Schallenberg: "Reisewarnung gleicht kalter Dusche"
Österreich stuft Spanien nach wie vor mit Reisewarnstufe 4 ein, in Dänemark gilt Österreich, in Deutschland Wien als Risikogebiet, ist das die "neue Normalität“?
Alexander Schallenberg: Ich hoffe nicht, aber die Reisewarnungen sind notwendig, weil wir es in einer ganzen Reihe von europäischen Staaten mit einer Situation zu tun haben, die für eine zweite Welle spricht. Es bleibt dabei, was ich schon seit Wochen und Monaten sage: Jede Reise ist mit einem Restrisiko versehen.
Im Umkehrschluss: Wird auch Österreich einzelne Länder wieder auf eine höhere Reisewarnstufe setzen?
Das ist durchaus möglich. Wir überprüfen die Infektionszahlen laufend. Die Entwicklung, die wir in Österreich sehen, beobachten wir verstärkt auch in anderen Ländern. Reisewarnungen könnte es wohl auch in nächster Zeit geben. Die Reisewarnung, die uns gegenüber ausgesprochen wird, gleicht vielleicht einer kalten Dusche, sie kann aber auch als Weckruf gesehen werden. Wir müssen alle im privaten wie beruflichen Bereich wieder Disziplin zeigen, denn wir müssen gemeinsam alles dafür tun, einen zweiten Lockdown auf dem europäischen Kontinent zu verhindern.
Viele Pflegekräfte stammen aus Bulgarien und Rumänien – sind hier weitere Reiserestriktionen zu befürchten zum Leidwesen der zu Pflegenden?
Unsere Politik war immer: Unsere Grenzen sind nicht ganz zu. Das heißt: Transit, Pendler und Güterverkehr waren immer zugelassen. Wir machen stets alles, was notwendig ist, um höchstmöglichen Schutz zu gewährleisten, ohne dabei die Wirtschaft zum Erliegen zu bringen. Gerade erst diese Woche habe ich mit den Außenministern der Central Five (Tschechien, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Österreich; Anm.) besprochen, dass sich die Erfahrungen von März und April nicht wiederholen dürfen und die Diskussionen über Pendler, Erntehelfer und Pflegekräfte nicht mehr von vorne beginnen dürfen.
Deutschlands Innenminister Horst Seehofer ist „von Österreich enttäuscht“. Politische Beobachter mutmaßen, dass Deutschlands Einstufung von Wien als Risikogebiet eine Retourkutsche für Österreichs Verhalten in der Migrationsfrage und punkto Zahlungsmoral – Stichwort „sparsame Vier“ – ist. Geht diese Interpretation fehl?
Das ist ein euphemistischer Ausdruck. Nichts liegt ferner der Realität als diese Interpretation. Sie ist völlig an den Haaren herbeigezogen, entspricht vielleicht dem Wunschdenken einiger.
Sie mussten eine Griechenland-Reise wegen eines Covid-Falles absagen. Wird sie nachgeholt?
Jedenfalls – ich bedauere diese kurzfristige Absage sehr. Die Situation im östlichen Mittelmeer bleibt eine angespannte, um nicht zu sagen explosive. Wir werden uns am Montag im Rat der Außenminister genau damit auseinandersetzen. Es ist wichtig, dass wir in dieser Situation, die letztlich nur am Verhandlungstisch gelöst werden kann, die größtmögliche Solidarität zeigen mit Griechenland und Zypern. Es geht nicht an, dass man mit Kriegsschiffen versucht, Fakten im östlichen Mittelmeer zu schaffen.
Themenwechsel zu Moria und der Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen. Dass Sie bei der Verteilung von „Geschrei“ gesprochen haben, gereichte zur Schlagzeile. Bereuen Sie den Satz?
Wir sollten uns weniger mit semantischen Fragen aufhalten und mehr versuchen, das Maximum zu tun, um den Menschen zu helfen. Für mich ist entscheiden, dass Österreich immer solidarisch war, ist und bleiben wird. Wir helfen konkret. Innenminister Nehammer war diese Woche in Griechenland mit 55 Tonnen Hilfsgütern – beheizbare Zelte für 2.000 Menschen, Decken, Matratzen, Hygienepakete und so weiter. Das ist konkrete Hilfe, wie wir sie verstehen. Anstatt uns weiter über eine Verteilung zu unterhalten, sollten wir genau solche Maßnahmen setzen, die konkret und vor Ort die Lebensumstände der Betroffenen verbessern.
Ist eine Allianz von EU-Staaten denkbar, die keine Flüchtlinge aufnehmen – analog zu den „sparsamen Vier“?
In der nationalen Debatte wird vollkommen ausgeblendet, dass eine Mehrheit der Staaten, zu denen auch Dänemark oder Schweden zählt, genauso agiert wie wir und nur eine Minderheit der Staaten eine Diskussion über die Aufnahme von Migranten führt. Ein Blick über den Tellerrand schadet in der hiesigen Diskussion nicht.
Sie treffen am Montag auf Ihre Amtskollegen in Brüssel, am Mittwoch berät die EU über den Migrationspakt. Was kann, was muss dort endlich entschieden werden?
Wir haben sehr viele Themen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft und potenzielle Brandherde, die in der kommenden Woche ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Da ist beispielsweise eine sehr angespannte Situation zwischen der Türkei und den EU-Staaten Griechenland und Zypern. Hier muss unsere Zielrichtung sein, dass das östliche Mittelmeer nicht zur südchinesischen See wird. Wir haben zudem die schwierige Situation mit Russland nach dem Giftanschlag gegen Nawalny und die Entwicklung in Belarus.
Aber zurück zum Migrationspakt …
Ich erwarte kommende Woche noch keine Entscheidungen. Wichtig ist, dass die Kommission Ende des Monats einen neuen Vorschlag zur Migrations- und Asylpolitik vorlegen wird. Uns muss allen bewusst sein: Wenn wir eine Migrations- und Asylpolitik wollen, die den Namen verdient, dann werden wir nicht vom Fleck kommen, wenn wir immer nur Teilbereiche behandeln. Es bedarf eines holistischen Ansatzes, der sowohl die Beziehungen zu Drittstaaten einbezieht als auch den Außengrenzschutz. Nur dann werden wir zu einer Lösung kommen. Wir waren in der Vergangenheit schon sehr weit, und deshalb bin ich guter Dinge, dass der Kommissionsvorschlag einer ist, der als Diskussionsgrundlage geeignet sein wird.
Die Bundesregierung hat mit der AUA die größte Repatriierung der Zweiten Republik bewerkstelligt. Wie viel hat diese einmalige Aktion im Frühjahr gekostet? Kolportiert wurden sechs Millionen Euro.
Die endgültigen Kosten liegen noch nicht vor. Der Grund ist, dass wir für einen Teil der Flüge eine Kofinanzierung der EU beantragt haben. Die reicht bis zu 75 Prozent. Diese Abrechnung steht noch aus. Solange die Rückmeldung aus Brüssel noch nicht vorliegt, kann ich keine seriöse Zahl nennen.
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