Warum Gewessler bei der Renaturierung den Koalitionsbruch riskiert

Österreichs grüne Klima- und Umweltministerin Leonore Gewessler will am Montag im EU-Umweltministerrat in Luxemburg dem umstrittenen EU-Renaturierungsgesetz zustimmen. Das Gesetz sieht durchaus drastische Maßnahmen bis 2050 vor, um die durch den Menschen veränderte Kulturlandschaft wieder in einen möglichst ursprünglichen Zustand zurückzuführen.
Gewesslers Entscheidung kann als größtmöglicher Affront gegenüber dem Koalitionspartner ÖVP gewertet werden, hatten sich doch zuvor Kanzler Karl Nehammer und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig klar gegen das EU-Gesetz ausgesprochen.
"Ideologie darf niemals über dem Recht stehen"
Die Eskalationsspirale wird Sonntag Nachmittag mit einer Pressekonferenz der Klimaministerin in Gang gesetzt. Danach erklärt Europaministerin Karoline Edtstadler: Wenn Gewessler so abstimmt, wie sie es angekündigt hat, begehe sie „vorsätzlich einen Verfassungs- und Gesetzesbruch. Das ist in höchstem Maße unverantwortlich und befremdlich, ist sie doch wie alle übrigen Regierungsmitglieder vom Bundespräsidenten auf die Verfassung angelobt.“
Ideologie dürfe niemals über dem Recht stehen, richtet Edtstadler der grünen Kollegin aus. Über weitere rechtliche Schritte berät die ÖVP intern bereits. Eine Option wäre etwa eine Ministeranklage.
"Mit der Brechstange"
Ähnlich scharf die Reaktion von Landwirtschaftsminister Totschnig, der meint, Gewessler wolle „aus ideologischen Gründen mit der Brechstange für ein Gesetz stimmen, dass eine Flut an Überregulierungen und Doppelgleisigkeiten für unser Land bringen wird“.
Damit ist nun sehr wahrscheinlich geworden, dass die Koalition demnächst vonseiten der ÖVP aufgekündigt werden wird.
Als erster hochrangiger ÖVP-Politiker spricht es am Abend Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner aus: Neben einem „schweren Vertrauensbruch gegenüber den Bundesländern“ sieht er einen „klaren Koalitionsbruch auf Bundesebene“.
"Ich will das Richtige tun"
Gewessler bewertet die Situation freilich diametral anders. Auf Nachfrage des KURIER, ob sie durch ihre Zustimmung einen Koalitionsbruch riskiere, sagt die 46-jährige Steirerin: „Keineswegs“.
Sie habe sich ihre Zustimmung mit mehreren Rechtsgutachten absichern lassen. Den anwesenden Journalisten legt sie am Sonntag Stellungnahmen von vier Juristen vor, die ihre Position bekräftigen. Namentlich die Rechtsanwälte Alexander Egger und Florian Stangl, die Uni-Professoren Karl Weber und Daniel Ennöckl.
Die grüne Klimaministerin argumentiert in dieser heiklen Causa auch mit ihrem Gewissen: „Im entscheidenden Moment will ich das Richtige tun und mich nicht verstecken.“ Allfälligen Gegenwind halte sie aus, denn: „Wenn ich in 20 bis 30 Jahren mit meinen Neffen und Nichten spazieren gehe, möchte ich ihnen die Schönheit des Landes zeigen.“
Und ob sie eine Ministeranklage fürchte – ein Verfahren, das es in Österreich noch nie gegeben hat? „Nein, davor fürchte ich mich nicht. Ich fürchte mich eher vor den Konsequenzen für unsere Umwelt, wenn das Gesetz nicht kommt.“
Abstimmung offen
Das Problem dabei: Es ist zur Stunde alles andere als klar, ob das „Nature Restauration Law“ überhaupt bei der heutigen Ratssitzung zur Abstimmung kommt, weil nicht klar ist, wer von den anderen 26 Umweltministern in dieser finalen Abstimmung für und wer gegen das Gesetz stimmen wird. Im Rat der 27 Umweltminister benötigt man zur Beschlussfassung zudem keine einfache, sondern eine „qualifizierte Mehrheit“. Das heißt, dass Minister von zumindest 15 EU-Staaten zustimmen müssten, die zumindest 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.
Sollte absehbar sein, dass diese Mehrheit nicht zustande kommt, dürfte der belgische Ratsvorsitz die Abstimmung wieder von der Tagesordnung streichen.
Walter Obwexer, Europarechtsexperte und Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Innsbruck, erklärt im KURIER-Gespräch, warum Gewessler aus seiner Sicht nicht im Recht sei und nicht zustimmen dürfe.
EU-Renaturierung
Durch das Nature Restoration Law sollen bis 2050 zerstörte Ökosysteme wiederhergestellt werden oder unter Wiederherstellung sein. Das Zwischenziel bis 2030 ist, dass für 20 % aller Meeres- und Landflächen in der EU Wiederherstellungsmaßnahmen in Kraft sind. So sollen etwa Moore wieder vernässt, Flüsse renaturiert und Wälder zu Mischwäldern werden.
Streitpunkt
Gegner sagen, dass durch die EU-Renaturierung die Lebensmittelsicherheit gefährdet wäre. Dem widerspricht aber die Wissenschaft mit dem Argument, dass ohne Renaturierung die Nahrungsmittelsicherheit wegen kaputter Böden garantiert gefährdet sei.
Beschluss ist aufrecht
Erstens gebe es nach wie vor eine aufrechte einheitliche und negative Stellungnahme der Bundesländer zur Renaturierung, und da Umweltagenden Länderkompetenz seien, ist das für die Umweltministerin bindend. Zwar habe das Bundesland Wien nun erklärt, doch für die Renaturierung zu sein, tatsächlich sei der Länderbeschluss aber „formal nie aufgehoben worden“.
Zweitens benötige Gewessler auch die Zustimmung des Landwirtschafts- und des Finanzministers, um zustimmen zu können, weil das Gesetz auch deren Ressorts betreffe, erklärt Obwexer. Das sehe das Bundesministeriengesetz in § 5 klar vor.
Im schlimmsten Fall und sofern Österreichs Stimme im EU-Rat entscheidend ist, könnte die Zustimmung „invalidiert“ und beim EU-Gerichtshof angefochten werden, erklärt er.
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