Was die Renaturierung verändern wird
Vergangenen Montag stimmte Österreichs Umweltministerin im EU-Rat mit 19 Kollegen aus anderen EU-Staaten für das EU-Renaturierungsgesetz.
Ob die Ministerin überhaupt zustimmen durfte, ist längst wilder Streit unter Juristen, viele werfen ihr Rechtsbruch vor. Gewessler wurde mehrfach wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauchs angezeigt.
Das juristische Nachspiel wird aber höchstwahrscheinlich nichts daran ändern, dass das EU-Renaturierungsgesetz beschlossen ist. Alle Staaten haben nun bis 2026 Zeit, Pläne zu erstellen, wie der erste Zielwert – 20 Prozent Renaturierung bis 2030 – erreicht werden soll. Den Mitgliedsstaaten bleibt überlassen, wie sie das tun. Kanzler Karl Nehammer warnt vor einem „Bürokratiemonster“, Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig vor einem „konservierenden Naturschutz“, der den Steuerzahler viel Geld kosten werde.
Ziel des Gesetzes ist, bis 2050 alle Naturgebiete wieder in einen natürlichen Zustand zu versetzen und so auch der Artenvielfalt wieder eine Chance zu geben, sich zu erholen. Denn allein in Österreich sind über 80 Prozent europarechtlich geschützter Arten und Lebensräume in keinem günstigen Erhaltungszustand.
Mehr als die Hälfte der Fließgewässer verfehlt die ökologischen EU-Kriterien. Auch beim Großteil der Moore sind Maßnahmen erforderlich. Die betroffenen Ökosysteme werden übernutzt, verschmutzt, zerschnitten oder gänzlich zerstört.
Die EU-Kommission geht von Kosten von etwa 154 Milliarden Euro für alle EU-Staaten bis 2070 aus. Dafür hat der berechnete Nutzen einen Gegenwert von 1.860 Milliarden Euro, bei einem Nicht-Handeln läge der Schaden bei 1.700 Milliarden Euro.
Der KURIER hat mit Experten gesprochen, die für ihren Bereich beschreiben, warum die Renaturierung aus ihrer Sicht sinnvoll ist, was zu tun ist, und welche Auswirkungen bis 2050 durch das umfassende EU-Umweltgesetz zu erwarten sind.
Weg mit sterbenden Monokulturen
Ökosystem Wald
"Wir haben zwar viel Wald in Österreich, doch ein großer Teil davon ist naturfern“, erklärt Matthias Schickhofer, der sich seit drei Jahrzehnten mit Wäldern beschäftigt. „In den vergangenen 100 bis 200 Jahren wurden sehr viele Fichten angepflanzt, weil die schnell wachsen und gut zu verarbeitendes, gerades Holz liefern. Eine gute Einkommensquelle. Bisher hat das funktioniert. Jetzt zeigt sich aber, dass naturferne Fichtenbestände nicht widerstandsfähig sind, wenn es heiß und trocken wird. Fichten sind ja in Skandinavien und im Gebirge daheim, wo es kühler ist. Mit Dürren, Windwürfen und Borkenkäfer-Massenvermehrung kommen sie nicht zurecht.“
In Deutschland seien 600.000 Hektar Fichtenpflanzungen bereits kollabiert. „Auch bei uns nehmen Kahlflächen zu, etwa in Osttirol, Kärnten oder im Waldviertel. Die Flächen heizen sich auf und trocknen aus, statt Wasser zu speichern und die Region durch Verdunstung zu kühlen.“
Was jetzt zu tun wäre? Weg von Monokulturen hin zu den widerstandfähigeren Mischwäldern und Erhaltung der Naturwälder, sagt Schickhofer. Das Geniale daran: „Das passiert schon, etwa durch das Umweltprogramm ÖPUL. Das ist für das Renaturierungsgesetz anrechenbar.“
Was sich durch „AMooRe“ ändert
Ökosystem Moor
Moore binden weltweit betrachtet doppelt so viel wie alle Wälder zusammen. Sind Moore intakt, haben sie eine regulierende Wirkung im Wasser- und Nährstoffhaushalt und leisten durch ihre kühlende Verdunstungswirkung einen wichtigen Beitrag im Zusammenhang mit dem lokalen und regionalen Klima. Zudem sind Moore und Torfböden Lebensraum zahlreicher seltener Tier- und Pflanzenarten.
Leider wurden Moore über viele Jahrhunderte als wertlos betrachtet und vielerorts trockengelegt, als Brennstoff genutzt oder als landwirtschaftliche Fläche oder Siedlungsraum genutzt. Heute wird alles darangesetzt, Moore zu revitalisieren und noch vorhandene Flächen zu schützen.
Rund 3.000 Moorflächen auf insgesamt 26.600 Hektar gibt es aktuell noch in Österreich. Diese sollen nun, wo gestörte Wasserhaushalte nachgewiesen wurden, revitalisiert werden. Das EU-LIFE-Projekt „AMooRe“, die österreichische Moorschutzstrategie 2030+ und regionale Maßnahmen haben sich dem Schutz, der Erhaltung und der Wiederherstellung dieses wertvollen Lebensraums verschrieben. Revitalisierung, Monitoring und Schutz von Moorflächen sind zudem ein wichtiger Beitrag zu Biodiversität und Klimaschutz.
Artenschutz unter Wasser
Ökosystem Gewässer
Österreich ist stolz auf seine Gewässer, die meisten haben Trinkwasserqualität. Dennoch ist Österreich weit davon entfernt zu sagen, dass unsere Gewässer „in einem guten Zustand“ sind, erklärt der Mostviertler Biologe Erhard Kraus, der 2021 den Österreichischen Naturschutzpreis erhalten hat. „Der gute Zustand betrifft nur die Chemie und die Physik, nicht aber die Lebensräume der Gewässer und die Fische. Bei den Fischen haben wir eine große Anzahl von schwerst gefährdeten Arten, das hat auch mit der steigenden Temperatur von bis zu zweieinhalb Grad in den vergangenen 30 Jahren durch den Klimawandel zu tun.
Dazu kommt der energiewirtschaftliche Ausbau der Fließgewässer, da werden derzeit 80 Prozent zur Energiegewinnung genutzt. Jetzt gibt es den Kampf um die letzten, unverbauten Ecken.“ Eigentlich müssten die Lebensräume der Gewässer bereits bis 2027 nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie renaturiert sein. „Ich denke nicht, dass wir das schaffen. Die Renaturierung wird hier sicher eine neue Dynamik reinbringen, weil es den Finger auf die Wunden legt, da viele Ziele noch nicht erreicht worden sind. Und je länger wird zuwarten, desto schwieriger wird es werden.“
Was gesunde Wiesen schützen
Ökosystem Wiese
"Die Blumenwiesen, wie es sie früher gab, mit sehr artenreichen Blumen und Blütenbeständen und viele Insekten, sind seit den 1950er Jahren zu über 90 Prozent verschwunden. Es sind noch Wiesen, aber eben nur mehr landwirtschaftlich intensiv genutztes und gedüngtes Grünland mit nur wenigen Blumenarten", erklärt der Biodiversitätsforscher Franz Essl. Auch auf sehr kleinen Wiesenflächen habe man früher 50 und mehr Arten beobachten können, heute nur mehr einen Bruchteil davon. Deshalb sei Renaturierung, wenn auch nur auf fünf bis zehn Prozent der Flächen, enorm wichtig für die Artenvielfalt der Insekten, "nicht nur für die dringend benötigten Bestäuber. Auch die Vögel brauchen artenreiche Wiesen."
Gesunde Wiesen und Weiden gehören zu den artenreichsten Lebensräumen in unserer Kulturlandschaft, erklärt Essl. "Wenn die Artenvielfalt massiv zurückgeht, in den Wäldern, Äckern, Mooren, Grünland, ist das aus wissenschaftlicher Sicht ein massives Alarmsignal, das unsere Landschaft nicht mehr intakt ist. Kaputte Böden produzieren immer weniger Lebensmittel, die auch qualitativ abnehmen. Wenn wir da nichts tun, wird das nicht nur zu einem Problem für die Natur, sondern auch für uns Menschen."
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