Warum Auto, Fleisch und Urlaub jetzt infrage gestellt werden
KURIER: Pandemie, Klimakollaps, Krieg, Atombedrohung. Nicht wenige Menschen haben Weltuntergangsstimmung.
Fred Luks: Was hier passiert, ist emotional schwer zu verstehen. Auch Menschen, die sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Zukunft beschäftigen, sind verwirrt. Ich selbst hätte es nicht für möglich gehalten, dass in meiner Lebenszeit noch einmal über Krieg in Europa geredet wird.
Stehen wir vor einer Zeitenwende?
Ja. Weil unsere Art zu leben grundsätzlich infrage steht. Viele Menschen sind jetzt verunsichert – und ich teile diese Verunsicherung. Der Weltklimarat warnt uns schon länger: Wir müssen unsere Art zu leben profund verändern. Das wirkte bei aller Dringlichkeit für viele immer recht abstrakt. Doch plötzlich wird uns erschreckend drastisch vor Augen geführt, wie sehr wir von einem Diktator abhängig sind, um unsere Energieversorgung aufrecht zu erhalten.
Laut Umfragen sagen 60 Prozent der Deutschen, man sollte auf Öl und Gas verzichten
.... und paradoxerweise sagt ausgerechnet ein grüner Wirtschaftsminister, dass das nicht geht. Das entspricht wohl auch der Komplexität der Situation, aber vor allem zeigt es, wie verwirrend die Zeiten gerade sind. Viele Leute sagen, sie wollen auf Wohlstand verzichten, um Putin kein Geld mehr zu geben, und politisch Handelnde sagen uns, dass das nicht so einfach ist.
Auch am Anfang der Pandemie gab es einen kurzen Moment, in dem uns etwa die negativen Seiten der Globalisierung bewusst wurden. Wo wir uns der enormen globalen wirtschaftlichen Abhängigkeiten bewusst wurden - Stichwort Masken oder Schutzanzüge, die in China hergestellt wurden. Passiert ist seither allerdings nichts.
Dass nichts passiert ist, unterschreibe ich nicht. Der Begriff der Resilienz hat eine Renaissance erfahren: Die Fähigkeit, nach Krisen wiederaufzustehen. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die europäische Chip-Initiative, um in Europa eine „strategische Autonomie“ zu erreichen. Dass man sagt: Ja, wir glauben an eine internationale Arbeitsteilung, aber wir wollen keine existentiellen Abhängigkeiten mehr.
Aber wie wir aus der Russlandabhängigkeit herauskommen, weiß noch niemand so recht.
Ja, das hat mich immer gewundert, dass Nordstream 2 für eine gute Idee gehalten wurde. Das jetzt herrschende Narrativ ist, die Eliten waren naiv. Man könnte aber auch fragen, ob sie nicht einfach korrupt waren. Jeder kann heute sehen, dass diese Abhängigkeiten ein Wahnsinn sind. Diese Lektion werden wir lernen müssen.
Wir müssen unsere Lebensgewohnheiten ändern, aber werden wir es auch tun?
Ja, die Frage ist nur, wer das organisiert. Es darf zu keiner Privatisierung des Problems kommen. Du sollst deine Ernährung umstellen, du sollst nicht so viel Auto fahren, etc. Zu vieles wird vom Konsumenten abhängig gemacht. Das wird nicht funktionieren. Paradebeispiele sind Journalisten, die zu einer Fridays for Future-Demo gehen und fragen: Hast du ein Handy? Fliegst du auf Urlaub?
Was ist falsch daran?
Was Fridays for Future fordert, ist ja nicht, dass wir uns als Konsumenten einschränken, sondern sie rufen auf, die Bedingungen des Wirtschaftens zu ändern und der Wissenschaft zu folgen. Darum geht es. Ich selbst zum Beispiel esse seit 25 Jahren kein Fleisch und besitze seit drei Jahrzehnten kein Auto mehr. Das tut mir gut. Aber rette ich damit die Welt? Nein. Zu glauben, dass einzelne Entscheidungen die Welt retten, ist absurd. Unser aller Lebensbedingungen werden sich ändern, aber nicht durch einzelne Entscheidungen, sondern durch politische Entscheidungen, etwa durch eine ökologische Steuerreform, die diesen Namen auch verdient.
Was wird das konkret bedeuten?
Unser Lebensmodel wird sich profund verändern und da ist die Politik gefordert. Etwa unser Umgang mit Tieren: Unsere Ernährungsweise geht sich weder ethisch noch ökologisch aus. Zumal jetzt auch Länder wie China und Indien mit zunehmendem Wohlstand mehr Fleisch verbrauchen. Auch da sehe ich eine Parallele zu Russland: Man hätte vieles wissen können. Jeder, der einen Internetanschluss hat, kann sehen, wie im Namen der „Leistbarkeit“ industrielle Tierquälerei betrieben wird.
Schön und gut, aber einzelne Haushalte stehen jetzt vor unglaublichen finanziellen Herausforderungen. Und da soll die Politik sagen, es darf kein Billigfleisch mehr geben?
Wenn ich eine Familie zu ernähren habe und alles substanziell teurer wird, werde ich nachvollziehbarer Weise noch mehr Billigprodukte kaufen und sicher kein Biofleisch essen. Das zeigt ja das Dilemma: du kannst keine ökologischen Fragen ohne soziale Abfederung lösen. Man darf die Leute nicht allein lassen. Unsere Lebensweise ist nicht nachhaltig, und das kann man nicht von heute auf morgen ändern. Aber während wir hier reden, kann es zu einer Weltwirtschaftskrise kommen. Wenn nämlich Öl und Gas nachhaltig eingeschränkt werden.
Ganz konkret: Was bedeutet das für uns?
Das würde richtig ungemütlich werden. Denn dann gibt es deutlich weniger für alle, von reichen Menschen abgesehen. Aber noch können wir uns entscheiden: Zwischen Wandel durch Design und Wandel durch Desaster. Wenn es ein Embargo gibt oder Putin uns kein Öl und Gas mehr gibt, wäre das ökonomisch enorm herausfordernd – aber womöglich doch beherrschbar. Wandel durch Design wäre, wenn wir jetzt sehr schnell sagen: Wir brauchen eine ökologische Preiswahrheit, wir müssen sehr schnell hirnrissige Subventionen für fossile Brennstoffe abschaffen.
Diese Chance für Wandel durch Design haben wir gerade vergeben. Liefern wir uns also selbst dem Wandel durch Desaster aus?
Richtig. Und man hat beim politischen Personal nicht den Eindruck, dass es den Mut hat, uns zu sagen, wie ernst die Lage ist.
Sie haben eingangs erwähnt, dass eine Mehrheit der Deutschen für Boykott von russischem Gas ist. Konsequenterweise müssten sie dann jetzt für einen Ausbau erneuerbarer Energien sein. Kann man das als positives Zeichen in der Krise werten? Werden die Menschen jetzt plötzlich für Windräder sein?
Interessanterweise streiten jetzt viele Umweltbewegte untereinander: Klimaschützer gegen Naturschützer zum Beispiel. Klar ist, dass es da keine einfachen Lösungen gibt, aber man muss sich irgendwann entscheiden. Zusammenfassend: Ja, wir erleben eine Zeitenwende. Die Frage ist, ob wir sie nutzen. Die Normalität ist etwas sehr Träges.
Was verstehen Sie unter Normalität?
Mit dem Auto fahren, täglich Fleisch essen, jedes Jahr in den Urlaub fliegen: Das ist für viele Leute Normalität. Die wird sich an den Realitäten brechen. Noch geht das Leben hier normal weiter. Aber wir spüren die Fragilität, die wir schon in der Corona-Krise kennengelernt haben. Unsere Lebensweise ist höchst abhängig von einem Faktor – fossilen Energieträgern aus Russland. Das ist das Gegenteil von Resilienz.
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