Zwischen "Exit-Welle" und großer Sorge: Was Experten zu Omikron sagen
In den nächsten Wochen ist ein steiler Anstieg der Infektionszahlen zu warten – darüber sind sich alle Experten einig. Danach aber, und darin stimmen auch fast alle überein, gebe es möglicherweise endlich Grund zu hoffen.
Welcher Experte sieht welche Probleme kommen und was ist zu erwarten – der KURIER fasst die wichtigsten Aussagen der vergangenen Tage zusammen.
Der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, sieht in Deutschland ein "Spezialproblem" - und das gilt auch für Österreich - nämlich das der vielen Ungeimpften. "Wegen der schnellen Verbreitung von Omikron mit einer Verdoppelung der Neuinfektionen etwa alle vier Tage wird es jetzt für Menschen, die noch nicht geimpft oder genesen seien, richtig gefährlich", warnte Drosten in einem Interview mit dem ZDF. Um diese Gruppe müsse man sich nun Sorgen machen. Und diese Sorge, so Drosten weiter "wird auch in Teilen das politische Handeln mitbestimmen".
Mindestens bis Ostern werde die Situation in Europa "politisch moderiert" werden müssen. Dabei müsse jedes Land schauen, "welche Spezialprobleme es hat und wie die Infektionen verlaufen". Erleichterung könnte es nach Erwartung des Virologen aber dann im zweiten Quartal des Jahres geben: Dann werde es dann wärmer werden und die Impfstoffe würden ein Update erhalten. Experte Drosten rät, dass sich jeder Erwachsene nochmals eine an die Omikron-Variante angepasste Impfung geben lassen sollte.
Die Epidemiologin Eva Schernhammer hält es durchaus für möglich, dass Österreich heuer in die "endemische Phase" kommt. Dabei würde das Virus zu einem Begleiter der Menschen, ähnlich wie die saisonalen Influenza-Wellen.
Noch sei es für eine Vorhersage zu früh. Erst wenn zu sehen sei, dass die Zahlen der Spitalsaufnahmen nicht stark steigen und die Immunitätslage in der Bevölkerung schon gut sei, „können wir möglicherweise anfangen darüber nachzudenken, wie wir 2022 mit einer solchen endemischen Situation umgehen werden", sagte sie zum KURIER.
Generell sei Österreich durch den hohen Anteil der Booster-Impfungen (40 Prozent) und zahlreiche Infektionen in der Delta-Welle ganz gut aufgestellt.
"Möglicherweise sind wir im Herbst schon in einer Situation, in der der Umgang mit Corona in die Selbstverantwortung übergeht, so wie bei der Grippe: Jeder der will, kann seinen Impfstatus auffrischen lassen und es besteht keine Gefahr mehr, dass die Spitäler überlastet werden."
"Exit-Welle"
„Dieses Virus könnte unsere Exit-Welle und das 'Ticket' in die endemische Situation werden", twitterte auch die Virologin Isabella Eckerle von der Universität Genf im Hinblick auf Omikron.
Der Mikrobiologe Ulrich Elling zählt zu den profundesten Corona-Experten. Was wir nun mit Omikron erleben, sagt er im Interview mit dem KURIER, sei „die Pandemie im Zeitraffer. Die Ansteckungen passierten viel schneller. Notwendig sei daher: „Bei der Dynamik, die Omikron entfaltet, müssen wir mehr denn je bremsen, bevor es zu spät ist. Die gute Nachricht: Omikron spricht bei einer Bremsung viel schneller an als Delta."
Elling warnt eindringlich: Sollte die Entscheidung hinausgeschoben werden, drohe eine Durchseuchung. "Wenn wir Omikron durchlaufen lassen, dann werden wir im Messezentrum Feldbetten aufstellen müssen, um alle, die parallel krank sind, zu versorgen, auch wenn die Hospitalisierung im Vergleich zur Inzidenz niedriger ist als bei Delta." Der Corona-Experte fordert daher: "Die Strategie muss jetzt definiert werden, bevor wir wohl im Jänner noch die 50.000-er-Marke knacken."
Der Wiener Infektiologe Christoph Wenisch bezeichnete Omikron im KURIER-Interview am 25. Dezember als eine Art „Weihnachtsgeschenk“. Denn die Corona-Variante zwinge uns rasch umzudenken lassen und Maßnahmen neu zu bewerten – etwa ob man mit Schnupfen in die Quarantäne müsse. Wenn das Virus leichter übertragbar sei, werde es weniger virulent. Dass damit das Virus besiegt sei, weit Wenisch allerdings zurück: „Das geht nicht mehr weg, das Virus müssen wir ertragen.“
Der Epidemiologe Gerald Gartlehner geht davon aus, dass sich nahezu alle Menschen, die derzeit noch vollkommen ohne Immunität sind, mit Omikron infizieren werden. „Die Omikron-Welle könnte sogar zum Überdenken der geplanten Impfpflicht führen“, sagte er gegenüber der Presse, „weil wir danach einen sehr hohen Anteil an immunen Menschen haben werden.“
Zu einer Herdenimmunität werde es aber dennoch nicht kommen. Denn sowohl Geimpfte als auch Genesene könnten das Virus weitergeben. Eine Infektion bzw. Impfung werde also nicht zur sterilen Immunität führen.
Gartlehner rät zu mehr Flexibilität, etwa zu einer Verkürzung der Quarantäne für positiv Getestete sowie für ihre engen Kontaktpersonen. „Dreifach Geimpfte sollten ohnehin automatisch zu Kontaktpersonen der Kategorie zwei herabgestuft und damit von der Quarantäne befreit werden“, schlägt er Epidemiologe vor.
Die Frage, ob es nach Omikron zu weiteren Varianten kommen wird, beantwortet der Pharmakologe Markus Zeitlinger gegenüber der Krone mit einem klaren „Ja. Die Hoffnung ist, dass sie harmloser werden.
Auch der Komplexitätsforscher Peter Klimek sieht neuen Varianten kommen. Aber: „Wenn der Immunschutz nur ein bisschen überwunden werden kann, wird eine solche Variante einen großen Vorteil haben und sich eher durchsetzen können.“
Dazu der Public Health-Experte Hans-Peter Hutter: „Es liegt im Wesen eines solchen Virus, dass es sich besser an den Wirt, also an uns, anpasst. Die humanistische Bildung kommt zum Zug: Das griechische Alphabet kennen dann alle.“
Und der Infektiologe Florian Thalhammer geht ebenfalls davon aus, „dass weitere Mutationen auftreten werden. Alles ist möglich, und nicht alle werden sich durchsetzen. Im Langzeitverlauf werden diese „harmloser“ werden.
Für die USA rechnet indessen US-Top-Infektiologe Anthony Fauci damit, dass in der Höhepunkt der Omikron-Welle in den Vereinigten Staaten bereits bis Ende Jänner erreicht sein wird.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt einerseits vor dem gleichzeitigen Auftreten von Omikron und Delta. Andererseits, so die Hoffnung, könnte die Pandemie zumindest mit ihren schweren Verläufen heuer auslaufen.
Allerdings müsste es dafür gelingen, dass bis zur Jahresmitte in jedem Land mindestens 70 Prozent der Bevölkerung geimpft seien. "Wir können die Phase der Hospitalisierungen und des Todes zu einem Ende bringen", sagt WHO-Experte Mike Ryan.
Noch optimistischer gibt sich der Epidemiologie Ivo Müller vom Forschungsinstitut Wehi in Melbourne, Australien: 2022 werde "den Anfang des Endes der Pandemie bringen", sagte der gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Trotz des Rückschlags, den die Welt derzeit durch die Omikron-Variante erlebt, ist der Epidemiologe zuversichtlich, dass 2022 die Trendwende einleiten werde.
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