Vom Kanzleramt auf die Abgeordnetenbank
Er hatte einen Masterplan fürs Kanzleramt, aber er sah sich definitiv nie im Parlament. Um Punkt 9 Uhr, heute Donnerstag, wird Sebastian Kurz diesen ungeliebten Weg einschlagen müssen. Ein Karriereknick, den er sich wahrscheinlich nie hätte vorstellen können.
Mit den Worten „Ich gelobe“ wird der Ex-Kanzler sein Gelöbnis als neuer Nationalrat vor Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka leisten.
Heute Früh hat sich Kurz mit einer Videobotschaft gemeldet.
Viele Telefonate
Während der neue Kanzler Alexander Schallenberg nach Brüssel jettet, muss Kurz nun die harte und wenig glamouröse Abgeordnetenbank drücken – in den verbalen Infight mit den anderen Parteichefs gehen, während Schallenberg mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen parlieren kann.
Aus dem Umfeld von Kurz hört man, der neue ÖVP-Klubobmann sei „kampfeslustig“.
In den vergangenen 72 Stunden hat Kurz sein neues Büro in der ÖVP-Zentrale in der Lichtenfelsgasse bezogen. Seine erste Mission: die Reihen hinter sich wieder schließen. Denn in den vergangenen Tagen bröckelte vor allem in den Bundesländern die bedingungslose Unterstützung für den Ex-Kanzler. Kurz soll Dienstag und Mittwoch stundenlang mit den Landeschefs und hohen ÖVP-Funktionären in den Ländern telefoniert haben.
Heute um 8.00 Uhr gibt es eine kurze Teambesprechung in der ÖVP-Bundesparteizentrale, bevor Kurz in Richtung Parlament aufbricht.
Wetten laufen
Nicht mehr das ehrwürdige Kreisky-Zimmer im Bundeskanzleramt ist dann sein offizieller Arbeitsplatz, sondern die erste Abgeordnetenreihe in der Hofburg. „Das wird eine ganz schwierige Situation, weil die Demütigung, vis-à-vis von der Regierungsbank sitzen zu müssen, groß ist. Früher galt er für die ÖVPler als unverwundbar, jetzt ist er einer unter 183 Abgeordneten. Das wird ganz schwer zu akzeptieren sein – für die gesamte ÖVP“, analysiert Politikberater Thomas Hofer.
Sein neuer Sitznachbar ist August Wöginger, der die undankbare Aufgabe übernommen hat, Kurz alle geschäftsführenden Agenden als Klubobmann abzunehmen.
Schon der Start wird bitter: Als Willkommensgeschenk der Opposition wird gleich ein ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss ins Leben gerufen, der ausschließlich die Ära Kurz untersuchen wird.
Ob Kurz ein Revival im Kanzleramt schafft, oder ob heute ein Rücktritt auf Raten beginnt, dafür laufen Wetten im Hohen Haus. Die Türkisen geben sich optimistisch, dass Kurz das Unmögliche schaffen wird. „Er ist ein homo politicus. Er gibt nicht auf“, so ein Vertrauter des ÖVP-Chefs. Die Opposition hofft, dass Kurz das Handtuch werfen wird.
Immunität aufheben
Maßgeblich für die Zukunft von Kurz wird auch das Agieren der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sein. Wie schnell wird diese die Vorwürfe der Inseratenkorruption aufklären können? Ziehen sich die Ermittlungen in die Länge, sinken die Kurz’schen Chancen auf ein Revival im Bundeskanzleramt.
Der erste Schritt zur Aufklärung ist die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Kurz. Nicht er kann das in die Wege leiten, sondern die WKStA muss ein Ansuchen einbringen. „Auch wenn die Tat vor seiner Tätigkeit als Abgeordneter passiert ist, muss ein Antrag auf Auslieferung gestellt werden. Die Immunität wird nur für diesen einen Sachverhalt aufgehoben. Taucht ein neuer Sachverhalt gegen Kurz auf, dann müsste wieder ein Antrag von der WKStA gestellt werden“, erklärt FPÖ-Mandatar Christian Ragger, Mitglied des Immunitätsausschusses im Parlament.
Bis das passiert ist, stoppen die Ermittlungen. Eine kurze Verschnaufpause – mehr aber auch nicht.
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