EU-Renaturierung: Riskiert Gewessler einen Rechtsbruch?

Für Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) ist klar: Die EU-Renaturierungsverordnung "ist das wichtigste Naturschutzgesetz, das wir in dieser Legislatur auf europäischer Ebene behandeln". Das betonte sie erst am Dienstag in der ZiB2 zum wiederholten Mal. Dass ÖVP und Teile der SPÖ dagegen sind, bezeichnete sie als "wirklich zukunftsvergessen".
Die Regelung soll die EU-Staaten verpflichten, einen Großteil ihrer geschädigten Ökosysteme wieder in einen natürliche Zustand zu versetzen – ob Meere, Moore, Wälder oder Flüsse. Ob eine Mehrheit der Staaten der Regelung am 17. Juni beim Umweltministerrat zustimmt, ist unklar. Allzu gerne würde Gewessler "Ja" sagen. Das Problem: Sie darf nicht.
Es ist kompliziert
Wer sie aller daran hindern kann, hat sich als juristisch hochkomplexe Debatte entpuppt. "Nur" die Bundesländer, die sich im November 2022 und Mai 2023 in einer einheitlichen Stellungnahme gegen die Renaturierung ausgesprochen haben? Oder benötigt Gewessler auch noch den Sanctus des Koalitionspartners?
Nun hat auch der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts, der Österreichs Regierung vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) vertritt, die Situation beurteilt. Die Einschätzung liegt dem KURIER vor. Folgt man den Ausführungen der Verfassungsexperten, wird klar: Gewesslers Chancen, der EU-Renaturierung zuzustimmen, ohne dabei einen Rechtsbruch zu begehen, stehen in jeder Hinsicht schlecht.
Wie kommt eine einheitliche Länderstellungnahme zustande?
Die erste Option ist die "Integrationskonferenz" der Länder. Sie kann einen Beschluss fassen, wenn mindestens fünf der neun Bundesländer zustimmen und sich die anderen vier zumindest enthalten. Stimmt ein Land dagegen, kommt keine Stellungnahme zustande. In der "Staatspraxis" gibt es laut Verfassungsdienst aber noch andere Wege, eine "einheitliche Stellungnahme" zu fassen – etwa über die Landeshauptleutekonferenz. Der Bund hätte diese auch "in der Vergangenheit als bindend akzeptiert", so der Verfassungsdienst.
Liegt eine einheitliche Stellungnahme vor?
Im Fall der Renaturierung wurden der Bundesregierung zwei einheitliche, ablehnende Stellungnahmen übermittelt. Und zwar über die Verbindungsstelle der Bundesländer. Deshalb sei "grundsätzlich davon auszugehen", dass tatsächlich eine solche Stellungnahme vorliege, so der Verfassungsdienst.
Wie kann eine einheitliche Stellungnahme aufgehoben werden?
Die Experten sind der Ansicht, dass eine "neue einheitliche Stellungnahme" beschlossen werden müsste, um die alte aufzuheben. Auch dieser müssten mindestens fünf Länder zustimmen, während sich der Rest zumindest enthält. Die SPÖ-geführten Länder Wien und Kärnten haben vor zwei Wochen verkündet, unter gewissen Voraussetzungen doch für die Renaturierung zu sein. Wien hat dann eine Abänderung des Länder-Vetos beantragt. Dieses lehnten sieben von neun Länder ab. Heißt: Die einheitliche Stellungnahme gilt weiterhin.
Renaturierungs-Verordnung
Das Nature Restoration Law beinhaltet verbindliche Ziele zur Renaturierung von Land- und Meeresökosystemen (Wälder, Schutzgebieten, Ökosysteme in der Stadt), sowie zur Renaturierung von Flüssen und zum Schutz von Bestäubern.
Nachweis ab 2030
Bis 2030 sollen 20 Prozent der beschädigten Natur wiederhergestellt werden. Dafür müssen rund drei Milliarden Bäume gepflanzt werden und 25.000 km Flüsse frei fließen. Bis 2050 sollen 90 Prozent der geschädigten Ökosysteme wiederhergestellt werden.
Kritikpunkte
Kritisiert werden die Kosten der Maßnahmen, die unklare Finanzierung und massiver Bürokratieauwand. Die ÖVP sieht zudem die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln gefährdet. Eine verpflichtende Renaturierung von Ackerflächen sieht die Verordnung aber nicht vor.
Gibt es keinen anderen Weg?
Gewessler verlangte zuletzt wiederholt eine schriftliche "Klarstellung" von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), dass die Hauptstadt nicht mehr hinter dem Veto stehe. Dann werde sie alles dafür tun, zustimmen zu können. Aber würde eine klare Distanzierung Ludwigs wirklich reichen, um eine einheitliche Stellungnahme aufzuheben? Der Verfassungsdienst widerspricht: "Keinesfalls kann einseitigen Erklärungen einzelner Länder hier eine rechtliche Relevanz zukommen." Demnach hatten Wien und Kärnten von Anfang an keine Chance, ihr "Nein" zur Renaturierung zurückzuziehen – trotz anderslautender Bekundungen.
Will Gewessler zustimmen, wenn die Länder ihr Veto aufheben?
Ja, auch ohne Sanctus der ÖVP. Sie verweist darauf, dass Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) beim EU-Rat ebenso dafür stimmte, Umweltstandards in der EU-Agrarpolitik abzuschwächen. "Es ist langjährige Praxis in der Regierung, dass auf den Ministerräten die Ministerinnen und Minister entscheiden", sagt Gewessler. Sie hat Rechtsgutachten vorgelegt, die ihre Argumentation stützen.
Aber darf Gewessler dann auch zustimmen?
Laut Gewesslers Rechtsexperten: Ja. Laut Verfassungsdienst: Nein. Dieser verweist auf das Bundesministeriengesetz (BMG). Es gibt Themen, die in den Wirkungsbereich verschiedener Ministerien fallen. Bei der Renaturierung: Klimaschutz, Landwirtschaft, Finanzen und Europa. Wann müsste Gewessler die Zustimmung anderer, in diesem Fall ÖVP-geführter, Ministerien einholen? Wenn betroffene Ministerien auch für die Renaturierung "zuständig" sind und deshalb "konkrete Maßnahmen" setzen müssten. Als Maßnahmen gelten hier etwa Gesetze oder Verordnungen. Der Verfassungsdienst sieht zumindest auch eine Zuständigkeit des Landwirtschaftsministeriums, weil die Renaturierung Regelungen für die Agrar- und Forstpolitik sowie das Wasserrecht betreffe.
Hätte Totschnig nicht auch Gewesslers Zustimmung bei der Agrarpolitik einholen müssen?
Das müsste ausjudiziert werden. Gewesslers Ressort erkennt eine Zuständigkeit, die ÖVP ist anderer Ansicht.
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