Krieg, Krankheit, Klimakrise: Die Welt in Endzeitstimmung
Zuerst die Klimakrise, dann das Virus. Und jetzt auch noch Krieg in Europa – samt Atombedrohung. Der Blick auf das Weltgeschehen macht Zuversicht schwer.
Die Pandemie hat unser Leben in ein Davor und ein Danach geteilt. Millionen von Menschen sind gestorben, die Wirtschaft ist eingebrochen. Mit dem Frühling und der milderen Omikron-Variante machte sich Hoffnung breit.
Dann fiel Putin in der Ukraine ein. Bilder der Zerstörung fluten seither unsere Fernseher und Smartphones. Anders als bei bisherigen Kriegen der jüngeren Zeit dringen die Konsequenzen des Ukraine-Krieges bis in unsere Wohnzimmer vor. Steigende Gas- und Ölpreise, Lieferengpässe, das Damoklesschwert von Lebensmittelknappheit. Und über alldem schwebt die Klimakrise mit ihren Folgen – Dürre, Überschwemmungen, Artensterben. Man bekommt das Gefühl, die Welt ist in Unordnung. Endzeitstimmung macht sich breit.
So geht es etwa Ronja Ebeling. „Wir schlittern von einem Problem zum nächsten. Ohne, dass die davor gelöst werden“, sagt sie. Die 25-jährige Hamburgerin bringt damit das Gefühl der Generation Z zum Ausdruck. Also jener, die um die Jahrtausendwende geboren wurden. Eine Generation, die laut Psychologen und Soziologen besonders stark von Zukunftssorgen geplagt ist. „Ich habe das Gefühl, das Leben steht auf Pausetaste und wir kommen nicht mehr zum Normalzustand zurück.“
"Das ist beängstigend"
Ebeling kannte dieses Gefühl bereits, als der Krieg in der Ukraine noch nicht absehbar war. Im September 2021 veröffentlichte sie ihr Buch „Jung, besorgt, abhängig – eine Generation in der Krise“. Damals steckte die Welt mitten in der Pandemie. Hinzu kamen ihre Sorgen um das Klima, um prekäre Arbeitsverhältnisse und Altersarmut, weil die Pensionen nicht mehr reichen werden. Und jetzt ist auch noch Krieg. „Das ist beängstigend“, sagt die freiberufliche Journalistin. Dieses bedrückende Lebensgefühl lässt sie sogar überlegen, ob sie noch Kinder in die Welt setzen möchte. Ein Gedanke, der immer mehr junge Menschen beschäftigt. „Kann ich einem Kind diese Welt zumuten?“, ist nicht die einzige Frage, die sie sich stellt. Sondern auch: „Kann ich mir eine Familie überhaupt leisten?“ Die Mieten würden in die Höhe schnellen, der Traum vom Eigenheim werde immer mehr zur Utopie. Ein Gehalt pro Haushalt reiche schon lange nicht mehr aus. Gleichzeitig werde sich ihre Generation auch um die Eltern kümmern müssen – Stichwort Pflegenotstand.
Aber die Endzeitstimmung plagt nicht nur die jüngere Generation. Laut einer tiefenpsychologischen Untersuchung des deutschen Rheingold-Instituts leiden 30 Prozent der Bevölkerung aufgrund der Pandemie an Lust- und Antriebslosigkeit. Das Institut nennt diesen Zustand „Melancovid“ – eine Mischung aus Melancholie und Covid. Der Krieg hat dieses Empfinden noch verstärkt. Und zudem Ohnmachtsgefühle und Schockstarre ausgelöst. „Die Krisenpermanenz wächst sich zur albtraumhaften Dauerschleife aus“, resümiert das Institut.
Die Umfragen zur Klimakrise zeigen ein noch viel eindeutigeres Bild. Laut Eurobarometer halten neun von zehn Europäern die Erderwärmung für ein „ernstes Problem“. Es sei die schwerwiegendste Aufgabe, vor der die Welt stehe, sagten die Befragten damals, im Juli 2021.
Wenn sich diese Sorgen in Furcht verwandeln, spricht die Psychologie von „Climate Anxiety“, also Klimaangst. „In der Menschheitsgeschichte gab es immer schon apokalyptische Ängste. Aber im Gegensatz zur Angst vor dem Weltuntergang aufgrund des Maya-Kalenders ist diese in Bezug auf den Klimawandel wissenschaftlich begründet“, erklärt Katharina van Bronswijk von „Psychologists for Future“.
Derlei Gefühle seien eine normale Reaktion auf Bedrohungslagen. Das Besondere an der derzeitigen Situation sei, dass mehrere global miteinander verbundene Krisen gleichzeitig stattfinden und wir nicht mehr einen Brandherd nach dem anderen löschen könnten. Die Psychologin stellt aber auch klar: Die Angst vor der Katastrophe ist nichts Neues.
Die atomare Aufrüstung
Angst vor Atom? Hatten wir doch schon, sagen viele, die die späten 1970er erlebt haben. Auch damals gab es Ereignisse, die man als Zeitenwende bezeichnen kann. So spricht etwa der Philosoph Peter Sloterdijk vom Jahr 1979 als dem „Schlüsseldatum des 20. Jahrhunderts“. Die iranische Revolution brachte den fundamentalistischen Islam auf die weltpolitische Agenda, der sowjetische Einmarsch in Afghanistan war ein Vorgeschmack auf die Krisenherde des 21. Jahrhunderts. China entwarf einen Masterplan zum wirtschaftlichen Aufstieg, Margaret Thatcher verkündete eine neoliberale Welt.
„Die aktuelle Krise reaktualisiert Ängste, die nach 1979 ähnlich auftraten. Die Endzeitängste im Zuge der atomaren Nachrüstung und des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan damals waren vermutlich sogar noch stärker als die Kriegsängste heute. Auch damals gab es Millionen Menschen, die aus Afghanistan flohen. Im Unterschied zu den ukrainischen Flüchtlingen erreichten die Afghanen jedoch damals selten Europa, weil verschärfte Visavorschriften gegen sie verhängt wurden“, sagt der Historiker Frank Bösch, der in seinem Buch „Zeitenwende 1979“ die weltpolitisch wegweisenden Ereignisse von damals analysiert.
Ob er in den damaligen globalen Wendepunkten den Beginn unserer Gegenwart verortet? Wurzeln etwa aktuelle Herausforderungen in Globalisierung und Ökologie in der Zeitenwende der späten 1970er? „Vieles, das wir heute sehen, hat sich dort etabliert. Etwa die systematische Aufnahme von Flüchtlingen von außerhalb Europas, damals mit den Boatpeople, die Formierung von Umweltbewegungen, die Auseinandersetzung mit Energiefragen. Wir haben Kontinuitätslinien und ähnliche Konstellationen. Die aktuelle Bedrohung durch Russland unterscheidet sich vom Kalten Krieg. Aber zugleich wird deutlich, dass 1989 (Wiedervereinigung, Anm.) nicht die Zäsur war, die alles verändert hat“, sagt der Historiker.
Die Angst vor Russland
Damals habe die Annahme gegolten, dass der Ost-West-Konflikt mit der Sowjetunion sein Ende gefunden hätte. Dies sei aber nicht eingetreten. Die klassische Angst vor Russland, die im 20. Jahrhundert sehr prägend gewesen sei, werde wieder reaktiviert.
Dazu kommt: Ob etwas singulär ist, liegt natürlich immer in der Perspektive des Betrachters. „Wenn etwa Zeitgenossen in fünfzig Jahren zurückblicken, hängt es von ihren aktuellen Erfahrungen ab, ob etwas eine Zeitenwende war oder nicht. Ich glaube, dass aus der Zukunft betrachtet die Covid-Krise eine Zäsur bleiben wird. Und zwar nicht aufgrund der Zahl der Toten, sondern aufgrund der Vielfalt der gesellschaftlichen Einschränkungen. Aber die Aufmerksamkeit darüber wird überlagert werden.“
Der russische Einmarsch in der Ukraine zeige jetzt, wie schnell sie sich wandeln könne. Ähnlich bei der sogenannten Migrationskrise. In dem Moment, als Covid aufkam, sei das Thema Flüchtlinge plötzlich verschwunden. Das heißt, ob etwas historisch einschneidend ist, hat auch mit unserer Wahrnehmung zu tun. Es gebe kein historisches Ereignis, das als solches eine Zäsur oder Zeitenwende sei, sondern die öffentliche Wahrnehmung forme diese.
Rund um die Uhr Krieg
Buchautorin Ronja Ebeling streitet nicht ab, dass wohl jede Generation ihre subjektive Endzeit durchlebt. Die heutige Wahrnehmung von Krisen sei allerdings von einem entscheidenden Faktor geprägt – den sozialen Medien. „Früher hat man sich abends die Tagesschau angesehen und ist 15 Minuten lang mit den Problemen der Welt konfrontiert worden. Heute aber ist man ihnen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche ausgesetzt“, sagt sie.
Chance statt Niedergang
Das Gefühl der Bedrückung birgt aber durchaus Chancen. „Eine Krise markiert nicht unbedingt einen Niedergang. Eine Krise ist ein Moment, der eine grundlegende Entscheidung zur Problembewältigung verlangt“, sagt Historiker Bösch. „Es muss einen Kurswechsel geben, um Unheil abzuwenden. Insofern kann eine Krise dazu führen, dass etwas Neues entsteht. Die Konsequenz der Ölkrisen der 1970er war, dass man verstärkt auf Gas und Atomenergie setzte und Energie einsparte. Jetzt kann es zu neuen Weichenstellungen kommen.“
Der Weltklimarat warnt schon länger davor, dass unsere Ökosysteme ohne Abkehr von fossilen Brennstoffen kippen werden. Doch bisher hat dies bei aller Dringlichkeit für viele recht abstrakt gewirkt, dementsprechend zögerlich agierte auch die Politik punkto Klimawende. Der Gasstreit mit Russland als Folge des Ukraine-Kriegs könnte das nun beschleunigen.
„Wir haben jetzt die Möglichkeit, mehrere Probleme auf einmal zu lösen. Und mit dem Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Pandemie diese gleichzeitig umweltfreundlicher zu gestalten“, sagt Psychologin van Bronswijk.
Wenn Angst motiviert
Aber auch auf individueller Ebene können Krisen mobilisierend wirken. Denn Angst – ob vor dem Klimawandel, der Pandemie oder dem Krieg – muss nicht unbedingt Ohnmacht bedeuten. „Die wenigsten sind durch diese Angst gelähmt. Sie ist nämlich auch motivierend“, erklärt die Psychologin. Zudem löse die derzeitige Situation bei vielen Wut aus. „Und die treibt Menschen auf die Straße.“ Um ins Handeln zu kommen, brauche es Zuversicht und konstruktiven Optimismus sowie das politische Wissen, wie Transformation funktioniere. „So etwas ist kein schneller Prozess. Dafür braucht es einen langen Atem.“
Die Hamburgerin Ronja Ebeling hat diese Strategie der Bewältigung bereits für sich entdeckt. „Mir hilft Aktivismus. Also zu Hilfsorganisationen zu fahren und Sachspenden für die Ukraine zu sortieren. Für mich ist das besser, als Zuhause zu sitzen und Nachrichten zu konsumieren.“
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