Renaturierung als Problem? Was das neue EU-Gesetz für Österreichs Bauern bedeutet
„Das EU-Renaturierungsgesetz ist jetzt da, und uns fragen immer mehr Landwirte, was das für sie heißt“, sagt Wolfgang Suske. Er leitet ein Büro für Naturschutz und ländliche Entwicklung und startete noch im Mai eine Petition für das Renaturierungsgesetz.
Mittwochabend ab 19:30 Uhr werden er und Experten für Naturschutz, Insekten, Gewässer, Moore und Wälder in einer zweistündigen Online-Diskussion (Den Link dazu finden Sie hier) erklären, worum es konkret geht – und dabei auch Fragen der Zuseher beantworten. Zugesagt haben neben Initiator Wolfgang Suske: Thomas Zuna-Kratky, Experte für Insekten und Vögel; Sarah Höfler, Expertin für Gewässerschutz; Christian Schröck, Experte für Moorschutz; Horst Leitner, Experte für Waldökosysteme; Thomas Ellmauer, EU-Naturschutzexperte und Angelika Rubin von der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission.
Der KURIER hat mit den Experten in diesem Artikel folgende Fragen vorab klären können:
- Hat die Renaturierung Einfluss auf den Bodenverbrauch, bei dem es ja noch immer kein Limit gibt?
- Was sagt das Gesetz, oder die Verordnung über die Wiederherstellung der Natur, konkret?
- Muss die Natur in einen "natürlichen Zustand" zurückversetzt werden?
- Wird das Gesetz ein Bürokratiemonster?
- Wie werden wir merken, dass das Renaturierungsgesetz unser Land verändert?
- Müssen tatsächlich 20% der Wälder und der landwirtschaftlichen Flächen stillgelegt werden?
- Was bedeutet es, dass der Feldvogelindex gemäß dem Gesetz steigen soll?
- Müssen wegen dem Gesetz Flüsse in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden?
- Was hat für eine Bedeutung ein wiedervernässtes Moor für die Gesellschaft?
- Was passiert, wenn Österreich die Ziele des Gesetzes nicht erreicht?
Hat die Renaturierung Einfluss auf den Bodenverbrauch, bei dem es ja noch immer kein Limit gibt?
Die Wiederherstellungsverordnung der EU macht keine Vorgaben zum Bodenverbrauch. Allerdings sind in den Wiederherstellungsplänen Maßnahmen zur Sicherung oder Wiederherstellung von Flächen für die Natur vorzusehen, die in Konkurrenz mit anderen Bodennutzungsinteressen treten können. Um der EU-Verordnung gerecht zu werden, steigt daher die Notwendigkeit, den Bodenverbrauch – insbesondere in städtischen Ökosystemen - zu limitieren.
Was sagt das Gesetz, oder die Verordnung über die Wiederherstellung der Natur, konkret?
„Mit dem Renaturierungsgesetz sind alle EU-Staaten verpflichtet, in vorgegebenen Zeiträumen beschädigte, für uns wichtige Ökosysteme zu reparieren. Dazu zählen Moore, Trockenrasen, Feuchtlebensräume, Auenwälder oder auch städtische Grünflächen. Auch die Lebensräume für Insekten oder Vögel sollen verbessert werden. Es geht im Gesetz nicht darum, die Natur in einen Zustand wie vor 50, 70 oder 100 Jahren zurückzuführen, sondern es geht um die Gesundung unserer heutigen Kulturlandschaft. Das Gesetz ist im Kern ergebnisorientiert gestaltet. Es verbietet oder beschränkt per se die Bewirtschaftung nicht, sondern gibt EU-weit ökologische Ziele vor. Damit ist jedes Mitgliedsland gleichbehandelt. Die Formulierungen im Gesetz sind so gewählt, dass die individuelle Ausgangssituation jedes Staates berücksichtigt wird. So heißt es z.B., dass bis 2030 ein positiver Trend bei Populationen der Bestäuber erreicht werden soll. Wenn dieser bereits besteht, dann hat das Land zumindest in diesem Bereich keinen Handlungsbedarf.“
Wolfgang Suske, EU-Naturschutzexperte
Muss die Natur in einen "natürlichen Zustand" zurückversetzt werden?
„Ziel der Verordnung ist es, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen in ausreichendem Umfang setzen, um degradierte Lebensräume wieder in einen guten Zustand zu bringen. Das bedeutet, das z.B. die charakteristische Artenzusammensetzung und andere wesentliche Merkmale der Lebensräume wieder vorhanden sind. Dabei geht es nicht nur um natürliche Lebensräume wie Feuchtgebiete oder Flüsse, sondern auch um bewirtschaftete Lebensräume wie z.B. Bergmähwiesen, die eine extensive Nutzung durch den Menschen durch Beweidung oder Mahd für ihren Fortbestand brauchen. Wiederherstellungsmaßnahmen können entweder bestehende Lebensräume verbessern oder auch dort wo Lebensraum in zu großem Ausmaß verloren gegangen ist, ihn neu etablieren und besser vernetzen. Ihren vollen Effekt erreichen solche Maßnahmen meist nicht sofort – je nach Lebensraumtyp und Grad der Degradierung kann das wenige Jahre bis mehrere Jahrzehnte dauern.“
Wolfgang Suske, EU-Naturschutzexperte
Wird das Gesetz ein Bürokratiemonster?
„Auch wenn wir es ungern hören: Bürokratie ist eine wesentliche Grundlage unserer Demokratie. Sie regelt Abläufe des Zusammenlebens, die für unsere Gesellschaft enorm wichtig sind. Wenn die Landwirtschaft den Nutztieren keine Ohrmarken gibt und nicht dokumentiert, wo die Tiere eingekauft oder wann sie geboren wurden, dann können wir das Fleisch im Supermarkt nicht zurückverfolgen. Der interessierte Konsument will das jedoch wissen. Und im Ernstfall – z.B. einer Seuche – ist diese Rückverfolgung lebenswichtig für uns alle. Bürokratie wird nur dann zum Monster, wenn sie sich sinnlos verselbstständigt.
Das Gesetz sieht außer der Erstellung von nationalen „Wiederherstellungsplänen“ durch die Behörden keine Bürokratie vor. Was wir aus dem Gesetz machen, liegt an uns. Österreich kann für viele Umsetzungen auf zahlreiche etablierte bestehende Verwaltungspraktiken wie z.B. das ÖPUL zurückgreifen.“
Wolfgang Suske, EU-Naturschutzexperte
Wie werden wir merken, dass das NRL (Renaturierungsgesetz ) unser Land verändert?
„Das Renaturierungsgesetz ist sehr langfristig angelegt, die zu erreichenden Ziele und damit die wiederhergestellten Landschaften werden erst in Jahrzehnten erfüllt sein. Die Anlage blütenreicher Biodiversitätsflächen sowohl im Acker- als auch im Grünland, wie sie schon jetzt in Österreich mit dem ÖPUL umgesetzt wird, ist vor allem zur Verbesserung des Vorkommens der Bestäuberpopulationen, aber auch zur Förderung der im Renaturierungsgesetz genannten Kulturlandvögel von besonderer Bedeutung. Wer mit offenen Augen durch die Feldlandschaft gegangen ist konnte diese "Blühstreifen" schon heuer vielerorts bemerken. Auch zahlreiche andere Maßnahmen, die unsere Kulturlandschaft wieder naturnäher machen und geschädigte Lebensräume wiederherstellen, sind in diesem Förderprogramm enthalten und werden bei entsprechender Beratung der Landwirte rasch sichtbar und erlebbar sein. Auch unsere Flusslandschaften und Feuchtgebiete werden in den nächsten Jahren sichtbare Veränderungen hin zu einem naturnäheren Zustand zeigen, denn ein verbesserter Wasserrückhalt in der Landschaft in Kombination mit einer Vernetzung der Gewässer durch Abbau von Barrieren ist eine Vorgabe des Renaturierungsgesetzes, die nicht nur für die Biodiversität von großer Bedeutung ist, sondern auch bereits zunehmend landesweit Berücksichtigung findet und an vielen Stellen mit vorbildlichen Renaturierungsprojekten an unseren Gewässern erlebt werden kann. Diese Maßnahmen werden in Zukunft vermehrt die Landschaft aufwerten und sichtbar verändern. Für die meisten Menschen am unmittelbarsten erlebbar sind wohl die Vorgaben zur "Wiederherstellung städtischer Lebensräume", die eine dauerhafte Sicherung und langfristige Ausweitung der Grünflächen in Siedlungsgebieten vorsehen und somit die Begrünung unserer unmittelbaren Wohnumgebung fördern werden.“
Thomas Zuna-Kratky, Biologe
Müssen tatsächlich 20% der Wälder und der landwirtschaftlichen Flächen stillgelegt werden?
"In der Verordnung wird keine Stilllegung von Flächen gefordert. In Artikel 1 wird davon gesprochen, dass bis zum Jahr 2030 auf mindestens 20 % der Meeres- und der Landflächen der Union, die einer Wiederherstellung bedürfen, diese auch eingeleitet wird. Als Wiederherstellung wird der Prozess verstanden, der durch aktive oder passive Unterstützung zur Erholung der Ökosysteme beiträgt.
Mit dem Gesetz sollen die Ökosystemfunktionen verbessert werden, um die biologische Vielfalt und die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. Für Wälder bedeutet dies, dass sie längere Trockenperioden, Stürme oder auch den Befall mit Borkenkäfer besser aushalten, ohne dabei zum Beispiel ihre gesamte Schutzwirkung zu verlieren. Für die Landwirtschaft bedeutet es, dass die Bestäubung der pflanzlichen Nahrungsmittel durch Insekten gesichert wird, indem man auf den Lebensraum und die Lebensweise dieser Tiergruppe Rücksicht nimmt.
Die Maßnahmen werden von den Mitgliedsstaaten in einem Maßnahmenplan festgelegt. Viele, Maßnahmen können aus bereits bestehenden Arbeiten der Ministerien, Kammern oder Forschungseinrichtungen übernommen werden. Im Wald sind das zum Beispiel die Erhöhung der Baumartenvielfalt, die Schaffung von ungleichaltrigen und dem Standort angepassten Wäldern, das Belassen von ausreichend Totholz, die Verbesserung der Wasserspeicherkapazität oder auch die Ausweisung von Naturwaldzellen.
In der Landwirtschaft können Blühstreifen und Hecken angelegt oder der Pestizideinsatz verringert werden. Entsprechende Förderschienen wurden in Österreich sowohl für den Wald als auch für die Landwirtschaft bereits etabliert.
Horst Leitner, Forstökologe
Was bedeutet es, dass der Feldvogelindex gemäß dem Gesetz steigen soll?
„Der Feldvogelindex ist ein Maß für den Bestand von Vogelarten, die typische Brutvögel der landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft sind. Beispiele dafür sind Feldlerche, Rebhuhn, Braunkehlchen oder Goldammer. Insgesamt umfasst der Feldvogelindex aktuell 23 Vogelarten. Der Index wird aus den Beständen der Feld- und Wiesenvögel" relativ zum Bestand im ersten Erhebungsjahr 1998, der mit dem Wert "100" festgelegt wird, berechnet und in ganz Europa von Ornithologinnen und Ornithologen erfasst Er ist seit 1998 von dem Wert 100 auf den Wert 60 gesunken, das heißt der Bestand der Feldvögel hat in den letzten 25 Jahren im Schnitt um etwa 40 % abgenommen. Die Entwicklung des Feldvogelindexes ist einer der Indikatoren, die im Rahmen des Renaturierungsgesetzes zur Erfolgskontrolle herangezogen werden. Das Gesetz fordert, dass in Ländern mit "historisch weniger erschöpften Feldvogelpopulationen" (dazu gehört Österreich) der Index nach Inkrafttreten des Gesetzes bis 2030 um 5 %, bis 2024 um 10 % und bis 2050 um 15 % gestiegen ist. Dies kann durch effiziente zielgerichtete Maßnahmen im Acker- und Grünland erreicht werden. Geeignete Maßnahmen sind im laufenden Agrarumweltprogramm für alle landwirtschaftlichen Betriebe abrufbar. Mit einer entsprechenden Beratung und Bewerbung derartiger Maßnahmen kann damit gerechnet werden, dass die Erfüllung dieses Indikators in Österreich gelingen kann. Immerhin ist der Feldvogelindex in Österreich in den letzten Jahren bereits relativ stabil geblieben, was auch auf die verbesserte Effizienz des letzten Agrarumweltprogrammes zurückzuführen ist.“
Thomas Zuna-Kratky, Biologe
Müssen wegen dem Gesetz Flüsse in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden?
„Das Gesetz sieht als dringendste Maßnahme vor, dass die Fließgewässer passierbarer werden als dies jetzt der Fall ist. Unzählige, vielerorts nicht mehr benötigte Sperren in den Flüssen behindern derzeit die ökologisch wichtigen Wanderungen der Fische. Deshalb sollen bis 2030 obsolete Sperren in allen EU-Staaten beseitigt werden. Das Renaturierungsgesetz sieht auch grundsätzlich vor, Gewässer zu renaturieren. Wir brauchen naturnahe Gewässer, um neben einer möglichst intakten Ökologie auch menschliche Bedürfnisse, etwa verbesserten Hochwasserschutz durch mehr Platz für die Gewässer erreichen zu können. Renaturierung bedeutet im besten Fall, ein Gewässer in den Urzustand - dem sogenannten Leitbild folgend - zu versetzen. Dieser beste Fall ist gegeben, wenn genügend Grund auf freiwilliger Basis zur Verfügung steht und die finanziellen Mittel vorhanden sind. Viele Gewässer werden aber infolge der Nutzung der Landschaft durch den Menschen realistischerweise nur in einen naturnäheren Zustand gebracht werden können.“
Clemens Gumpinger, Gewässerökologe
Was hat für eine Bedeutung ein wiedervernässtes Moor für die Gesellschaft?
„Wiedervernässte Moore kühlen das lokale Klima und speichern Unmengen an Wasser. Richtige Kraft entfalten sie gemeinsam mit allen anderen Feuchtgebieten, wenn es darum geht Starkniederschläge aufzunehmen, Hochwasserspitzen abzufangen und in Trockenperioden das Wasser konstant zur Verfügung zu stellen. Das unterstützt auch die Land- und Forstwirtschaft bei der notwendigen Anpassung an stark veränderte Umweltbedingungen. Durch ihre zentrale Rolle im Kohlenstoffkreislauf sind sie unsere engsten Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel. Wiedervernässte Moore sind in Summe betrachtet ein wichtiger Baustein im Sinne der Klimawandelanpassung und bringen für unsere Gesellschaft in der Breite ausnahmslos Vorteile mit sich. Etwaige Nachteile für Grundbesitzer:innen müssen hingegen fair kompensiert werden. Wir sind ein reiches Land und müssen uns das leisten, damit auch die nächsten Generationen ein angenehmes Leben in unserem wunderbaren Land führen können.“
Christian Schröck, Experte für Moorschutz
Was passiert, wenn Österreich die Ziele des Gesetzes nicht erreicht?
Die Mitgliedstaaten entwickeln nationale Wiederherstellungspläne, in denen sie die Maßnahmen definieren, zu denen sie sich verpflichten um die vorgegebenen Ziele zu erreichen. Die Wiederherstellungsverordnung der EU sieht Ausnahmen für die Zielerreichung vor, wenn diese wegen höherer Gewalt (z.B. Naturkatastrophen), unvermeidbaren Veränderungen (z.B. Klimawandel) oder Maßnahmen von überwiegendem öffentlichen Interesse, für die keine Alternativen bestehen, nicht erreicht werden können. Die Ziele wurden als „Maßnahmen- bzw. Handlungsverpflichtung“ und nicht als „Erfolgsverpflichtung“ formuliert, sodass der EU-Verordnung weitgehend Genüge getan wird, wenn in ersten Schritten ein positiver Trend für die wiederherzustellenden Lebensräume eingeleitet wird. Die Mitgliedstaaten haben in regelmäßigen Abständen die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen zu überprüfen und können ihre Wiederherstellungspläne danach anpassen. Sollte die Erreichung der Ziele der EU-Verordnung grob verletzt werden, kann die Europäische Kommission – wie generell im Gemeinschaftsrecht – ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.
Warum gibt es diesen Umsetzungsdialog?
„Ich habe am 8. Mai gemeinsam mit einem sehr großen und vielfältig besetzten Unterstützungskomitee ehrenamtlich und unabhängig von Institutionen oder Parteien eine Petition zum Renaturierungsgesetz gestartet. Über 23.000 Menschen haben diese Petition binnen weniger Wochen unterschrieben. Das Gesetz ist seit einigen Wochen Teil der europäischen Rechtsordnung. Viele Unterstützerinnen und Kritikerinnen haben bei uns in den letzten Wochen gefragt, was das Gesetz für sie konkret bedeuten wird oder welche Rolle es am Land und in Stadt haben wird. Ich fühle mich mitverantwortlich für rasche Antworten auf diese Fragen. Sie sind wichtig. Und je früher wir sie klären, umso besser gelingt die Zusammenarbeit in der Umsetzung dieses Gesetzes. Deshalb habe ich diesen Umsetzungsdialog gestartet.“
Wolfgang Suske, EU-Naturschutzexperte und Initiator des Umsetzungsdialogs
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