Gewessler gegen alle: Worum es im Streit um die Natur geht
Wird Europa wieder grüner? Beim EU-Rat am 17. Juni stimmen stimmen Europas Umweltminister über die Renaturierungsverordnung ab. 55 Prozent der Staaten, die zumindest 65 Prozent der EU-Bevölkerung stellen, müssen dafür sein. Derzeit ist unklar, ob sich das ausgeht. Österreichs Stimme könnte entscheidend sein.
Und Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat mehrmals klargestellt, zustimmen zu wollen. Stand heute, darf sie das aber wohl nicht. Woran das liegt und warum die Renaturierung ein Fall für den Verfassungsgerichtshof (VfGH) werden könnte: Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Worum geht es bei der EU-Renaturierung?
Die EU-Staaten sollen 90 Prozent ihrer geschädigten Ökosystem bis 2050 wieder in einen natürlich Zustand versetzen. Das betrifft Wiesen, Wälder, Flüsse, Meere oder Moore. Rund 80 Prozent der Lebensräume in der EU gelten als ökologisch geschädigt.
Warum ist die ÖVP gegen die Verordnung?
Etwa, weil die Finanzierung nicht sichergestellt sei. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) warnt zudem vor hoher Bürokratie und moniert, dass die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln gefährdet werde. Eine verpflichtende Renaturierung von Ackerflächen sieht die Verordnung aber nicht vor. Befürworter argumentieren, dass durch die Renaturierung sogar mehr Beweidung nötig werde.
Was hindert Gewessler daran, am 17. Juni zuzustimmen?
Einerseits benötigt sie wohl das "Ja" des Finanz-, Landwirtschafts- und Europaministeriums. Alle sind in ÖVP-Hand und somit dagegen. Zweitens liegen die Umweltagenden in der Kompetenz der Bundesländer. Und die haben im Mai 2023 eine einheitliche Länderstellungnahme gegen die Renaturierung vorgelegt. An diese muss sich Gewessler halten.
Warum benötigt Gewessler die Zustimmung von drei ÖVP-Ministerien?
Paragraf 5 im Bundesministeriengesetz (BMG) zielt darauf ab, ob eine Regelung in die Zuständigkeit eines Ministeriums fällt oder dieses "nur" betrifft. "Hier besteht ein Unterschied, auch wenn die Grenzziehung relativ schwer ist", sagt Europa- und Völkerrechtler Walter Obwexer zum KURIER. Beispiel: Wohl jede Regelung auf EU-Ebene kostet Geld und betrifft somit auch das Finanzministerium (BMF). Die Zustimmung des BMF sei aber nur dann nötig, wenn die Maßnahme gravierende finanzielle Auswirkungen hätte, sich also nicht auf das rein Tatsächliche beschränke, meint Obwexer. Bei der Renaturierungsverordnung dürfte das der Fall sein. Ab wann ist ein Ministerium auch zuständig? Im Zweifelsfall – insbesondere dann, wenn die Koalitionspartner nicht einer Meinung sind – müsste diese Grenze ausjudiziert werden, sagt Obwexer.
Vertritt auch Gewessler diese Ansicht?
Nein. Die entsprechende Passage im BMG sei weder für die Vertretung im EU-Rat gedacht, noch dafür funktional, heißt es aus dem BMK. Das Ministerium hat entsprechende Rechtsgutachten vorgelegt. Gewessler will der Verordnung zustimmen, wenn das einheitliche Länder-Veto nicht mehr gilt. Wien und Kärnten haben vor eineinhalb Wochen betont, der Renaturierung zustimmen zu wollen.
Wie kann das Länder-Veto aufgehoben werden?
Hier gibt es verschiedene Rechtsmeinungen. Würde es ausreichen, wenn Wien schriftlich bekannt gibt, sich von der einheitlichen Stellungnahme gegen die Renaturierungsverordnung zu distanzieren? Obwexer ist sich "relativ sicher", dass der VfGH das anders beurteilen würde. "Aus meiner Sicht muss eine einheitliche Stellungnahme auf demselben Rechtsweg wieder aufgehoben werden, auf dem sie beschlossen würde. Sonst würde ihre Verbindlichkeit stark reduziert", sagt Obwexer. Wien hat bereits eine neue Stellungnahme eingebracht, die das Veto aufheben würde. Diese wurde von den Umwelt-Landesreferenten aber nur "zur Kenntnis" genommen. Damit sie Gültigkeit erlangt – und das Länder-Veto aufhebt – müssten ihr eine Mehrheit der Bundesländer zustimmen. Laut Obwexer gilt somit die einheitliche Stellungnahme der Länder "nach wie vor". Und daran sei Gewessler gebunden.
Ist die SPÖ jetzt für die Renaturierung?
Das stellt sich etwas diffus dar. Die SPÖ Burgenland ist gegen die Verordnung. Das rot regierte Kärnten hat zwar bekundet, dafür zu sein, argumentiert mittlerweile aber wieder zurückhaltender. Wiens Bürgermeister Michal Ludwig (SPÖ) meint, Wien habe alles getan, damit Gewessler der Verordnung zustimmen könne. Nun liege es an ihr, die ÖVP umzustimmen.
Reicht Gewessler das Signal aus Wien?
Nein. "Das Ministerium muss sich, wenn eine einheitliche Länderstellungnahme vorliegt, an diese halten", heißt es aus dem BMK zum KURIER. Das BMK fordert deshalb "die Klarstellung, ob die Stadt Wien weiterhin hinter der Länderstellungnahme steht, oder ob diese für die Stadt Wien keine Gültigkeit mehr hat".
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