Verbund-Urteil mit einer Flut an Folgen für die Strombranche
"Ist das Donauwasser wieder teurer geworden?" – Seitdem die meisten österreichischen Stromversorger im vergangenen Jahr begonnen haben, ihre Preise stark anzuheben, häufen sich Unmutsäußerungen dieser Art. Kein Wunder, vermarkten doch mehrere Unternehmen sogenannte "Ökostromtarife". Dass diese mit dem internationalen Anstieg der Gaspreise mitziehen, haben viele ihrer Kundinnen und Kunden nicht erwartet.
Das Handelsgericht Wien ist dieser Argumentation nun in einem prominenten Fall gefolgt: Die Preiserhöhung bei Österreichs größtem Stromkonzern, dem Verbund, ab Mai 2022 war demnach nicht zulässig. Die Klausel, dass der Strom-Arbeitspreis mit dem Österreichischen Strompreisindex (ÖSPI) steigt, sei für die Kundinnen und Kunden "überraschend und nachteilig", urteilte das Gericht.
Börsenpreise
Der ÖSPI bildet den Großhandelspreis an der Energiebörse ab. Dieser ist seit 2021 stark gestiegen und hat sich im vergangenen Jahr zwischenzeitlich vervielfacht. Preistreiber sind dabei die internationalen Gaspreise. Der Verbund trete aber nicht nur als Händler, sondern auch als großer Wasserkraft-Produzent auf, argumentierte der Verein für Konsumenteninformation (VKI), der die Klage im Auftrag des Sozialministeriums eingebracht hatte. Es gebe daher "keine sachgerechte Grundlage, warum das Unternehmen die Börsenpreise als Maßstab für eine – vermeintliche – Wertsicherung heranziehen können sollte", sagt VKI-Jurist Maximilian Kemetmüller.
Die ÖSPI-Bindung war im Vertrag zwar beschrieben, zumindest unter der Überschrift "Wertsicherung Arbeitspreis" sei der Inhalt für die Konsumentinnen und Konsumenten aber nicht zu erwarten gewesen, befand das Gericht. Zudem müsse bei einer Wertsicherung das ursprüngliche Wertverhältnis gewahrt werden, eine Klausel die Zufallsgewinne ermöglicht, sei insofern nicht haltbar.
Domino-Effekt
Das Urteil ist nicht rechtskräftig, der Verbund hat bereits Rechtsmittel angekündigt. Sollte es bestätigt werden, könnte es aber weit reichende Auswirkungen in der Branche haben, denn es gebe "eine Vielfalt an ähnlichen Klauseln" bei unterschiedlichen Unternehmen, so Kemetmüller zum KURIER.
Die Kunden haben bewusst nicht nur einen Stromhändler als Versorger gewählt, sondern mit dem Verbund ein Unternehmen als Vertragspartner, das angibt, den Strom selbst aus 100 Prozent Wasserkraft herzustellen.
Das Urteil könnte "erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen", bestätigt auch Alexandra Schwaiger-Faber, Leiterin der Rechtsabteilung bei der Regulierungsbehörde E-Control, dem KURIER. Insbesondere für andere Unternehmen mit einer großen eigenen Erzeugung.
Inwiefern es auf andere Verträge umgelegt werden kann, will der VKI erst noch prüfen. Dazu, welche Rückzahlungsforderungen auf die Stromkonzerne insgesamt zukommen könnten, gibt es keine Schätzungen.
Der Verbund hat indessen die nächste Preiserhöhung ab März angekündigt. Grundlage ist dabei aber nicht die umstrittene Klausel, sondern das 2022 überarbeitete Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetzes (ElWOG). Darin wurde genauer definiert, wie Kundentarife angepasst werden können. Das Unternehmen geht deswegen davon aus, dass das Vorgehen rechtlich gedeckt ist. Laut Kemetmüller hängt das davon ab, wie die Gerichte das neue ElWOG auslegen.
Die Großhandelspreise für Strom und Gas sind seit den Rekordwerten vom vergangenen Sommer bereits wieder gefallen. Dass die Tarife heuer billiger werden, ist deswegen aber nicht abzusehen, denn bei den meisten Bestandskunden kommen Schwankungen in den Großhandelspreisen erst mit Verzögerung an.
Entspannung frühestens 2024
Wenn die Großhandelspreise heuer billiger bleiben als sie im vergangenen Jahr waren, könnte das aber 2024 zu Tarifsenkungen führen. Denn die ElWOG-Novelle sieht auch vor, dass die Unternehmen ihre Tarife senken müssen, wenn die Umstände wegfallen, die zu ihrer Anhebung geführt haben.
Allerdings ist noch offen, wie dieses Recht durchgesetzt wird. Denn es handelt sich dabei nicht um ein von Konsumentenschützern einklagbare Klausel, sondern müsste in einem Einzelverfahren geklärt werden, so Kemetmüller.
Dass die Energiepreise wieder das Niveau von Anfang 2021 erreichen, ist laut E-Control-Chef Wolfgang Urbantschitsch nicht absehbar. Sein Vorgänger, der jetzige Regierungsberater Walter Boltz, ist diesbezüglich optimistischer: Ab der zweiten Hälfte 2024 oder Anfang 2025 werde es global einen Gas-Überschuss geben. Die Preise könnten dann wieder auf das alte Niveau fallen.
Liberalisiert. Vor mehr als 20 Jahren wurden die Monopole gebrochen, es entstand ein europäischer Strommarkt. In Österreich blieben die großen Versorger aber mehrheitlich im öffentlichen Eigentum
Preisbildung. Die Großhandelspreise entstehen nach dem Prinzip der „Merit Order“. Dabei gibt das teuerste, noch zur Deckung des Bedarfes notwendige Kraftwerk den Preis vor
75 % Erneuerbaren-Anteil hat die Stromproduktion in Österreich etwa. Insbesondere im Winter, wenn die Wasserkraftwerke weniger ergiebig sind, muss Strom importiert werden
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