Prize (@NobelPrize) October 4, 2016

Mit dem Nobelpreis für Medizin hat am Montag die Woche der Ehrungen begonnen (mehr dazu lesen Sie hier). Am Mittwoch wird der Chemie-Preis vergeben, am Donnerstag Literatur und am Freitag der Friedensnobelpreis (Fahrplan siehe unten).

Österreichs Laureaten für Physik

Seit 1901 werden Wissenschaftler aus dem Bereich der Physik mit dem prestigeträchtigen Preis geehrt. Der erste von den bisher 201 Laureaten war Wilhelm Conrad Röntgen. Er erhielt die Auszeichnung für die Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen. Auch drei Österreicher durften sich bereits über dei Ehrung freuen. Erwin Schrödinger (Stichwort "Schrödingers Katze") erhielt gemeinsam mit dem Briten Paul Dirac 1933 den Physik-Nobelpreis für die Entdeckung neuer produktiver Formen der Atomtheorie. Drei Jahre später war es der Steirer Victor Franz Hess, der ausgezeichnet wurde. Und zwar für jene Arbeiten, die in Wien 1912 zur Entdeckung der Kosmischen Strahlung geführt hatten - gemeinsam mit dem US-Amerikaner Carl David Anderson. Für die Entdeckung des "Pauli-Prinzips", das besagt, dass in einem Atom niemals zwei Elektronen in allen ihren physikalischen Eigenschaften übereinstimmen können, erhielt der gebürtige Wiener Wolfgang Pauli 1945 den Nobelpreis für Physik.

Allerdings könnte man auch Isidor Isaac Rabi zu den österreichischen Laureaten dazuzählen. Er erhielt 1944 die Auszeichnung für die Resonanzmethode zur Aufzeichnung der magnetischen Eigenschaften von Atomkernen entgegen. Rabi wurde 1898 im polnischen Rymanów geboren, das damals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehört mit vier Jahren immigrierte er aber in die USA und somit auch der künftige Nobelpreis.

Gewinner der vergangenen zehn Jahre
2006

John C. Mather (USA) und George F. Smoot (USA)

Für den Nachweis winziger Temperaturschwankungen in der kosmischen Hintergrundstrahlung, dem "Echo des Urknalls".

2007

Peter Grünberg (Deutschland) und Albert Fert (Frankreich)

Für die 1988 erfolgte Entdeckung eines völlig neuen physikalischen Effekts, den sogenannten GMR- oder Riesenmagnetowiderstands-Effekt.

2008

Makoto Kobayashi (Japan), Toshihide Maskawa (Japan) und Yoichiro Nambu (USA)

Für die Entdeckung des Mechanismus der spontanen Symmetriebrechung in der subatomaren Physik und des Ursprungs dieses Phänomens, das die Existenz von mindestens drei Quark-Familien vorhersagt.

2009

a.) Charles Kao (USA/Großbritannien)

b.) Willard Boyle (USA/Kanada) und George Smith (USA)

a.) Für seine bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet der Lichtleitung mittels Glasfaserkabeln zur optischen Kommunikation.

b.) Für die Erfindung des CCD-Sensors.

2010

Andre Geim (Russland/Großbritannien) und Konstantin Novoselow (Russland/Großbritannien)

Für bahnbrechende Experimente mit dem zweidimensionalen Material Graphen.

2011

Saul Perlmutter (USA), Brian P. Schmidt (Australien) und Adam G. Riess (USA)

Für die Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums durch Beobachtung von weit entfernten Supernovae.

(Alle Informationen hier)

2012

Serge Haroche (Frankreich) und David Wineland (USA)

Für die Entwicklung bahnbrechender experimenteller Methoden, die es ermöglichen, einzelne Quantensysteme zu messen und zu manipulieren.

(Alle Informationen hier)

2013

Francois Englert (Belgien) und Peter Higgs (Großbritannien)

Für die theoretische Entdeckung eines Mechanismus, der zum Verständnis des Ursprungs der Masse subatomarer Teilchen beiträgt, der durch die Entdeckung des vorhergesagten Elementarteilchens, das Higgs-Teilchen, bestätigt wurde.

(Alle Informationen hier)

2014

Isamu Akasaki (Japan), Hiroshi Amano (Japan) und Shuji Nakamura (USA/Japan)

Für die Entwicklung von effizienten blauleuchtenden Dioden, die helle, energiesparende weiße Lichtquellen ermöglicht haben.

(Alle Informationen hier)

2015

Takaaki Kajita (Japan) und Arthur McDonald (Kanada)

Für die Entdeckung von Neutrinooszillationen, die zeigen, dass Neutrinos eine Masse haben.

(Alle Informationen hier)

2016

David Thouless, Duncan Haldane and Michael Kosterlitz (alle USA)

Für die Erforschung exotischer Materiezustände.

Im Mittelpunkt der Arbeit von David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz steht ein fundamentales Teilgebiet der Mathematik, die sogenannte Topologie. Mit Hilfe des Werkzeugs der Topologie konnten Kosterlitz und Thouless etwa Anfang der 1970er Jahre zeigen, dass entgegen der bis dahin geltenden Theorie Supraleitung, also der völlig verlustfreie Transport von Strom, auch in dünnen Schichten möglich ist. Solche dünnen, zweidimensionalen Schichten sind für die Wissenschafter besonders interessant, weil dort eine völlig andere Physik als in der üblichen dreidimensionalen Welt vorherrscht.

Das betrifft auch sogenannte Phasenübergängen, also etwa das Schmelzen von Eis in Wasser oder das Kondensieren von Dampf in eine Flüssigkeit. Kosterlitz und Thouless erreichten mit ihrer Arbeit ein völlig neues Verständnis von Phasenübergängen in dünnen Schichten, "die als eine der bedeutendsten Entdeckungen in der Festkörperphysik des 20. Jahrhunderts gilt", so das Nobelkomitee. Das wunderbare daran sei, dass dieser Kosterlitz-Thouless-Übergang (KT-Übergang) universell sei und bei verschiedenen zweidimensionalen Materietypen genutzt werden kann.

Thouless und Duncan M. Haldane legten zudem in den 1980er Jahren neue Theorien vor, die im Widerspruch zu bis dahin geltenden Annahmen standen, welche Materialien Strom leiten, speziell bei sehr niedrigen Temperaturen und in starken Magnetfeldern. Auch hier spielten topologische Konzepte eine entscheidende Rolle. Mit Hilfe der Topologie konnte Thouless etwa den Quanten-Hall-Effekt theoretisch beschreiben: Der deutsche Physiker Klaus von Kitzling bemerkte, dass in Halbleiter bei sehr tiefen Temperaturen und in starken Magnetfeldern die elektrische Spannung nicht gleichmäßig, sondern sprunghaft wächst - er erhielt dafür 1985 den Physik-Nobelpreis.

Heute werde über topologische Isolatoren, topologische Supraleiter oder topologische Metalle gesprochen, es seien dies Beispiele für Gebiete an vorderster Front der Festkörperphysik in den vergangenen Jahren, betont man seitens des Nobelkomitees.

Die Bekanntgabe der Nobelpreises für Medizin bildet den Auftakt der alljährlichen Preisverleihung. Dienstag folgte die Auszeichnung für Physik, am Mittwoch sollen Wissenschaftler im Bereich Chemie und am Donnerstag im Bereich Literatur geehrt werden. Der Friedensnobelpreis-Gewinner folgt am Freitag, den 9. Oktober. Seit 1969 gibt es den von der schwedischen Nationalbank gestifteten Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, der am 12. Oktober verkündet wird. Verliehen werden die Auszeichnungen am Todestag des Preisstifters Alfred Nobel, dem 10. Dezember, in Stockholm und Oslo.

Chemie folgt am 5.10. ab 11.45 Uhr:

Der Gewinner des Friedensnobelpreis wird am 7.10. ab 11 Uhr bekannt gegeben:

An wen der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften geht, ist am 10.10 ab 13 Uhr hier zu sehen:

Der genaue Termin für Literatur steht noch nicht fest, soll aber jedenfalls am Donnerstag stattfinden:

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