Brüssel will EU-Staaten im Notfall zum Gas-Sparen zwingen
Wie wird Europa durch den kommenden Winter kommen, wenn Russland dem Westen das Gas abdreht? Mittwochmittag stellte die EU-Kommission in Brüssel einen Notfallplan vor, wie auf die befürchteten Ausfälle bei Gaslieferungen reagiert werden kann. Der wohl strittigste Punkt dabei: Der Plan sieht im Ernstfall für die EU-Staaten zwingende Gasreduzierungen vor.
Das wird einige Länder stärker treffen als andere - und entsprechend viel Widerstand ist von Staaten wie etwa Ungarn und Polen zu erwarten. "Energie-Solidarität" sei das Gebot der Stunde, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. "Gemeinsam können wir diese künstlich von Russland geschaffene Krise meistern."
"Lieferstopp wahrscheinlich"
Von der Leyen hält einen kompletten Lieferstopp von Gas aus Russland in die Europäische Union für wahrscheinlich. „Wir müssen uns auf eine mögliche vollständige Unterbrechung der russischen Gasversorgung vorbereiten“, sagte die deutsche Politikerin in Brüssel. „Dies ist ein wahrscheinliches Szenario.“
Man habe schon in der Vergangenheit gesehen, dass Russland versuche, Druck auf die EU auszuüben, indem es die Gasversorgung reduziert. "Ein kompletter Lieferstopp würde alle EU-Staaten schwer treffen." Wirtschaftsforscher schätzen, dass das BIP der EU dann um 1,5 Prozent geringer ausfallen würde.
EU-Energiekommissarin Kadri Simson warnte: 30 Milliarden Kubikmeter Gas würden in einem milden Winter fehlen, bis zu 45 Milliarden Kubikmeter in einem harten Winter, wenn Russland die Gasversorgung völlig stoppt. Zum Vergleich: Österreich verbrauchte im Vorjahr 8,5 Milliarden Kubikmeter Gas.
Von August an bis Ende März will die EU deshalb 15 Prozent ihres bisherigen Gasverbrauches einsparen. Die Minus 15 Prozent beziehen sich auf den Durchschnittswert der vergangenen fünf Jahre jeweils von August bis Ende März. "Wir sagen den Staaten nicht, wie sie sparen sollen. Das wissen sie selbst an besten", sagte die Energie-Kommissarin aus Estland.
Zudem sind in den Vorgaben der Kommission auch Vorschläge zu finden, welche Industrie-Sektoren neben privaten Haushalten im Ernstfall noch mit Gas versorgt würden. Vor allem aber ruft die Brüsseler Behörde schon jetzt zum Energiesparen auf. Die Pläne im Konkreten:
Konsequenzen für Verbraucher:
Öffentliche Gebäude, Büros und kommerzielle Gebäude sollen bis maximal 19 Grad beheizt und mit Klimaanlagen auf nicht weniger als 25 Grad heruntergekühlt werden, sofern das technisch möglich ist. Generell werden aber alle Bürger zum Sparen von Energie aufgerufen.
Für den Fall einer Gasnotlage gibt bereits jetzt schon einheitliche Regeln in der EU: Diese sehen vor, welche Kunden in einem Ernstfall noch mit Gas versorgt werden sollen. Private Haushalte und wichtige soziale Dienste werden als "geschützte Verbraucher" besonders behandelt. Sie genießen eine besondere Stellung und ihnen kann von den Mitgliedsländern Vorrang eingeräumt werden.
Konsequenzen für Unternehmen:
Unternehmen sollen ihren Gasverbrauch jetzt schon reduzieren oder, wenn möglich, auf andere Energieträger umsteigen. Dafür könnten Firmen finanzielle Anreize erhalten. Bisher galt die Industrie in einem Notfall nicht als geschützter Verbraucher, ihre Versorgung würde im äußersten Fall eingestellt werden. Theoretisch müsste die deutsche Industrie Gas an Haushalte eines Nachbarlands wie Österreich abgeben, falls Österreich sich nicht mehr anders versorgen kann.
Umgekehrt würden deutsche Haushalte über die Industrie von Nachbarländern wie Österreich versorgt, wenn es zum Äußersten käme. Dies wäre der allerletzte Ausweg und würde wohl nur eintreten, wenn Gas in mehreren Ländern gleichzeitig knapp wird.
Aber schon jetzt gibt es EU-Staaten, die sich nicht an die Regeln halten wollen. So hat Ungarn in der Vorwoche einen Notstand ausgerufen und angekündigt, dass es ab August kein Gas und andere Energieträger mehr an andere EU-Länder liefern will. Die EU-Kommission untersucht diesen Schritt, Ungarn könnte neuerlich ein Vertragsverletzungsverfahren dafür ins Haus stehen.
Konsequenzen für EU-Länder:
Der Notfallplan sieht vorerst eine freiwillige Reduktion des Gasverbrauchs für alle Mitgliedstaaten
vor. Erst wenn Brüssel feststellt, dass die Staaten ihre Einsparziele nicht einhalten oder wenn die Versorgungslage noch schlechter wird, will die Kommission die Mitgliedstaaten dazu zwingen, entsprechend Gas einzusparen.
Damit soll in allen EU-Staaten die Versorgung von privaten Haushalten und anderen besonders zu schützenden Konsumenten - wie etwa Krankenhäusern – sicher gestellt werden..
Eine Voraussetzung für die Einführung von verpflichtenden Einsparzielen könnte laut Notfallplan sein, dass mindestens zwei EU-Staaten wegen einer Unterversorgung mit Gas akute Notsituationen befürchten. Insgesamt soll der Gasverbrauch bis zum nächsten Frühling um 15 Prozent gesenkt werden.
Die Solidarität zwischen den 27 Mitgliedsländern der EU wird damit auf die Probe gestellt. Es bleibt abzuwarten, ob im Falle einer Energierationierung, die die derzeitige Inflationsspirale weiter verschärfen würde, die Einheit aufrechterhalten werden kann
Bereits nächsten Dienstag sollen die EU-Energieminister in Brüssel die Verordnung annehmen. Umwelt- und Energieministerin Leonore Gewessler wird dabei sein. Der Notfall-Plan braucht eine qualifizierte Mehrheit der Minister. Das bedeutet: 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die zusammen 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, müssen zustimmen.
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