Türkis-Grün in der Bundesregierung? Ein Gedankenexperiment

Wener Kogler und Sebastian Kurz
Eine Mehrheit der beiden großen Sieger am Wahlabend ginge sich theoretisch aus – entscheidend sind aber Inhalte und Sympathie. Der KURIER analysiert, wie die Chancen stehen.

Pausenlos läuten bei den Grünen seit Sonntagnacht die Handys. Das Comeback im Nationalrat ist gelungen – mit 13,80 Prozent qualifizieren sie sich zudem als Partner in einer Zweierkoalition mit der ÖVP.

Das machte britische, französische, italienische und mehrere deutsche Medien neugierig. Sogar die US-amerikanische New York Times wagte eine Analyse zur Option Türkis-Grün.

Viele Österreicher, so die Zeitung, hätten die Grünen gewählt, weil sie ÖVP-Chef Sebastian Kurz nicht schätzen – daher dürften die Verhandlungen der beiden Parteien langwierig und schwierig werden. Mit den Grünen zusammenzugehen wäre für Kurz wegen der vielen jungen Wähler zwar attraktiv, inhaltlich gebe es aber große Unterschiede, so der Befund der NYT.

Da wird es tatsächlich knifflig.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz signalisierte in TV-Konfrontationen mit Grün-Chef Kogler zwar, dass es abseits der Asylthematik für ihn kaum gröbere Differenzen gibt, in der KURIER-Elefantenrunde meinte er aber, er wünsche sich eine „Mitte-Rechts-Regierung“.

Der Ex-Kanzler, frisch getrennt von den Blauen, müsste schon eine „180-Grad-Wende“ hinlegen, meinte die Grüne Sigi Maurer schon am Wahlabend. Und Parteichef Werner Kogler nannte Kurz und die Türkisen spöttisch „Kanzlerdarsteller und seine Sektenanhänger“.

Der KURIER wagt ein Gedankenexperiment: Könnten ÖVP und Grüne auf einen Nenner kommen? Hier die fünf wichtigsten Themen:

1. Klimapolitik

Ganz oben auf der Agenda der Grünen steht eine „umfassende ökosoziale Steuerreform“, die aufkommensneutral sein soll – Klimaschädliches würde stärker besteuert (etwa durch eine -Steuer) und Klimafreundliches soll belohnt werden (durch günstigere Öffis).

Die ÖVP, die strikt gegen neue Steuern ist, ist mehr als skeptisch: Wird Treibstoff teurer, treffe das Pendler und sozial Schwache. Das türkise Programm sieht keine ökosoziale Steuerreform vor, enthalte aber „zahlreiche ökologische Elemente“, hieß es zuletzt.

Noch ein Knackpunkt: Die Grünen sind gegen den Ausbau von Autobahnen.

2. Migration

Die ÖVP ist für stärkeren Außengrenzschutz und eine restriktive Asylpolitik – damit war sie mit dem früheren Partner FPÖ auf einer Wellenlänge. Die Grünen sprechen sich hingegen für einen menschlicheren Zugang aus. Fluchtursache Nummer eins sei der Klimawandel – und den müsse man entschärfen.

Es gibt Hoffnung auf Konsens – wenn auch nur leise: Kurz wurde als Integrationsstaatssekretär von vielen als konstruktiv geschätzt – mit „diesem Kurz“ könnten die Grünen etwas anfangen, hieß es in Gesprächen unter Funktionären am Wahlabend.

3. Transparenz

Als „erste Amtshandlung“ kündigte Grünen-Chef Kogler noch am Wahlabend ein „strenges Transparenz- und Anti-Korruptionsgesetz“ an – und ist skeptisch, dass die ÖVP da mitgeht. Das neue Parteienfinanzierungsgesetz haben die Türkisen im Nationalrat jedenfalls nicht mitgetragen; beschlossen wurde es von SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt.

Die ÖVP ist zudem immer wieder wegen Großspendern in der Kritik – zuletzt wegen Milliardärin Heidi Horten, die in Tranchen 49.000 Euro spendete und damit die Meldepflicht beim Rechnungshof umging. Das prangerte Grünen-Chef Kogler im Wahlkampf immer wieder an.

4. Arbeit und Soziales

Die Grünen wollen eine „solidarische Gesellschaft“, und die ÖVP war zuletzt – vor allem im Integrationsbereich – restriktiv. Eines der Herzstücke von Türkis-Blau war die neue Mindestsicherung, die etwa Staffelungen für kinderreiche Haushalte vorsieht. Das ist etwa ein Punkt, der zurückgenommen werden müsste, tönt es schon jetzt aus der Grünen Partei.

Laute Stimmen gibt es auch gegen den 12-Stunden-Tag – noch so ein Prestigeprojekt von ÖVP-FPÖ.

Einig sind sich ÖVP und Grüne, dass die Abgaben auf Arbeit gesenkt werden sollen.

5. Bildung

Bei der Bildung scheitert es an grundsätzlichen ideologischen Fragen: Die ÖVP will Lehrern mehr Autorität verleihen, pocht auf Leistung und will das Modell Gymnasium beibehalten.

Die Grünen wollen eine Gemeinsame Schule („kein Kind zurücklassen“), weg vom „reinen Prüfungswissen“ und hin zu mehr Grundwissen und sozialen Fähigkeiten. Ob die Türkisen bei diesem „soften“ Kurs mitkönnen, ist mehr als fraglich.

Und was, wenn's klappt?

Sollten sich Grüne und ÖVP einigen, wird es noch einmal kompliziert: Die Grünen müssten ein etwaiges Regierungsprogramm mit einfacher Mehrheit von rund 200 Delegierten der Bundesversammlung absegnen lassen – und die Delegierten sind teils extrem Kurz-kritisch.

Auch eine Ministerliste müsste dort durchgewunken werden – mit einer Parität zwischen Männern und Frauen.

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