Gas-Lieferungen: Der "Worst Case" bleibt ein Szenario – vorläufig

Nach zehn Tagen Wartung floss am Donnerstag wieder Gas durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland.
Bei einem russischen Gas-Lieferstopp könnte sich der Großhandelspreis laut IHS-Schätzung noch einmal verdoppeln.

Am Freitag (22. Juli) treffen Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) mit Branchenvertretern und Sozialpartnern zu einem Gas-Infrastrukturgipfel zusammen. Thema ist die Versorgungssicherheit in Anbetracht des Ukraine-Kriegs.

Dabei hatte es zuletzt eine gewisse Entspannung gegeben: Der russische Staatskonzern Gazprom hat am Donnerstag die Lieferungen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 mit Ende des Wartungsintervalls wieder aufgenommen. Etwa 40 Prozent der eigentlich vereinbarten Menge flossen am Donnerstag nach Deutschland, somit etwa so viel wie vor der Unterbrechung. In der Beurteilung überwiegt aber Vorsicht. "Von Entwarnung kann ich noch nicht reden", sagte Klaus Müller, Chef der deutschen Bundesnetzagentur. "Auch bei einem Niveau von 40 Prozent müssen wir erhebliche Anstrengungen unternehmen, um gut über den ersten Winter zu kommen." Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat ein weiteres Paket von Sparmaßnahmen angekündigt.

In Österreich zeigt sich ein ähnliches Bild. Die OMV hat auf der Route durch die Ukraine wieder etwa die Hälfte der vereinbarten Gasmenge erhalten, zuletzt war es nur etwa ein Drittel. Man dürfe sich jedoch "nicht in falscher Sicherheit wiegen", denn "solange wir russisches Erdgas brauchen, sind wir abhängig und erpressbar", sagte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. "Russland schürt ganz bewusst Unsicherheit in Europa. So treibt Putin die Gaspreise".

Szenario Lieferstopp

Vorläufig sind diese leicht gefallen, von 160 auf 150 Euro pro Megawattstunde. Das ist aber immer noch das Vielfache eines langjährigen Durchschnittswertes, der im Sommer unter 20 Euro liegt. Sollte es zu einem Lieferstopp kommen, rechnet das Institut für Höhere Studien (IHS) damit, dass der Großhandelspreis am europäischen Spotmarkt auf 280 bis 300 Euro steigen könnte.

IHS-Interimschef Klaus Neusser empfiehlt jedenfalls, sich auf das Worst-Case-Szenario vorzubereiten. Die von der EU geforderte Einsparung von 15 Prozent des Gasverbrauchs zwischen August bis März hält er für realistisch machbar. Sollte das Gas aber tatsächlich abgedreht werden, geht das IHS davon aus, dass Österreich seinen Verbrauch um etwa ein Viertel senken müsste.

Gas-Lieferungen: Der "Worst Case" bleibt ein Szenario – vorläufig

Der größte Brocken wäre demnach in der Stromproduktion zu holen. Etwa ein Drittel des jährlichen Gasverbrauchs entfallen in Österreich auf Strom und Fernwärme. Mit einem Umstieg auf Öl könnte nach Schätzung des IHS etwa auf ein Drittel davon verzichtet werden. Bei den privaten Haushalten, auf die etwa 20 Prozent des jährlichen Verbrauchs entfallen, könnte etwa ein Fünftel eingespart werden.

Industrie

Am schwierigsten ist der Verzicht auf Gas laut dem IHS in der energieintensiven Industrie, die in Österreich etwa 40 Prozent des Gases verbraucht. Zwar wäre hier eine Reduktion um etwa ein Fünftel möglich. Dadurch würde aber die Produktion um etwa 13 Prozent einbrechen. Insgesamt würde sich ein Gas-Lieferstopp laut IHS mit einem Minus von drei Prozent im Bruttoinlandsprodukt 2023 niederschlagen.

Die Industriellenvereinigung (IV) liebäugelt angesichts der Unsicherheiten mit dem Thema Fracking. „Uns ist bewusst, dass das ein politisch sensibles Thema ist, aber was wir zumindest erwarten, ist, dass es mit Ernsthaftigkeit geprüft wird“, sagt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. OMV-Chef Alfred Stern hat dem Thema heuer bereits mehrfach eine Absage erteilt. In Anbetracht der langen Vorlaufzeiten und weil Österreich bis 2040 auf Gas als Energieträger verzichten will, blieben nur etwa zehn Jahre zur Nutzung – und das zahle sich nicht aus.

Kommentare