Unternehmer Hohensinner: "Ohne Renaturierung vernichten wir unsere Zukunft"
Manfred Hohensinners Firma Frutura produziert und vermarktet jährlich ca. 230.000 Tonnen Obst & Gemüse mit knapp 900 Mitarbeitern und über 500 Millionen Euro Umsatz. Man kann also getrost sagen: Er weiß, wovon er spricht, wenn er von Österreichs Ackerböden, den Früchten, die darauf und darunter wachsen, und von Österreichs gefährlicher Importabhängigkeit bei der Nahrungsversorgung spricht. Ein besonderes Anliegen ist ihm aktuell aber der Bodenschutz und die Renaturierung der Natur, speziell in Österreich.
KURIER: Die zentrale Frage ist offenbar, ob die EU-Renaturierung die Ernährungssicherheit gefährdet?
Manfred Hohensinner: Nein, ganz im Gegenteil. Mir blutet das Herz, wenn ich diese Diskussion verfolge und das die Renaturierung und die Biodiversität infrage gestellt wird. Die Wahrheit ist, dass es anders gar nicht geht.
Sondern?
Weltweit und bei uns sind etwa 80 Prozent aller Lebensmittel abhängig von der Biodiversität. Auch wenn das viele gar nicht hören wollen, muss allen klar sein: Die Sicherstellung der Lebensmittelproduktion geht nur mit gesunden Böden mit Humusaufbau in Kombination mit Biodiversität. Wenn wir unsere Bestäuber nicht mehr haben, das sind ja viel mehr als die Honigbienen, haben wir auch keine Früchte zum Ernten!
Also keine Monokulturen mehr, wo nur eine Frucht angebaut wird?
Nein, wie wir mit unserem Kartoffelprojekt bewiesen haben: Das sind Monokulturen, wo es grundsätzlich fast gar keine Biodiversität mehr gab. Wir haben dann mitten in diesen Monokulturen – auf eigene Kosten im Rahmen unseres Umweltprojekts BeeWild – 10 Prozent der 140-Hektar großen Fläche, also etwa auf 14 Hektar, Bienenweiden angelegt. Und siehe da: Es haben sich sofort Nützlinge eingefunden, die die Schädlinge auf den Kartoffeläckern gefressen bzw. bekämpft haben. Auch die Bauern haben am Anfang gezweifelt, ob das funktioniert. Am Ende kamen die Bauern zu mir und fragten, ob man nicht die doppelte Fläche Bienenweiden machen könnte, weil das so super funktioniert hat.
Was hat funktioniert?
Natürlich war viel weniger Pestizideinsatz nötig und die Böden gesunden auf natürlichen Wegen. Und wenn sich die Böden mittels Humusaufbau komplett regeneriert haben, brauche ich defacto fast überhaupt keinen synthetischen Dünger mehr.
Das andere oft vorgebrachtes Argument gegen die Renaturierung ist, dass Ackerflächen stillgelegt werden müssen.
Das stimmt nur, wenn man gar keine Ahnung hat und nicht die ganze Wahrheit erzählt. Ein Beispiel: Wenn auf einem riesigen Acker viele Jahre lang die gleiche Pflanze als Monokultur angebaut wird, lebt da schon lange nichts mehr im Boden – keine Tiere, Pilze, Bakterien oder andere Mikroorganismen, nichts. Die Erde erfüllt nur mehr die Aufgabe, dass die Pflanze wurzeln kann, damit sie nicht umfällt. Damit ich den finanziellen Ertrag annähernd gleich halten kann, brauche ich also jedes Jahr mehr teuren synthetischen Dünger. Und jetzt kommt der Faktor Klimawandel dazu, etwa durch Starkregen. So ein Boden speichert fast kein Wasser mehr, weil unter anderem fast keine Regenwürmer mehr im Boden sind. Die Regenwürmer sind aber essenziell für die Wasserspeicherung. Kaputte Böden haben vielleicht noch zwei bis drei Tonnen Regenwürmer pro Hektar. Das klingt für Laien vielleicht viel, es sollten aber 25 Tonnen Regenwürmer sein. Diese Regenwürmer bohren zwei bis drei Meter tiefe Kanäle in den Boden, ziehen den Kompost von oben nach unten und verwandeln ihn in Humus. Das Wasser fließt auch bei Starkregen in diese Regenwurm-Bohrlöcher hinein. Die Böden können so riesige Mengen Wasser kurzfristig wie ein Schwamm aufnehmen. Bei einer langen Trockenheit können die Pflanzen auf dieses Wasser zugreifen und sterben nicht ab. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, warum der Bodenaufbau, der Humusaufbau grundvernünftig ist. In Summe habe ich den gleichen Ertrag, dafür aber nachhaltig und der Klimawandel macht mir weniger Probleme. Diese Tatsache wird zum Großteil verleugnet, man will es nicht wahrhaben und beharrt auf dem alten Weg.
Wenn das der klügere Weg ist, warum gehen ihn dann bisher nur wenige Landwirte?
Wenn ich als produzierender Landwirt in solchen Systemen seit Jahrzehnten gefangen bin, sind gewisse Rahmenbedingungen einzuhalten. Da ist es schwer auszubrechen, da traut man sich nicht. Wenn von offizieller Seite dieser alte Weg auch noch als der Richtige dargestellt wird, weil es keine Alternative und keine Unterstützung gibt, denken viele, dass sie den Weg auch nicht verlassen können. Wie ich begonnen habe andere Wege zu gehen, habe ich einen enormen Gegenwind verspürt und das ist bis heute nicht wesentlich besser geworden.
Aber da widersprechen Sie dem Landwirtschaftsminister, dem Bauernbund, und so weiter…
Da läuft jetzt eine Debatte, die alle verunsichert. Reden wir zum Beispiel über die Vollversorgung mit Lebensmitteln in Österreich: Die gibt es bei Milch, Fleisch und vielleicht beim Apfel. Sonst nicht. Beim Gemüse importieren wir übers Jahr rund 50 Prozent, beim Obst ein bisschen weniger. Wir sind also ein komplettes Importland.
Was schlagen Sie vor?
Das Grundproblem ist, dass in manchen Bereichen viel zu viel produziert wird, was keiner braucht und wir dann exportieren müssen. Dazu kommt jetzt, dass der Klimawandel die Landwirtschaft enorm beeinträchtigt. Die Bäuerinnen und Bauern, ein Drittel der Höfe werden inzwischen von Frauen geführt, sehen das jeden Tag. Das heißt, man muss sich in Österreich ansehen, wo können wir überhaupt noch welche Lebensmittel produzieren? Wo haben wir ideale Gebiete für welche Lebensmittel, wo ist ausreichend Wasser vorhanden? Wie lässt sich das optimal mit dem Artenschutz verbinden, damit wir die Natur regenerieren und wieder gesunde Grundlagen schaffen? Die Natur erholt sich dann ja recht schnell. Wenn wir aber den falschen Weg weiter gehen, endet das in einem Desaster.
Warum sind dann vom Landwirtschaftsminister bis zur Kammer alle dagegen?
Genau das kann ich ja selbst nicht verstehen, niemand versteht das in der heutigen Zeit. Es geht ja um unseren gemeinsamen Lebensraum, wir haben keinen anderen und noch mehr um den Lebensraum der künftigen Generationen. Es wird aber an einer landwirtschaftlichen Produktion festgehalten, die in keiner Weise mehr zeitgemäß ist und auch keine Zukunft haben wird.
Anders gefragt: Wer profitiert denn von der gängigen landwirtschaftlichen Praxis?
In Österreichs Ackerböden ist wegen der noch zum Großteil vorherrschenden landwirtschaftlichen Praxis nur mehr ein Humusanteil von durchschnittlich zwei Prozent, sechs Prozent wären optimal. Den kann man natürlich wieder steigern. Durch Winterbegrünung und viele andere Maßnahmen braucht man fast keine synthetischen Düngemittel mehr, fast keinen Pflanzenschutz usw. Der Boden muss nur mehr minimal ohne Pflug bearbeitet werden. Dennoch hätte ich fast den gleichen Ernteertrag, nur dass Böden und Umwelt dabei gesund bleiben. Also vermute ich, dass man am gewohnten System festhalten will, und auch an Förderstrukturen, die nicht mehr zeitgemäß sind.
Ein Teil der Politik nennt jeden Verweis auf den Klimawandel einen völlig überzogenen Alarmismus, andererseits unternimmt die LKÖ ja inzwischen einiges für mehr Resilienz, etwa durch Wasser-Rückhaltebecken und dergleichen. Also wird das Problem schon angegangen, oder?
Die Leute wissen schon, was los ist, was es geschlagen hat, welche enormen Auswüchse es bereits gibt. Und sie wissen, dass sie das Wasser auffangen müssen, um Schäden zu vermeiden, oder um bei langer Trockenheit bewässern zu können. Deshalb ist es für mich so skurril – man setzt Maßnahmen, weil man die Probleme erkennt, und gleichzeitig verleugnet man die nächsten notwendigen Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken. Das ist nicht zu verstehen. Rückhaltebecken werden vor dem Acker gegraben, aber wir helfen dem Acker nicht, zu gesunden. Warum es diese geisteskranke Haltung gibt, obwohl alle wissen, dass es einen anderen Weg gibt, weiß ich nicht.
Der Green Deal ist derzeit im EU-Wahlkampf ein wichtiges Thema. Da ist beim Thema Klimaschutz einiges weitergegangen, beim Umweltschutz wurde fast nichts beschlossen. Wie beurteilen Sie den Green Deal?
Beim Green Deal ist auch nicht alles richtig angegangen worden. Aber in Summe war er vollkommen richtig. Die großen Probleme wurden erkannt. Auf der Strecke ist – vor allem im kleinen – der Umweltbereich geblieben, da entwickeln wir uns teilweise zurück. Das ist erschreckend.
Am Ende geht es doch darum, was die Konsumenten wollen und kaufen?
Die Leute sind verunsichert und müssen sparen, und tun das auch, das ist verständlich. Man ist bereit, nur ein gewisses Geld für Lebensmittel auszugeben. Das bestärkt viele Bauern zu sagen, wir können den alten Weg gar nicht verlassen, wir müssen noch effizienter werden, damit wir preislich dabeibleiben können. Das ist eben nicht so einfach zu lösen: Denn damit ein Landwirt das vorherrschende System verlassen kann, braucht es Investitionen, die sich nicht sofort rentieren. Es gibt also eine schwierige Übergangszeit. Und deshalb sind alle verunsichert und bleiben am alten Modell.
Aber passiert das nicht längst? Es hören ja immer mehr Landwirte auf..
Das ist eine weitere Folge unserer Praxis, dass etwa die Hälfte unserer Bauernhöfe keine Nachfolger, keine Nachfolgerinnen haben, weil die Jungen sagen, sie tun sich das nicht an. Weil es so viele Unsicherheiten gibt und weil Landwirt ein Rund-um-die-Uhr-Job ist und junge Menschen heute jeden Beruf ergreifen können. Damit Landwirtschaft eine Zukunft hat, braucht es Umweltschutz und Innovation. Die Natur muss wieder einen hohen Stellenwert bekommen, damit alles leben kann, und nicht, dass Leben zu einer Geschäftssache wird.
Und wie sieht das alles international aus, was tut sich da?
Wir leben in Österreich in einem wunderschönen Land. Wenn man sich aber die neuen Unternehmungen der fossilen Multikonzerne anschaut, in Arabien etwa, die investieren Milliarden in moderne landwirtschaftliche Zukunftsprojekte. Wenn wir das in Österreich verschlafen, und nicht die Umwelt und damit die Lebensmittelproduktion schützen, kommen wir in eine immer größere Abhängigkeit von Importen. Diese Konzerne wissen dann aber sehr wohl, was ihre Güter, ihre Lebensmittel wert sind. Und wir als kleines Österreich müssen das teuer bezahlen. Das erkennen unsere Vertreter der Landwirtschaft nicht. Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel. Noch hätten wir es selbst in der Hand. Aber mit dieser Debatte, dass wir die Renaturierung in Summe infrage stellen, vernichten wir uns die Grundlage für unsere Zukunft.
Kommentare