Roaring Kitty: Der Hippie, der den Gamestop-Sturm entfachte
Das Kräftemessen zwischen Großinvestoren und Privatanlegern, ausgetragen am Kurs des US-Videospielhändlers Gamestop, ist immer noch nicht vorbei. Am Donnerstagmorgen erreichte der Wert der Aktie erneut 170 Dollar, das bedeutet einen Anstieg von knapp 80 Prozent im Vergleich zum Vorabend. Dabei wird das Duell inzwischen auch schon auf der politischen Bühne ausgetragen.
So kam es am vergangenen Donnerstag zur Anhörung einiger wichtiger Schlüsselfiguren vor dem Finanzausschuss des US-Kongresses. Die Abgeordneten befragten dabei unter anderem die beiden Hedgefonds-Manager Gabriel Plotkin (Melvin Capital) und Kenneth Griffin (Citadel), sowie Vlad Tenev, den CEO des Online-Tradingportals Robinhood. Sie alle sind Schwergewichte an der Wall Street und haben mit ihren Entscheidungen in den letzten Wochen die Geschehnisse an der Börse massiv beeinflusst.
Doch auf der Ladungsliste des Finanzausschusses stand auch der 34-jährige Keith Gill: Ein inzwischen arbeitsloser ehemaliger Versicherungsmakler aus Massachusetts. Ein Hobby-Youtuber, der in seinen Videos ausgewaschene Hippie-Shirts, Stirnband und Sonnenbrille trägt. Aber auch ein seit 2012 lizensierter Wertpapierhändler und frisch gebackener Multimillionär, dem nun Marktmanipulation im ganz großen Stil vorgeworfen wird.
Wer ist dieser Mann, um den im Netz ein regelrechter Kult entstanden ist?
"Ich bin keine Katze"
"Es gibt einiges, was ich nicht bin: Ich bin keine Katze. Ich bin kein institutioneller Investor, auch kein Hedgefonds. Ich habe keine Kunden und ich biete auch keine professionelle Beratung gegen Bezahlung an", erklärte Keith Gill bei seiner Anhörung vor US-Kongressabgeordneten. "Ich bin einfach nur ein ein Typ, dessen Investments in Gamestop und Postings in den sozialen Medien auf meiner persönlichen Analyse beruhen."
Der Katzen-Sager ist eine Anspielung auf den Fauxpas eines US-Anwalts, der sich vergangene Woche bei einer Online-Anhörung unabsichtlich einen Katzen-Gesichtsfilter verpasst hatte. Dass Gill seine Aussage mit diesem Scherz einleitete, zeigt, zwischen welchen Welten er sich bewegt.
Da ist einerseits die biedere Finanzwelt, mit deren Begrifflichkeiten und Abläufen er sich bestens auskennt und seinen Lebensunterhalt verdient. Andererseits der schrille, überdrehte Mikrokosmos des Onlineforums Reddit, in dem Gill zum absoluten Star aufgestiegen ist.
Dabei war der Termin für ihn eigentlich durchaus brenzlig: Dem 34-jährigen wird vorgeworfen, andere Kleinanleger bewusst zum Kauf der überteuerten Gamestop-Aktien geleitet und ihnen somit enorme Verluste eingebracht zu haben. Noch vor der Anhörung war deshalb eine Sammelklage in Millionenhöhe gegen ihn eingereicht worden.
Aus Zweiflern wurden Fans
Gills Weg auf den Online-Olymp begann vor etwas mehr als einem Jahr: Im November 2019 erlangte er erstmals fragwürdigen Internet-Ruhm, als er Gamestop-Aktien im Wert von 54.000 US-Dollar gekauft und ein Beweisfoto im Online-Forum Reddit gepostet hatte. Genauer: Auf dem inzwischen berüchtigten Subforum r/wallstreetbets.
Zunächst hagelte es Häme und Spott wegen Gills Investment. In Zeiten von Online-Käufen und Downloads sah die Zukunft für Gamestop, das vor allem auf den An- und Verkauf von gebrauchten Spielen setzt, alles andere als rosig aus. Doch die Reddit-Nutzer lieben verrückte Aktien-Wetten, vor allem, wenn sie nicht aufgehen. "Loss porn", also Verlust-Porno, nennt sich diese Schadenfreude im Netzjargon.
So schrieb ein Nutzer etwa: "Immer wenn ich einen schlechten Tag habe, finde ich Trost darin, dass da draußen jemand knietief in Gamestop-Aktien steckt". Ein anderer: "Wenn ich das sehe, fühlt sich mein Portfolio nicht mehr ganz so schlimm an, danke!"
Gill, auf Reddit unter dem Pseudonym "DeepFuckingValue" aktiv, ging auf die hunderten Kommentare unter seinem Posting kaum ein. Er begann stattdessen, in regelmäßigen Abständen neue Screenshots seiner Anteile zu posten - um die Wertentwicklung festzuhalten und allen, die sich über ihn lustig gemacht hatten, nach und nach zu beweisen, dass sie falsch lagen.
Am 14. April 2020 dann der erste große Anstieg: Gills Anteile waren über Nacht auf mehr als 300.000 Dollar gestiegen. "DeepFuckingValue" schrieb erstmals von Leerverkäufen, einem möglichen Short Squeeze und all den anderen Börsen-Mechaniken, die letztlich zum enormen Preisanstieg der Aktie führen sollten.
Zwischen zwei Welten
Im vergangenen Sommer verdoppelte sich der Wert von Gills Portfolio noch einmal, Ende September knackte der Wert seiner Anteile erstmals die Millionengrenze. Mit jedem monatlichen Update wurde der 34-jährige nach und nach von einer Lachnummer zum "absoluten König des Forums", um einen Nutzer zu zitieren.
Nebenbei hatte Gill zudem im Juli 2020 einen Youtube-Kanal eröffnet. Unter dem neuerlichen Pseudonym "Roaring Kitty" gibt er dort Einblicke in seinen Alltag als Hobby-Anleger. Während stundenlanger Livestreams - der längste ging über mehr als sieben Stunden - konnte man ihm dort zusehen, wie er Aktienkurse analysiert und Käufe tätigt.
"In letzter Zeit wirkt es so, als würden sich immer mehr Leute für den Aktienmarkt interessieren. Vor allem solche, die bisher noch nichts mit der Börsenwelt am Hut hatten. Ich denke mir, dass es gerade für diese Leute interessant wäre, mich bei meinem Investitionsprozess zu begleiten", spricht Gill in einem seiner ersten Videos in die Kamera, hinter ihm liegt ein Katzen-Stofftier auf dem Fensterbrett. "Das könnte euch den Pfad ebnen, um irgendwann selbst fundierte Investitionen zu tätigen."
Der Investmentberater aus Springfield, Massachusetts war endgültig zum Börsen-Guru geworden. Mit dem Wert seiner Gamestop-Anteile stieg auch die Zahl derjenigen, die sich ein ähnlich erfolgreiches Geschäft erhofften. Tausende Nachahmungstäter stürzten sich auf die Aktie, deren Preis ab Mitte Jänner in ungeahnte Höhen stieg. Das Chaos war in Gang gesetzt.
Am 27. Jänner war dann bei einem Preis von 347 Dollar pro Aktie der Höhepunkt erreicht, Gills Investment war zu diesem Zeitpunkt knappe 48 Millionen Dollar wert. Wie sein letztes Posting vom vergangenen Freitag zeigt, besitzt er trotz all der Turbulenzen nach wie vor Anteile im Wert von knapp 17 Millionen Dollar. Der Großteil seiner Fans dürfte nicht so sorgsam gewesen sein: Angefeuert von einem beispiellosen Hype dürften die meisten von ihnen viel Geld verloren haben.
Dabei war es ihm schon früh wichtig klarzustellen, dass er mit seinen Videos ausdrücklich nicht zum Kauf bestimmter Aktien anregen wolle. "Dieser Kanal dient einzig und allein dazu, euch zu bilden. Ich gebe euch hier keine persönliche Investitionsberatung", meint Gill etwa in einem anderen Video. "Mein Investitionsstil ist super aggressiv. So aggressiv, dass er für euch wahrscheinlich nicht geeignet wäre. Das müsst ihr im Hinterkopf behalten!"
Es klingt fast so, als hätte Gill geahnt, welches Folgen sein höchst erfolgreiches Börsen-Influencer-Dasein nach sich ziehen könnte. Man darf gespannt sein, ob ihn diese Beschwichtigungen tatsächlich vor einer Verurteilung bewahren. Wenn ja, dürfte er jedenfalls ausgesorgt haben.
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