Schmutzkübel-Kampagnen blieben bis dato aus – dafür hat sich eine Partei ein Eigentor geschossen. Welches Thema plötzlich Hochkonjunktur hat und was noch passieren könnte.
Was hat überrascht, wer blieb unter den Erwartungen und welche Chancen können sich die Kleinparteien eine Woche vor der Nationalratswahl am 29. September ausrechnen. Eine Annäherung.
#Weitgehend skandalfrei
Nachdem kurz vor der EU-Wahl der fragwürdige Umgang der grünen Spitzenkandidatin Lena Schilling mit der Wahrheit bekannt wird, befürchten viele Parteiapparate, dass auch der Nationalratswahlkampf von vergleichbaren Affären geprägt sein könnte. Doch „Dossiers“ über Spitzenkandidaten oder „Dirty Campaigning“, also das Verunglimpfen von Politikern auf persönlicher und privater Ebene, ist bisher ausgeblieben.
Die wenigen Anläufe, einzelnen Politiker gezielt zu beschädigen, bleiben im überschaubaren Rahmen. In einem vor wenigen Tagen erschienenen Buch kritisiert Franz Schabhüttl, ehemaliger Leiter des Flüchtlingslagers in Traiskirchen, den dortigen Bürgermeister und SPÖ-Chef Andreas Babler scharf. Sollte die eine oder andere Partei jetzt noch allfällig vorhandenes kompromittierendes Material über Mitbewerber ausspielen wollen, dann wird sich das laut Meinungsforschern nicht mehr maßgeblich auf den Wahlausgang auswirken. Zur Erinnerung: Bei der EU-Wahl 2019 erhält Heinz-Christian Strache nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos 45.000 Vorzugsstimmen, nimmt aber das Mandat nicht an.
#Wenig Bewegung in den Umfragen
Auch wenn der Wahlkampf hochwasserbedingt kurz Pause macht: Einmal mehr ist er auch diesmal eine mediale Materialschlacht, was sich an den zahllosen Interview-Formaten und TV-Duellen auf den diversen Kanälen festmachen lässt. Die Wählerschaft scheint die Menge an Polit-Informationen allerdings wenig zu beeinflussen: Spätestens seit Juni ist das Kräfteverhältnis laut Umfragen weitestgehend festgefahren, die Verschiebungen sind minimal. Immerhin: Im Kampf um Platz eins zwischen FPÖ und ÖVP könnte es dadurch noch knapp werden. Ebenso das grün-pinke Duell um Platz vier. Spannend wird außerdem, ob die Bierpartei den Einzug in den Nationalrat schafft.
Glaubt man den Experten, liegt inzwischen der Anteil der unentschlossenen Wähler in diesem Wahlkampf nur mehr bei 15 bis 20 Prozent. Das könnte damit zu tun haben, dass sich das Land durch die EU-Wahl seit dem Frühjahr de facto in einem einzigen, überlangen Wahlkampf befindet. Vielleicht wurden aber wieder einmal die Umfragen falsch bewertet – und die wirkliche Überraschung wartet noch am Wahlabend.
Die Zahl der Asylanträge sinkt in ganz Europa – so auch in Österreich – kontinuierlich. Dafür beherrschen seit Monaten andere Zahlen die Schlagzeilen und damit auch den Nationalratswahlkampf: Österreich befindet sich in einer Rezession, die Arbeitslosenzahlen steigen, die Wachstumsprognosen sinken und die Programme der Parteien legen darob verstärkt Augenmerk auf wirtschaftliche Agenden. Dabei fällt auf, dass die Wirtschaftskapitel der ÖVP („Österreichplan“) und der FPÖ ( „Festung Österreich. Festung der Freiheit“-Wahlprogramm) nahezu deckungsgleich sind.
Bis auf die SPÖ will keine Partei neue Steuern einführen, um die Staatsverschuldung – sie liegt über 3 Prozent des BIP und damit über den Maastricht-Kriterien – zu reduzieren. Die Neos werben als einzige dezidiert für eine Pensionsreform.
#SPÖ-Querelen
Dass es Andreas Babler mehr als ein Jahr nach seiner Wahl zum SPÖ-Bundesparteivorsitzenden immer noch nicht gelungen ist, die Partei hinter sich zu vereinen, ist für jeden Beobachter offenkundig. Dass es die SPÖ jedoch nicht schafft, wenigstens während des Wahlkampfs ihre internen Querelen abzustellen, um sich ganz dem Wettlauf mit ÖVP und FPÖ widmen zu können, überrascht dann doch.
Tiefpunkt: Ein internes Papier, in dem ausgerechnet seine Stellvertreterin Doris Bures, Zweite Nationalratspräsidentin, harsche Kritik an Bablers Wahlprogramm übt, wird Ende August von einem Genossen aus dem Parteivorstand an die Medien gespielt. Statt seine Inhalte unters Wahlvolk bringen zu können, muss Babler erklären, warum es nach wie vor so viel internen Widerstand gegen ihn als Parteichef gibt.
#ÖVP-Paradox
Spätestens seit der EU-Wahl überrascht die ÖVP mit einem bemerkenswerten Rezept: Trotz schwerster Verluste feiert sich die Volkspartei im Frühjahr wie einen Wahlsieger, hatte man doch im Vorfeld der Wahl befürchtet, sogar hinter die SPÖ auf Platz drei zurückzufallen. Ein Ergebnis, mit dem man seinen Funktionären sogar halbwegs glaubhaft vermitteln kann, bei der Nationalratswahl sei (bei allen Einbußen) sogar noch Platz eins drinnen. Laut Umfragen ist das im Endspurt nicht ausgeschlossen.
Und selbst wenn die Türkisen das Ziel verfehlen und nur auf Platz zwei landen, wird es auch an diesem Wahlabend in der Parteizentrale nicht allzu lange Gesichter geben: Im Koalitionspoker hat man schließlich auch als Zweiter die besten Karten. Denn anders als die SPÖ hält man sich die Option einer Koalition mit der FPÖ offen.
#Blaue Kursänderung
Es ist nicht allzu lange her, da gehen die Freiheitlichen als „Soziale Heimatpartei“ auf Stimmenfang. Die Stoßrichtung damals ist klar: Als selbst ernannter Vertreter des „kleinen Mannes“ will man tief in den Gefilden der Sozialdemokratie wildern. In diesem Wahlkampf ist kaum mehr die Rede mehr davon. Wirtschaftspolitisch schlägt Parteichef Herbert Kickl Töne an, die eins zu eins aus der ÖVP-Parteizentrale stammen könnten: Von „Leistung“ und „Eigentum“ ist da ständig die Rede, neue Steuern sind trotz des klaffenden Budgetlochs ausgeschlossen.
Eine der Ideen dahinter: Die FPÖ besetzt neben der Migration ein zweites Thema und die ÖVP-Führung soll in Erklärungsnotstand gebracht werden, sollte sie nach der Wahl trotz der inhaltlichen Übereinstimmungen eine Koalition mit der FPÖ verweigern.
#4-Prozent-Hürde
Sein „Menü“ (Programm) als Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl 2022 schmeckt 8,3 Prozent der Wahlberechtigten – als Spitzenkandidat der Bierpartei hinterlässt Dominik Wlazny bei immer mehr potenziellen Sympathisanten einen schalen Nachgeschmack.
Der Mediziner, der die klassischen Medien meidet, könnte entgegen früherer Umfragen an der notwendigen Hürde, um in den Nationalrat einzuziehen – 4 Prozent der Stimmen – scheitern. Noch weniger Zustimmung wird laut Meinungsforschern am 29. September den anderen Kleinparteien zuteil. Die in Graz und Salzburg erfolgreiche KPÖ liegt in den derzeitigen Umfragen bei nur über 2 Prozent, der Liste Madeleine Petrovic und der Partei „Keine von denen“ werden ein Prozent der Stimmen und weniger vorhergesagt.
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