Die zehn Gründe für Teilzeit in Österreich
Österreich ist ein Teilzeitland. Knapp 30 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten weniger als 40 Stunden in der Woche, bei den Frauen sind es knapp 50 Prozent. Nur in den Niederlanden ist die Teilzeitquote höher. Aber warum ist das so? Eine differenzierte Betrachtung zeigt: Die Gründe für kürzere Arbeitszeiten haben weniger mit Kindern, als mit Wohlstand, Werte- und Strukturwandel zu tun.
Hier die wichtigsten zehn Gründe für Teilzeitarbeit kurz zusammengefasst:
1. Betreuungspflichten
Zweifellos der Hauptgrund für Teilzeit, aber längst nicht der einzige, sind Betreuungspflichten. Je nach Befragung etwa 40 bis 50 Prozent aller weiblichen Teilzeitkräfte geben an, deshalb keine Vollzeitstelle zu haben, weil sie Kinder oder Eltern betreuen müssen. Bei den Männern sind es nur 7 Prozent.
Aber: Auch bei kinderlosen Frauen zwischen 45 und 54 Jahren ist die Teilzeitquote ebenfalls nahe der 50 Prozent. Bei den 35- bis 44-Jährigen beträgt sie immer noch knapp über 30 Prozent. Der Ausbau der Kinderbetreuung in den vergangenen Jahren hat die Teilzeitquote nicht gesenkt, sie ist im Gegenteil weiter gestiegen. Die Kinderbetreuung selbst wird ebenfalls häufig von Teilzeitkräften erledigt.
2. Öffnungszeiten
Die Dienstleistungsgesellschaft lässt sich gar nicht mehr in ein starres Arbeitszeitmodell aus dem Industriezeitalter pressen. Der Einzelhandel darf 72 Stunden in der Woche offenhalten, in vielen Branchen wird auch am Wochenende und an Feiertagen gearbeitet.
Das geht sich mit Vollzeitkräften allein nicht aus. Unternehmen haben selbst ein Interesse daran, Randzeiten und Nachfragespitzen mit flexiblen Kräften abzudecken. So sind im Handel ein Drittel aller Jobs als Teilzeitstellen ausgeschrieben.
40 Stunden pro Woche gilt in Österreich seit 1975 als die maximale Normalarbeitszeit für die meisten Arbeitnehmer.
Seit 1985 gibt es in manchen Branchen die 38,5-Stunden-Woche.
Im Jahr 1970 wurde die Arbeitszeit auf 43 Stunden pro Woche reduziert, 1972 auf 42 Stunden.
5 Tage Normalarbeitszeit wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts in den meisten Ländern eingeführt. Seit ein paar Jahren experimentieren einige Länder und Unternehmen mit der Vier-Tage Woche.
3. Gesetzgeber
Anders als in anderen Ländern ist Teilzeit in Österreich gut geregelt und zählt daher seit Jahrzehnten zum fixen Bestandteil der Arbeitswelt. Der Gesetzgeber hat mit der Eltern- und der Altersteilzeit zusätzliche Anreize für eine Arbeitszeitverkürzung geschaffen.
Die Elternteilzeit wird seither gut genutzt, auch die schrittweise Arbeitszeitreduzierung im Alter ist beliebt. Zu beliebt, weshalb der Zugang zuletzt erschwert wurde. Im Vorjahr nahmen rund 35.000 Personen diese Form des Hinübergleitens in die Pension in Anspruch.
4. Wertewandel
Der gesellschaftliche Wertewandel lässt sich schwer in Zahlen gießen, wird aber häufig unterschätzt, wenn es gilt, politische Maßnahmen umzusetzen. Den kollektiven „Arbeitsethos“ gibt es nicht mehr, für die heute unter 35-Jährigen hat der Ausgleich von Arbeit und Privatleben zweifellos eine weit höhere Bedeutung als für die heute über 50-Jährigen.
Wer wann und wie lange erwerbstätig sein will, ist je nach Lebens- und Einkommenssituation individuell höchst unterschiedlich. Junge Männer beteiligen sich mehr an der Familienarbeit als noch vor 20 Jahren. Heute entfällt 9 Prozent der Teilzeitbeschäftigung auf Männer, die sich mehr an der Familienarbeit beteiligen als die Generation davor.
5. Wohlstandsfrage
Das Versprechen, sich durch Vollzeit-Erwerbsarbeit Wohlstand wie etwa ein Eigenheim schaffen zu können, wird von vielen nicht mehr geglaubt. Im Gegensatz zu ihren Eltern starten die Jüngeren häufig auch von einem höheren Wohlstandsniveau aus und haben erst gar nicht dieses soziale Aufstiegsdenken. Viele sind auch durchaus bereit, auf einen weiteren Wohlstandszuwachs zu verzichten, wenn dafür mehr Zeit für ihnen ebenso wichtige Dinge bleibt. Mehr Freizeit statt mehr Geld ist ein geflügelter Satz bei vielen Gehaltsverhandlungen.
6. Nebenverdienst
In vielen Fällen ist eine Teilzeitbeschäftigung gar kein Haupterwerb, sondern ein Zuverdienst etwa zur Landwirtschaft, zum Studium, einer Aus- und Weiterbildung oder zu einem anderen Teilzeitjob. Die Teilzeitbeschäftigung ist auch häufig nur vorübergehend, wenn die Lebensumstände es erfordern. Kritisiert wird häufig, dass der Wechsel in die Vollzeitbeschäftigung nicht immer angeboten und möglich ist.
7. Arbeitsbelastungen
Die Arbeitsbedingungen, insbesondere die Arbeitsintensität, haben sich nicht zuletzt durch die Digitalisierung stark gewandelt. Es gibt Tätigkeiten, die sind physisch oder psychisch derart herausfordernd, etwa konzentrierte Bildschirm-Arbeit, Pflegeberufe oder Schichtdienste dass sie in einer 40-Stunden-Woche kaum noch angenommen werden.
In vielen Studien geben Befragte an, in ihrem Beruf Vollzeit körperlich oder mental nicht zu schaffen. Aus Rücksicht auf die Gesundheit schon gar nicht ein ganzes Erwerbsleben lang.
8. Produktivität
Die Formel „Weniger Stunden, weniger Output“ galt für das Industrie-, nicht für das Dienstleistungszeitalter. Wer kürzer arbeitet, ist meist produktiver, sagen Arbeitspsychologen. Unter den richtigen Arbeitsbedingungen wird wesentlich konzentrierter gearbeitet.
Auch Vollzeitkräfte sind nicht die gesamte Arbeitszeit über aktiv und damit produktiv. Betriebe, die auf eine 4-Tage-Woche umgestellt haben, berichten von Produktivitätssteigerungen. Das trifft jedoch nicht auf alle Branchen zu. Grundsätzlich kostet dem Unternehmen eine Vollzeitkraft mehr als eine Teilzeitkraft.
9. Leistbarkeit
Unbestritten ist. Wer kürzer arbeitet, verdient weniger. Die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ist die große Ausnahme. Im Schnitt entgehen den Teilzeitkräften 900 Euro brutto im Monat bzw. 12.500 Euro im Jahr.
Wer freiwillig kürzer arbeitet, kann es sich in der Regel finanziell leisten. Vor allem dann, wenn es mehrere Einkommen im gemeinsamen Haushalt gibt und der Partner/die Partnerin gut verdient. Wie das Momentum-Institut herausgefunden hat, wurden in den vergangenen sieben Jahren vor allem im reichsten Einkommenszehntel die Arbeitszeit am stärksten reduziert. Und zwar mit 7 Prozent fast drei mal so viel wie im Durchschnitt.
10. Besteuerung
Der Umstieg von Teilzeit auf Vollzeit rentiert sich finanziell oft nicht. Laut Berechnungen der Agenda Austria ist es in keinem anderen EU-Land finanziell so unattraktiv, seine Arbeitszeit auszuweiten wie in Österreich. Grund dafür sind Sozialversicherungsabgaben und Lohnsteuer.
Wird die Arbeitszeit von 20 auf 40 Wochenstunden aufgestockt, steigen Arbeitszeit und Bruttolohn zwar um 100 Prozent, netto bleibt aber nur 66 Prozent mehr. Bei 30 statt 20 Wochenstunden bleiben nur 32,4 Prozent mehr. In Schweden sind es 43,8 Prozent.
Ideen für steuerliche Anreize zum Aufstocken der Arbeitszeit gibt es zahlreiche. Ob sie tatsächlich zu mehr Vollzeit führen, ist ungewiss. Bisherige steuerliche Maßnahmen hatten kaum keinen Effekt. Dafür sind die Gründe für Teilzeit auch viel zu individuell.
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